30 000 Jahre alte Erreger:Riesenviren aus der Arktis erwachen

Ein Pithovirus in einer infizierten Zelle

Ein Riesenvirus in einer infizierten Zelle

(Foto: Julia Bartoli and Chantal Aberge)

Forscher haben 30 000 Jahre alte Riesenviren aus dem ewigen Eis wieder aktiviert. Die merkwürdigen Erreger zeigen sich trotz langer Tiefkühlung höchst aktiv.

Von Katrin Blawat

Nordostsibirien, minus 13 Grad Durchschnittstemperatur. Genau der richtige Ort, um zu erfahren, auf welch verrückte Ideen das Leben kommen kann. Dort nämlich gibt es, 30 Meter tief im Permafrost versteckt, ganz besondere Viren: Sie sind größer als alle bisher bekannten - und sie können auch nach 30 000 Jahren im Eis wieder zum Leben erwachen.

Wie das geht, berichten Forscher um Matthieu Legendre und Julia Bartoli von der Universität Aix-Marseille in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins PNAS. Die Wissenschaftler haben einen Teil des sibirischen Bohrkerns auftauen lassen. Zugleich lieferten sie den Viren eine Art Köder, der die Erreger dazu animieren sollte, wieder aktiv zu werden: Die Forscher setzten den Erregern ein mögliches Opfer vor, das sich infizieren lässt, einen sogenannten Wirt. In diesem Fall waren das Amöben, das sind einzellige Organismen, die fast überall auf der Welt im Boden vorkommen. Und die Viren taten, was von ihnen erwartet wurde: Sie infizierten die Amöben und töteten diese. Nach Zehntausenden Jahren im Eis waren die Erreger also wieder aktiviert worden.

Das war die erste Überraschung. Die nächste folgte, als die Forscher die reaktivierten Erreger im Mikroskop genauer untersuchten. Dabei zeigte sich, dass die neu entdeckten Erreger nicht nur extreme Überlebenskünstler sind, sondern auch ungewöhnlich groß. 1,5 Mikrometer Länge - das ist Rekord im Reich der Viren. Normalerweise sind diese viel kleiner als andere Erreger wie Bakterien oder Parasiten. Doch der aus dem Permafrost geborgene Erreger übertrifft manches Bakterium bei Weitem und ist größer, als man es noch vor zehn Jahren einem Virus überhaupt zugetraut hätte. Bislang lag die Höchstmarke bei einem Mikrometer, und schon das liegt bis zum 30-Fachen über dem eines durchschnittlichen Virus. Riesenviren nennen Forscher dann auch die Erreger dieser Größenordnung.

Neuartige Gene

Sehr viel ist über sie noch nicht bekannt. Wo überall leben Riesenviren? Wie viele Varianten gibt es von ihnen? Und natürlich: Sind darunter auch solche, die nicht nur Amöben, sondern auch anderen Lebewesen und vor allem Menschen gefährlich werden könnten? Für Letzteres haben Forscher bislang zwar keine Hinweise. Andererseits gilt es als beinahe sicher, dass Riesenviren noch an weit mehr Orten der Erde vorkommen, als bislang bekannt ist. Außer im sibirischen Permafrost wurden weitere Vertreter dieser Gruppe bereits in zehn Metern Tiefe vor der chilenischen Küste entdeckt sowie in Australien in einem Tümpel nahe Melbourne. Auch die Erbgut-Analysen dieser Erreger haben Forscher rätseln lassen: Fast alle Gene der Riesenviren wirken völlig neuartig und sind bislang aus keinen anderen Mikroben bekannt.

Vor diesem Hintergrund wirkt eine weitere Überlegung in der aktuellen Studie einigermaßen beunruhigend. Was passiert, wenn der Klimawandel den Permafrost zunehmend tauen lässt? Niemand weiß, welche merkwürdigen Erreger dann noch zum Vorschein kommen - und ob darunter solche sind, die auch Tier und Mensch gefährlich werden könnten. Vielleicht braucht es eines Tages nicht einmal mehr Forscher, um Riesenviren zum Leben zu erwecken. Das könnte dann auch der Klimawandel erledigen.

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