Süddeutsche Zeitung

Interview:"Wie mit der Schrotflinte"

Der Künstler Paul Quast arbeitet an einer Gebrauchsanleitung für die Erde.

Von Stefan Wagner

Der Künstler Paul Quast, 29, arbeitet an der University of Edinburgh und ist Direktor der "Beyond-the-Earth"-Stiftung. Im International Journal of Astrobiology veröffentlichte er den ersten umfassenden Katalog aller Gegenstände und Nachrichten, die der Mensch bislang in den Weltraum geschossen hat, um außerirdische Intelligenzen über die Welt zu informieren.

Sie haben Ihre Liste in jahrelanger Kleinarbeit erstellt. Warum?

Paul Quast: Ganz einfach, weil es eine solche Aufstellung bisher nicht gab und ich es für wichtig halte, einen Überblick zu bekommen, welches Bild wir von unserem Planeten vermitteln. Das ist bisher komplett unkoordiniert abgelaufen. 1959 begannen die Sowjets damit. Sie schossen eine Art Metallfußball auf den Mond, der auf der Oberfläche explodierte und Dutzende Metallplättchen mit der Aufschrift "UdSSR Januar 1959" verstreute.

Und dann?

Es folgten Bilder von Affen und Ozeanen, Twitternachrichten, eine DVD mit einem Video rumänischer Turnerinnen, Walgesänge, eine sechs Minuten lange Aufnahme einer Stephen-Hawking-Rede, Urnen mit der Asche verstorbener Astronauten, Diamanten, Legofiguren, Listen chemischer Elemente, ein Beatles-Song mit Botschaft von Paul McCartney ("Viele Grüße an die Aliens!") und Fotos stillender Mütter. Dazu kommt noch der unabsichtlich im Weltall zurückgelassene Weltraumschrott, also Teile und Trümmer von Raummissionen oder Werkzeuge.

Das klingt zwar etwas ungeordnet, ist aber vielleicht ein ganz guter Querschnitt der menschlichen Existenz.

Es ist, wie wenn man eine Schrotflinte abfeuert. Niemand weiß, welche der Tausenden Einzelinformationen jemals ankommen. Was, wenn nur eine Werbung für Kartoffelchips Bote unserer Existenz wird? Klar, man kann sagen, dass gerade die Bandbreite dieser Objekte und Nachrichten einen guten Eindruck von der Vielfalt der Erde vermittelt. Das ist letztlich das Ziel. Dennoch: nachdem ich alles katalogisiert hatte, merkte ich, dass wir den Menschen zu sehr in den Vordergrund gestellt haben. Es fehlen viele wichtige Infos zu unserem Planeten und der Natur. Das ist natürlich auch ein Spiegel dessen, wie wir selbst unsere Rolle im Universum sehen.

Wäre eine Art Behörde sinnvoll, die alles registriert, was ins All gelangt?

Das ist technisch unmöglich und auch sonst nicht kontrollierbar. Es könnte rasch zu Regulierung führen und der Frage, wer über unsere Darstellung entscheiden soll und wie viel biologische, soziale, ideologische und kulturelle Verschiedenheit Außenstehenden vermittelbar ist. Niemand kann für uns alle sprechen, aber es muss uns bewusst sein, dass es diese Nachrichten sind, die letztlich unser Vermächtnis sind. Die große Frage bleibt: Was sollen die Empfänger von uns denken?

Ist das Problem nicht, dass Aliens wahrscheinlich weder Kassettenrekorder noch DVD-Player haben?

Klar, das sind die praktischen Probleme. Wo kommt der Strom für den Plattenspieler her, dessen Bauanleitung mit der Schallplatte geschickt wurde? Wie sollen Außerirdische Nachrichten auf Englisch oder Japanisch oder Russisch verstehen? Werden sie überhaupt Augen oder Ohren haben. Je simpler die Botschaft, desto besser. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die Empfänger es schaffen werden, aufgrund der mitgeschickten Hardware und ihrer eigenen Intelligenz eine Lösung zu finden.

Was sollten wir tun?

Am wichtigsten erscheint mir, dass wir keine Zerrbilder liefern. Sollen wir zum Beispiel Bilder des Holocaust oder des Völkermords in Kambodscha mit dem Universum teilen? Es könnte als Bedrohung missverstanden werden und nicht als Dokumentation großen Leids. Am klügsten wäre es, sehr sehr viele komprimierte identische Datenhappen auszusenden, die klare Hinweise auf große Lagerstätten oder Speicher für Kulturgüter auf der Erde geben. Dort könnten wir dann in viel größerem Umfang zeigen, was den Planeten und seine Bewohner ausmacht - oder ausgemacht hat. Unsere Stiftung ist derzeit dabei, einen "Companion Guide to Earth" zu erstellen, also eine Art Gebrauchsanleitung für die Erde.

Das führt zu einer entscheidenden Frage: Glauben Sie an Aliens?

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es außerirdische Lebensformen gibt, eine Form von Intelligenz irgendwo im Universum. Wir sind nicht allein - aber wir werden es aller Voraussicht nach noch sehr lange sein. Es geht aber nicht nur um Außerirdische, sondern auch darum, unseren entfernten Nachfahren auf der Erde in Tausenden oder Millionen Jahren etwas über uns mitzuteilen. Es ist wie eine Zeitkapsel oder eine Flaschenpost für künftige Generationen.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2018
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