Süddeutsche Zeitung

Interview:"Kein Entweder-oder"

Maria Krautzberger, Chefin des Umweltbundesamts, über den zähen Kampf gegen die Erderwärmung.

Interview von Michael Bauchmüller und Christopher Schrader

SZ: Deutschland spürt vom Klimawandel bisher wenig. Machen wir vielleicht zu viel Aufhebens darum?

Krautzberger: Nein, ganz sicher nicht. Zum einen sprechen wir nicht über ein deutsches, sondern ein internationales Problem. Und was Deutschland angeht: Ja, der Klimawandel kommt schleichend daher, nicht spektakulär. Aber wir sehen durchaus regional erste Auswirkungen. Künftig werden wir die Folgen noch viel klarer beschreiben können.

Nämlich wie?

Wir haben mittlerweile die Indikatoren, um Veränderungen zu messen. Da geht es nicht nur um die Zahl der heißen Tage, sondern auch um die Zusammensetzung von Vogelgemeinschaften, die Struktur des Waldes oder den Säuregehalt von Rieslingtrauben. Erstmals haben wir das nun mit dem Monitoring-Bericht getan, in Zukunft wird das regelmäßig geschehen. Damit können wir besser reagieren. Dass es den Klimawandel gibt, auch in Deutschland, kann keiner ernstlich bestreiten.

Aber man kann über seine Folgen streiten, Hitzewellen, Missernten, Meerespegel: Viele der düstersten Prognosen traten bisher nicht ein.

Es ist aber erwiesen, dass der Meeresspiegel steigt und die Hitzebelastung zugenommen hat, die Zahl der Extremwetterereignisse. Aber wir haben nicht die Katastrophen, wie wir sie in anderen Teilen der Welt sehen. Gerade deshalb müssen wir an dem Thema dranbleiben.

Bleiben die Bürger denn auch dran? Die wurden erst in Alarm versetzt, doch viele sehen nun: Es passiert ja kaum etwas.

Darum mache ich mir bisher keine Sorgen. Die Aufmerksamkeit in Deutschland ist immer dann hoch, wenn es zu schwierigen Phänomenen kommt, etwa beim Eichenprozessionsspinner oder bei längeren Trockenperioden. Die Menschen sind sehr empfindlich für Veränderungen in ihrer direkten Umgebung.

Solche Veränderungen aber treten ohnehin erst in Jahrzehnten ein. Das könnte die Motivation erlahmen lassen.

Das sehe ich nicht so. Was wir vorschlagen, sind Gewinnermaßnahmen. Es ist so oder so richtig, der Bodenerosion vorzubeugen, genauso ist der Waldumbau ein ökologischer Gewinn. Und jetzt zu reagieren, bestimmte Bereiche auf den Klimawandel vorzubereiten, ist in jedem Fall richtig. Das ist vorausschauende, vorsorgende Politik, nicht nur in der Landwirtschaft oder in Wäldern, sondern auch in Städten.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, wenn wir in großen Städten Freiräume lassen, die für eine Abkühlung sorgen, mehr Schatten schaffen oder Wiesen, die über Nacht die Luft abkühlen lassen. An heißen Tagen hilft das jetzt schon.

Wo sehen Sie denn erste reale Auswirkungen des Klimawandels?

Zu allererst sind es ebendiese Hitzephänomene, die sich auf andere Bereiche auswirken. Böden reagieren darauf sehr sensibel, wir beobachten eine zunehmende Erosion. Die Landwirtschaft experimentiert jetzt schon mit Sorten, die mit der Hitze besser klarkommen. Und wir sehen einen Anstieg invasiver Arten, wie die Tigermücke im Oberrheingebiet. Das müssen wir weiter beobachten. Vieles können wir noch nicht mit letzter Sicherheit sagen.

Ist Deutschland dafür gerüstet?

Besser als viele andere Länder. Die Bundesregierung versucht ja auch, gemeinsam mit den Ländern im Dialog über erforderliche Maßnahmen zu bleiben. Auch im Hochwasserschutz, wenngleich das da nicht immer einfach ist.

Wohl wahr - da haben die Länder an den Oberläufen der Flüsse oft ganz andere Sorgen als am Unterlauf.

Ja, dort gibt es verschiedene Interessen, es geht oft auch ums Geld. Aber da muss man gemeinsam Lösungen suchen. Es gibt auch Überzeugungsarbeit, die fruchtet.

Die letzten Hochwasser waren trotzdem eher Fälle für Bundeswehr und THW.

Aber auch bei den Ländern reift die Erkenntnis, dass so etwas wie die Renaturierung von Auenwäldern vor Hochwasser schützen kann. Katastrophenschutz ist das letzte Mittel, aber wir müssen uns auch dafür rüsten.

Und was müssen Bürger selbst leisten?

Zunächst einmal müssen auch die verschiedenen politischen Ebenen etwas leisten. Die Kommunen zum Beispiel setzen sich zunehmend mit dem Klimawandel in den Städten auseinander. Auch die Wirtschaft wird sich darauf einstellen müssen, sie ist betroffen durch Hitze und Wasserverknappung. Das sind ja sehr viele Akteure von der Landwirtschaft bis zur Industrie, wenn es zum Beispiel um die Kühlung von Anlagen geht. Bürger sind letztlich individuell ganz unterschiedlich betroffen.

Alle zusammen könnten sich auch bemühen, weniger Treibhausgase auszustoßen. Wäre doch auch eine Lösung.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt da kein Entweder-oder. Wir brauchen beides, Klimaschutz und Anpassung. Man muss doch nur überlegen, dass Klimagase, die jetzt in der Atmosphäre sind, das Klima noch für Hunderte von Jahren verändern werden. Nichts, was wir jetzt tun, kann das mehr verhindern, selbst wenn wir die Klimagase heute auf null fahren würden. Gleichzeitig müssen wir die anspruchsvollsten Minderungsziele für Treibhausgase verfolgen, um die Effekte des Klimawandels in der Zukunft zu begrenzen.

Zur Person

Maria Krautzberger leitet seit Mai 2014 das Umweltbundesamt. Die Soziologin stammt aus Oberbayern. Sie war Umweltsenatorin in Lübeck und Staatssekretärin in Berlin, bevor sie die Bundesbehörde in Dessau übernahm.

Viel deutet darauf hin, dass es beim Klimagipfel in Paris zwar einen neuen Klimavertrag gibt, aber auf Basis von Freiwilligkeit: Staaten stellen Klimaschutzpläne auf und können sie dann einhalten oder auch nicht. Würde das reichen?

Nein. Es ist aus meiner Sicht absolut zwingend, dass ein Vertrag auch feste Minderungsziele umfasst. Das ist die Voraussetzung für erfolgreichen Klimaschutz, flankiert von verbindlichen Zielen für die Anpassung. Wenn man sieht, was der Klimawandel weltweit an Katastrophen auslöst, wie er Menschen zu Flüchtlingen macht, dann muss zum Klimaschutz auch die Unterstützung der Betroffenen gehören, vor allem vonseiten der Industriestaaten.

Deutschland richtet kommende Woche den G-7-Gipfel aus. Was kann die Kanzlerin dafür tun?

Sie kann dafür werben, dass die G-7-Staaten sich stärker engagieren. Und dass sie zur Kenntnis nehmen, dass Klimawandel, Dürreperioden oder der Anstieg des Meeresspiegels auch die Sicherheitspolitik berührt - und dass wir mehr helfen müssen, als wir das bislang tun. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hat kürzlich gesagt, erneuerbare Energien könnten Friedensbringer sein. Das ist sehr pathetisch gesprochen, birgt aber viel Wahres. Schon weil sich dadurch der Kampf um fossile Rohstoffe erledigen könnte. Das zu diskutieren, wenige Monate vor der Klimakonferenz in Paris, ist die Chance dieses Gipfels.

Stattdessen streitet die Koalition in Berlin über eine Klimaabgabe zulasten alter Braunkohle-Kraftwerke. Wie glaubwürdig ist Deutschlands Klimapolitik?

Sie meinen den Vorschlag aus dem Wirtschaftsministerium? Bisher hält Sigmar Gabriel ja in dieser Frage Kurs. Ich kann ihm nur Erfolg wünschen. Wenn man glaubwürdig Klimapolitik betreiben will, ist der Ausstieg aus der Kohle perspektivisch unverzichtbar.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2015
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