Ressourcenknappheit:Wasserkrise in Iran

Ressourcenknappheit: Die Brücke Pol-e Khadjou ist eine Sehenswürdigkeit von Isfahan. Doch der Fluss darunter führt seit Langem kein Wasser mehr.

Die Brücke Pol-e Khadjou ist eine Sehenswürdigkeit von Isfahan. Doch der Fluss darunter führt seit Langem kein Wasser mehr.

(Foto: Jose Fuste Raga/mauritius images)

"Wir hoffen auf die Gnade Gottes, dass er uns Regen geben möge": Wo einst Wasserfälle sprudelten, ist heute nur noch aufgeplatzte, staubige Erde. Millionen Menschen in Iran leiden unter akutem Wassermangel.

Von Paul-Anton Krüger, Isfahan

Die Abendsonne taucht Isfahan in weiches Orange. Tagsüber waren es 42 Grad, die brutale Sommerhitze lässt nach. Familien finden sich unter den Schatten werfenden Bäumen am Ufer des Flusses zum Picknick ein. Sie kochen Tee, knabbern Sonnenblumenkerne. Seit mehr als 2000 Jahren haben Menschen sich des Wassers wegen hier niedergelassen. Erstmals erwähnt wurde die Stadt im Jahr 20 nach Christus vom griechischen Geografen und Geschichtsschreiber Strabon. Eine fruchtbare Oase, gespeist aus den Bergen des Zagros. Auf fast 4000 Metern Höhe entspringt dort der Zayandeh-Rud, auf Deutsch der "Lebensspender-Fluss".

Bis zu 150 Meter breit ist sein Bett in Isfahan, überspannt von elf Brücken. In Reiseführern und auf Postkarten finden sich Bilder der 1602 gebauten Si-o-se Pol, deren 33 Pfeiler sich im trägen Wasser spiegeln. Oder der zweistöckigen Pol-e Khadjou, halb Brücke, halb Stauwehr. Doch es spritzt und rauscht nicht mehr, nichts ist zu spüren von der kühlenden Gischt. Ihre Treppen, über die das Wasser plätscherte, liegen trocken. Seit zwei Jahren ist der einst wasserreichste Fluss in Zentraliran versiegt. Geblieben ist eine Wüste aus Schotter und aufgeplatzter, roter Erde. Sie zieht sich wie eine Narbe durch die Stadt.

"Der Zayandeh ist die Seele der Stadt", sagt Hassan Hosseini, 63, ein pensionierter Lehrer. Er sitzt mit seinem Sohn und dessen Familie am Ufer unter einer riesigen Platane, in einem Park entlang des Zayandeh. "Früher führte der Fluss das ganze Jahr Wasser", sagt er. "Doch seit sieben oder acht Jahren schon fiel er im Sommer trocken." Da währte die Dürre auf der zentralen Hochebene Irans schon ein Jahrzehnt. "Wir kommen weiter hierher, dieser Ort hat eine tiefe Bedeutung für uns", sagt Hosseini. Das Grün, das Wasser, allein das habe die Menschen fröhlich gestimmt. Aber jetzt komme selbst in ihrem Haus an manchen Tagen nichts aus dem Hahn.

35 Millionen Menschen im Land sind vom Wassermangel bedroht

Isfahan ist zum Symbol der Wasserkrise in Iran geworden, die große Teile des Landes im Griff hat. "334 Städte mit 35 Millionen Einwohnern kämpfen derzeit mit Wassermangel", warnte im April der für Wasserangelegenheiten zuständige Energieminister Reza Ardakanian. Für mehr als 100 Städte und 17,2 der 82 Millionen Iraner gelte Alarmstufe Rot, sagte er, weitere 17,3 Millionen lebten in Gebieten, die ebenfalls schon von akutem Wassermangel betroffen seien. Der Minister versteht etwas davon, er ist Professor für Wasserwirtschaft. Schon vor fünf Jahren warnten Regierungsmitarbeiter, bis zu ein Dutzend Provinzen könnten bis 2025 unbewohnbar werden.

Immer wieder kommt es zu Protesten und Zusammenstößen mit der Polizei, in der Provinz Isfahan im März und erst vor wenigen Tagen in der Provinz Khuzestan, die an Irak und den Persischen Golf grenzt. In der Hafenstadt Khorramschahr und auch in Abadan war über mehrere Tage das Leitungswasser verschmutzt und salzig, angeblich wegen eines Rohrbruchs. Die Polizei feuerte Tränengas, es gab Berichte, dass mindeste ein Demonstrant von Schüssen verletzt worden sei. Auch Isfahan erlebte 2013 und 2016 Demonstrationen gegen den Wassermangel - und die Regierung.

Denn die Ursachen für die Knappheit liegen nicht nur darin, dass in Zentraliran und anderen Gebieten die Niederschläge seit mehr als einem Jahrzehnt deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt bleiben. Die Übernutzung von Wasserressourcen verschärfen die Situation, befeuert durch das Bevölkerungswachstum seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 und fragwürdige Entwicklungsprojekte. "Die Wasserkrise ist eine politische Krise", sagt auch Lehrer Hassan Hosseini am ausgetrockneten Bett des Zayandeh. "Wir hoffen auf die Gnade Gottes, dass er uns Regen geben möge. Aber wenn die Regierung nichts unternimmt, werden wir bald gar kein Wasser mehr haben."

Die grüne Oase - heute straubtrocken

Viele Menschen in Isfahan und am Unterlauf des Zayandeh machen Missmanagement für ihre Probleme verantwortlich. Erst errichtete der Staat Ende der Sechzigerjahre eine Talsperre am Oberlauf, die 1971 in Betrieb ging und in der U-Bahn der Hauptstadt Teheran bis heute auf Plakaten der Regierung als Symbol für den technischen Fortschritt gefeiert wird. Denn so blieben den Bewohnern entlang des Flusses im Frühjahr Überflutungen nach der Schneeschmelze erspart und es stand das ganze Jahr gleichmäßig Wasser für die Landwirtschaft zur Verfügung - das begrüßten die Leuten natürlich. Sie begannen zugleich, im großen Stil wasserintensive Pflanzen wie Weizen anzubauen.

Ende der Neunzigerjahre baute die Regierung dann aber eine Wasserpipeline, um die Wüstenstadt Yazd zu versorgen, Heimat des früheren Präsidenten Mohammad Khatami, wie die Leute in Isfahan betonen; er war von 1997 bis 2005 im Amt. In mit Mörtel ausgekleideten Stahlrohren von 1,6 Metern Durchmesser wird der Fluss umgeleitet. Viele sehen darin die Ursache für die Misere. Zwei Mal, 2013 und 2016, rammten wütende Bauern die Leitung bei Protesten mit ihren Traktoren. In Yazd musste daraufhin das Trinkwasser rationiert werden. Die Reserven reichen nur wenige Stunden, warnte der Chef des Wasserwerks, Hossein Ghafouri.

Ressourcenknappheit: Die Si-o-se Pol vor einigen Jahren, als der Zayandeh noch nicht versiegt war

Die Si-o-se Pol vor einigen Jahren, als der Zayandeh noch nicht versiegt war

(Foto: Behrouz Mehri/AFP)

Die Gegend östlich von Isfahan war einmal eine der fruchtbarsten in Iran. Dutzende Taubentürme, oft mehr als 300 Jahre alt, zeugen entlang des Zayandeh von der Geschichte des Ackerbaus. Die aus ungebrannten Lehmziegeln gemauerten, tonnenförmigen Festungen boten den Vögeln in ihrem Inneren Tausende schachbrettförmig angeordnete Nischen zum Nisten, kleine Einfluglöcher schützten vor natürlichen Feinden. Die Taubenzucht diente nicht dem Fleischverzehr, so wollte man den Mist der Vögel gewinnen, mit dem die Melonenfelder gedüngt wurden. Deren Früchte galten als die besten in Iran.

Neunzig Prozent der Felder werden nicht mehr bestellt

Zwei Millionen Menschen am Unterlauf des Zayandeh konnten einst von der Landwirtschaft leben. Heute führt die Fahrt entlang des Flusses an unbestellten Äckern vorbei, hellbraune Erde, staubtrocken. Auf manchen stehen noch Getreidestoppeln früherer Jahre. Die Bauern haben sie aufgegeben, die Bewässerungskanäle entlang der Straße liegen seit Jahren trocken, erzählen sie. Hunderttausende haben ihre Arbeit verloren, sind nach Isfahan und in andere Städte abgewandert, wo sie sich oft als Tagelöhner verdingen müssen.

Die Furchen und Gräben auf den Feldern, die einst zur Bewässerung dienten, sind noch zu erkennen. Der Wind trägt sie langsam ab, Staubstürme peitschen über die einst fruchtbare Ebene, Salzkrusten bedecken den Boden. In Varzaneh, wo sich der Fluss einst in ein grünes Delta verbreiterte und das Gavkhouni-Feuchtgebiet speiste, demonstrierten im März Tausende. "Tod den Bauern, es leben die Unterdrücker!", skandierten sie, die Umkehrung eines revolutionären Slogans. Neunzig Prozent der Felder würden nicht mehr bestellt, sagt Reza Khalili, der vor 17 Jahren eine Organisation gegründet hat, die sich für den Schutz des Gavkhouni-Feuchtgebiets einsetzt und des kulturellen Erbes von Varzaneh, der kleinen, aber fünf Jahrtausende alten Stadt am Rande der Wüste.

Die grünen Flecken, die sich zwischendurch noch finden, werden mit Tiefbrunnen bewässert, erklärt er. Die alten Brunnen auf den Feldern, oft in kunstvollen kleinen Häusern eingefasst, sind längst trocken, die Bäume daneben nur noch kahle Holzgerippe. "Früher konnte man hier mit der Hand nach Wasser graben", sagt er. Inzwischen sei der Wasserspiegel um zwölf Meter gefallen. Schon länger erteilt die Regierung keine Genehmigungen mehr für neue Bohrungen, auch das Grundwasser in dem Tal ist fast aufgebraucht.

Auch das verbleibende Grundwasser ist in Gefahr

Reza Khalili, 49, hat sanften Tourismus in der Region als alternative Einnahmequelle mit auf den Weg gebracht. Im Innenhof eines traditionellen Gästehauses hockt er jetzt in schwarzer Hose und einem blauen Karohemd auf dem Teppich und zeigt alte Fotos. Spiegelnde Wasserflächen, durch die Zehntausende Flamingos staksen. "Das ist vielleicht 20 Jahre her", sagt er, und fährt sich mit der Hand durchs graue Haar, als könne er selbst nicht glauben. Damals ergoss sich der Zayandeh noch in einem 30 Meter breiten, zwei Meter hohen Wasserfall in das Delta, das mit seinem Süß- und Brackwasser Vögeln, Fischen, Insekten und vielen anderen Tier- und Pflanzenarten Dutzende Quadratkilometer Lebensraum bot, geschützt und für Menschen weitgehend unzugänglich.

Heute läuft nur noch ein schmaler Bach über die Geländekante. Unten sammelt sich gelber Schaum, es riecht dumpf, wie an einer Kläranlage. "Das Wasser, das hier noch fließt, kommt aus artesischen Quellen", sagte er. "Und aus der Kanalisation." Ein paar Vögel sind schon noch da, aber die Wüste frisst sich immer weiter vor - und der Salzsee, in den das Delta mündet. Der undurchdringliche Gürtel mit meterhohem Schilf dörrt aus. Wo einst Grün und Blautöne bis zu den Dünen der Wüste reichten, gibt es immer mehr Beige und Braun. "Dieses Jahr erleben wir den Höhepunkt der Krise", sagt Reza Khalili. Das Delta versalzt immer weiter, und damit ist auch das verbleibende Grundwasser in Gefahr.

Selbst wenn das Wasser zurückkäme, bräuchten die Sümpfe wohl Jahrzehnte, um sich zu erholen. "Das sind komplizierte Ketten, wenn ein Glied bricht, ist alles verloren", sagt er. Viele der kleinen Wassertiere, die Flamingos mit ihren Schnäbeln herausseihen, gibt es nicht mehr, sie vertragen das Abwasser nicht. "Da!", ruft Reza Khalili und deutet in den blauen Himmel. Unverkennbar, die krummen Schnäbel, die langen Hälse. Zwei Flamingos. Schnell das Handy heraus, ein Video aufnehmen von den seltenen Gästen. Er hat Tränen in den Augen vor Glück. Es sind seit Monaten die ersten, die er gesehen hat, und er fährt jede Woche mehrmals hierher. Ein paar Kilometer weiter ist der Zayandeh nur noch ein weißer Streifen aus Salzkrusten, umgeben von übelriechenden Tümpeln. Varzaneh, einst als grünes Juwel der Provinz gerühmt, droht in der Wüste unterzugehen. In Isfahan sehen die Bewohner das als Menetekel für das Schicksal ihrer Stadt.

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