Menschheitsgeschichte:Wie Hirtenvölker in kurzer Zeit Europa besiedelten

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Pferde spielten eine wichtige Rolle bei den Wanderungsbewegungen in der Bronzezeit. (Foto: A. Senokosov)

Es gibt Hinweise, dass die Migration vor 5000 Jahren mit einer Ernährungsumstellung zu tun hatte.

Für das genetische Erbe der heutigen Europäer spielen die Hirtenvölker der eurasischen Steppe eine zentrale Rolle, vor allem die Wanderungen von Menschen aus der Jamnaja-Kultur in der frühen Bronzezeit. Forscherinnen des Jenaer Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte haben nun untersucht, wie die Halbnomaden so große Entfernungen zurücklegen konnten - und identifizieren im Fachblatt Nature einen interessanten Treiber: Milch.

Die Ausbreitung der Jamnaja, eines halbnomadischen Hirtenvolks, gilt als eine der folgenreichsten Migrationen nach Europa. Das Zentrum dieser Kultur lag im Westen der Eurasischen Steppe. Vor ungefähr 5000 Jahren begannen die Viehhirten, sich über weite Teile des Kontinents auszubreiten - und diesen innerhalb weniger Jahrhunderte sowohl genetisch als auch sprachlich nachhaltig zu prägen.

"94 Prozent der frühbronzezeitlichen Individuen waren eindeutig Milchtrinker."

Bislang war unklar, wie sich die Hirten so weit ausbreiten konnten. Vermutet wurde, dass die Jamnaja lernten, Pferdegespanne und große Wagen zu nutzen, um so Lasten über weite Strecken zu transportieren. Eine andere Theorie besagt, dass der Konsum von Milch und Fleisch den Halbnomaden Kraft für ihre Reisen gab. Für letztere These haben die Jenaer Forscherinnen nun neue Belege gefunden: Sie zeigten, dass die Hirten begannen, Milch zu trinken.

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Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftlerinnen Zahnstein von 56 Menschen, die zwischen der Kupfersteinzeit - dem Eneolithikum - und der späten Bronzezeit gelebt hatten. Die ältesten Proben stammten aus einer Zeit von etwa 4600 vor Christus, die jüngsten datierten auf 1700 vor Christus. Die Ergebnisse waren überraschend klar, sagt Studienleiterin Shevan Wilkin: "Die Mehrheit der von uns untersuchten Individuen aus dem Eneolithikum vor der Bronzezeit - über 90 Prozent - wies keinerlei Anzeichen für den Konsum von Milchprodukten auf. Im Gegensatz dazu waren bemerkenswerte 94 Prozent der frühbronzezeitlichen Individuen eindeutig Milchtrinker." Die meisten Proben deuteten dabei auf Kühe, Schafe und Ziegen als Quelle der Milch hin. Einige wenige legten nahe, dass auch Pferdemilch getrunken wurde.

"Wir sehen einen bedeutenden Übergang zur Milchwirtschaft genau zu dem Zeitpunkt, als die Hirten begannen, nach Osten zu expandieren", fasst Nicole Boivin, Hauptautorin der Studie und Direktorin der Abteilung für Archäologie am MPI für Menschheitsgeschichte zusammen. Welchen entscheidenden Vorteil Milch genau bot, muss noch untersucht werden. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die zusätzlichen Nährstoffe, die reichhaltigen Proteine und die Flüssigkeitsquelle in der rauen und offenen Steppe entscheidend waren. "Wir haben es hier mit einer Art Kulturrevolution zu tun", unterstreicht Shevan Wilkin. "Die Hirten der frühen Bronzezeit realisierten eindeutig, dass der Milchkonsum einige grundlegende Vorteile bot, und als sie dies erkannten, wurde die enorme Ausdehnung dieser Gruppen über die Steppe möglich."

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