Süddeutsche Zeitung

Umweltschutz:Preisschilder für die Natur

Der Weltbiodiversitätsrat fordert, immaterielle Werte der Natur stärker in wirtschaftliche und politische Entscheidungen einbeziehen. Dazu gehören etwa der Beitrag der Natur zum Wohlbefinden oder Klimaschutz.

Von Thomas Krumenacker

Was keinen Preis hat, ist auch nichts wert. Nach dieser verbreiteten Logik wird zumeist sorglos mit von der Natur zur Verfügung gestellten Gütern umgegangen, die keinen hart zu bemessenden wirtschaftlichen Wert haben. Regen, saubere Luft oder auch Wohlbefinden gehören beispielsweise dazu. Wissenschaftler und einige Politiker plädieren deshalb seit Längerem dafür, bestimmten Naturwerten ein Preisschild umzuhängen. Prominentes Beispiel ist die Natur-Dienstleistung der Insektenbestäubung für die Lebensmittelproduktion. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES hat den Wert für diese sogenannte Ökosystemleistung bereits vor einigen Jahren auf bis zu 600 Milliarden Dollar pro Jahr beziffert.

Jetzt gehen die Forscher des UN-Gremiums einen großen Schritt weiter: In einem am Montag in Bonn vorgestellten neuen Report zu "Werten und Bewertung der Natur" plädieren sie dafür, Naturwerten nicht nur ein Preisschild umzuhängen, sondern viele verschiedene.

Denn das Team aus 85 Forscherinnen und Forschern aus Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften hat in seiner vierjährigen Arbeit für den neuen Report die Nichtberücksichtigung vieler von der Natur gestifteter Werte als eine Hauptursache für die weltweite ökologische Krise ausgemacht.

"Die biologische Vielfalt und mit ihr die Leistungen der Natur für den Menschen werden heute schneller zerstört als je zuvor in der Geschichte der Menschheit", sagte die IPBES-Vorsitzende Ana Maria Hernández Salgar bei der Vorstellung des Berichts. "Das liegt vor allem daran, dass unser derzeitiger Ansatz für politische und wirtschaftliche Entscheidungen die Vielfalt der Werte der Natur nicht ausreichend berücksichtigt."

Die Konzentration auf beständiges Wachstum und kurzfristige Gewinne stütze sich auf zu enge makroökonomische Indikatoren wie das Bruttoinlandsprodukt, kritisiert der Rat. Die von der Natur gestifteten Werte würden darin nur dann berücksichtigt, wenn sie sich etwa als Kosten für Rohstoffe widerspiegelten. Das lasse aber vielfältigste Naturwerte außer Acht, die nicht minder bedeutsam seien.

"Die Natur in all ihrer Vielfalt ist das größte Gut, das sich die Menschheit nur wünschen kann."

Um für sie Preisschilder zu ermitteln, verweist der Rat auf mehr als 50 komplexe Bewertungsmodelle, die unterschiedliche Perspektiven einbeziehen. In eine Kosten-Nutzen-Berechnung für Entscheidungen über Marktinvestitionen, Infrastrukturprojekte oder auch politische Ziele könnten etwa Naturbeiträge zur Klimaregulierung, zum menschlichen Wohlbefinden oder zur kulturellen und spirituellen Identität "eingepreist" werden. Auch bestimmten Rechten, wie das Recht von Fischen, in einem Fluss unabhängig von menschlichen Bedürfnissen zu leben, könne ein Wert zugewiesen werden.

Konkret würde dies beispielsweise für ein großes Entwicklungsprojekt in einem Regenwaldgebiet bedeuten, zwischen den wirtschaftlichen Vorteilen wie Gewinn und der Schaffung von Arbeitsplätzen einerseits sowie intrinsischen Werten wie dem Verlust von Arten und Werten der kulturellen Identität etwa durch die mögliche Zerstörung von Kulturstätten andererseits abzuwägen.

"Die Natur in all ihrer Vielfalt ist das größte Gut, das sich die Menschheit nur wünschen kann, und doch wird ihr wahrer Wert bei der Entscheidungsfindung oft außer Acht gelassen", sagte die Chefin des UN-Umweltprogramms, Inger Andersen, in Bonn. Der IPBES-Bericht hält aber auch eine gute Nachricht bereit. So sehr der verengte Blick auf das, was als wertvoll angesehen wird, die globale Öko-Krise befeuert habe, so sehr könne eine Weitung der Perspektiven auch helfen, sie zu beenden, schreiben die Experten. Das ist allerdings keine kleine Aufgabe: Dies bedeute eine Neudefinition von "Entwicklung" und "guter Lebensqualität", folgern sie.

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