Geologie:50 Tage Erdbeben

Lesezeit: 2 min

Unter Geologen gilt Istanbul als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt. Die Millionenmetropole wird durch Erdbeben bedroht. (Foto: Marco Bohnhoff/GFZ)
  • Unter dem Marmarameer hat sich vor drei Jahren ein Naturschauspiel abgespielt, das erst jetzt dank neuer Messverfahren entdeckt wurde.
  • Tief im Untergrund kam es zu einem Erdbeben in Zeitlupe.
  • Was sich normalerweise in wenigen Sekunden abspielt, zog sich in diesem Fall über fast zwei Monate hin.

Von Hanno Charisius

Dort, wo Europa geologisch auf Asien stößt, hat vor gut drei Jahren eine Art Phantom-Naturereignis stattgefunden: ein Erdbeben, das große Energie freisetzte, aber trotzdem unbemerkt blieb. Im Untergrund bebte es zwar heftig, dafür aber so langsam, dass die daraus resultierende Verformung erst jetzt von einem internationalen Forscherteam registriert wurde. Was sich normalerweise in Sekunden abspielt, dauerte im Sommer des Jahres 2016 mehr als 50 Tage.

Solche langsamen Beben spielen sich in großer Tiefe ab, wo das Gestein nicht mehr spröde ist und bricht, wenn es unter zu großer Spannung steht, sondern zäh wie Honig fließt. "Solche langsamen Beben sind erst seit 15 Jahren bekannt", sagt der Geologe Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum GFZ, der an der Studie beteiligt war. Er vergleicht diese Deformationen mit Atembewegungen der Erdkruste, die sich an der Oberfläche in schwachen Erdbeben äußern kann. So war es auch in diesem Fall.

Erdbebenrisiko in Istanbul
:So wollen Geologen vor Erdbeben warnen

Ein großes Erdbeben in Istanbul ist aus Sicht von Geologen längst überfällig. Doch die Forscher haben auch gute Nachrichten.

Von Sebastian Kirschner

Um dem ultralangsamen Kriechprozess im Untergrund auf die Spur zu kommen, mussten die Forscher eine neue Methode zur Datenauswertung entwickeln. Zusammen mit Kollegen vom türkischen Katastrophenschutz AFAD und dem UNAVCO-Institut berichten GFZ-Geologen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Earth and Planetary Science Letters über ihre Entdeckung.

Das Team überwacht die sogenannte nordanatolische Verwerfung im Nordwesten der Türkei bereits seit Jahren. Dort stoßen Eurasien und die Anatolische Platte aufeinander und es kommt regelmäßig zu zerstörerischen Erdstößen. Vor 20 Jahren etwa starben fast 20 000 Menschen durch ein Erdbeben bei Izmit. Geologen rechnen bereits seit Langem mit einem weiteren verheerenden Erdstoß im Großraum Istanbul.

Deshalb haben die Wissenschaftler in dieser Region ein Netz von Sensoren installiert, die sie durch Bohrlöcher versenkt haben, um selbst die feinsten Erdbewegungen aufzeichnen zu können, "bis in den Bereich eines Atomdurchmessers", sagt Bohnhoff. Das internationale Geologenteam identifizierte das Kriechsignal in der Erdkruste aber erst, nachdem die Daten verschiedener Bohrloch-Messstationen neu ausgewertet waren. Demnach entfaltete sich das Erdbeben wie in Ultrazeitlupe über fast zwei Monate hinweg.

Den Forschern gibt das neue Einblicke in die spannungsreichen Reibereien der Kontinentalplatten, und es ermögliche, "das regionale seismische Risiko besser zu verstehen und zu quantifizieren, insbesondere für die 15-Millionen-Stadt Istanbul im Hinblick auf das bevorstehende Starkbeben", sagt Bohnhoff.

Der Geologe glaubt, dass jederzeit ein Starkbeben die Metropole am Marmarameer erschüttern könnte. Deshalb arbeiten er und seine Kollegen daran, die Vorhersage von Erdbeben zu verbessern. Ort und Stärke eines drohenden Bebens können die Wissenschaftler bereits recht gut eingrenzen, nur der Zeitpunkt lässt sich kaum abschätzen.

© SZ vom 31.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Napoleon
:Entschied ein Vulkanausbruch die Schlacht von Waterloo?

Atmosphärenforscher sind sicher, dass der indonesische Vulkan Tambora 1815 zu Napoleons Untergang beigetragen hat.

Von Patrick Illinger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: