Interview:"Die Menschwerdung begann mit dem Urknall"

Dass es einmal Menschen geben würde, war von Anfang an klar, erklärt Simon Conway Morris von der Universität Cambridge im SZ Wissen.

Katrin Blawat

Die Entwicklung des Menschen ist abgeschlossen, sagt Simon Conway Morris, Paläobiologe an der Universität Cambridge. Bereits beim Urknall habe festgestanden, dass es einmal Menschen geben würde.

Interview: Simon Conway Morris hat kürzlich das viel diskutierte Buch "Jenseits des Zufalls" auf Deutsch veröffentlicht.

Simon Conway Morris hat kürzlich das viel diskutierte Buch "Jenseits des Zufalls" auf Deutsch veröffentlicht.

(Foto: Foto: Universität Cambridge)

SZ-Wissen: Mr. Conway Morris, als Evolutionsforscher beschäftigen Sie sich vor allem mit Vergangenem. Reizt es Sie nicht manchmal, sich auch die Zukunft auszumalen?

Conway: Natürlich. Science-Fiction-Autor zu sein, muss viel Spaß machen.

SZ-Wissen: Wie würden Sie die Zukunft der Menschheit darstellen?

Conway: Das Problem ist: Wissenschaftlich gesehen habe ich keine Ahnung. Aber ich glaube nicht, dass wir noch viel erwarten können.

SZ-Wissen: Der Genetiker Steve Jones von der Universität London hat kürzlich gesagt, die Evolution des Menschen sei abgeschlossen.

Conway: Ich glaube, damit liegt er richtig. Aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht hat die Menschheit eine völlig neue Stufe der Organisation erreicht.

SZ-Wissen: Was ist das Neue daran?

Conway: Zum ersten Mal in der Geschichte des Lebens befinden wir in etwas, das ich die "kognitive Welt" nenne. Unser Alltag ist nicht mehr von dem Bemühen bestimmt zu überleben. Viel mehr Zeit als mit der Sicherung unserer Existenz verbringen wir jetzt damit, gute Ideen zu haben und sie anderen zu verkaufen. Und im Großen und Ganzen fahren wir ja ganz gut damit.

SZ-Wissen: Gute Ideen hatten die Menschen vor Jahrtausenden doch auch schon: Landwirtschaft zu betreiben zum Beispiel.

Conway: Da waren sie aber nicht die Ersten. Die Landwirtschaft ist sieben- oder achtmal unabhängig voneinander entstanden. Das bekannteste Beispiel sind die Blattschneiderameisen und ihre Pilzkulturen.

Es gibt aber auch Fische wie einige Riffbarsche, die Monokulturen anlegen und sie pflegen.

SZ-Wissen: Gärtnernde Fische kann ich mir nur schwer vorstellen.

Conway: Warum denn? Landwirtschaft zu betreiben heißt doch nur, dass ich die Ressourcen in meinem Lebensraum nach außen schütze, sie auf einem Platz konzentriere und dann ernte. Das ist alles.

Aber mit diesem Prinzip kann ich meinen Lebensraum kontrollieren, statt dass er mich kontrolliert. Dadurch ge- winnt man Sicherheit, und auf dieser Basis kann sich dann alles Weitere entwickeln.

"Die Menschwerdung begann mit dem Urknall"

SZ-Wissen: Warum hat ausgerechnet der Mensch den Sprung in eine höhere Organisationsform geschafft, in der es zum Beispiel Kunst gibt?

Interview: "Aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht hat die Menschheit eine völlig neue Stufe der Organisation erreicht."

"Aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht hat die Menschheit eine völlig neue Stufe der Organisation erreicht."

(Foto: Foto: dpa)

Conway: Die gibt es bei einigen Tieren auch, zumindest in Ansätzen. Die berühmten Laubenvögel schmücken ihre Nester mit allerlei Glitzerzeug. Das ist auch eine Art von Kunst, die wahrscheinlich der sexuellen Selektion dient. Und neulich habe ich gelesen, dass manche Vögel Farbpigmente aus ihrer Umwelt auf Oberflächen auftragen.

SZ-Wissen: Sie demontieren gerade eines der Kriterien, die oft als einzigartig für den Menschen angesehen werden.

Unterschiede zwischen Tieren und Menschen sind hauchdünn

Conway: Ich denke seit Langem darüber nach, was den Menschen vom Tier unterscheidet, die Antwort fällt mir immer schwerer. Klassischerweise zieht man den Schimpansen zum Vergleich heran. Ich betone lieber die Parallelen zu entfernteren Gruppen, weil sie die stärkeren Argumente liefern. Krähen zum Beispiel gehen sehr geschickt mit Werkzeug um, und Kraken sind hochintelligent.

Je mehr wir über diese Tiere wissen, desto unwichtiger werden die Unterschiede zwischen ihnen und uns. Sie sind nur noch hauchdünn.

SZ-Wissen: Aber es gibt sie noch, zum Beispiel in der Sprache?

Conway: Tiere nutzen zum Teil sehr differenzierte Laute, um Informationen auszutauschen. Aber Sprache meint noch etwas anderes. Mit Sprache kann man unzählige abstrakte Möglichkeiten ausdrücken, alles, was man sich nur vorstellen kann. Das schafft kein Tier. Allerdings frage ich mich, ob nicht einigen Tieren nur noch ein entscheidendes Ereignis fehlt, damit sie die letzte Schwelle zur Vokalisation überschreiten.

SZ-Wissen: Wie sah dieses entscheidende Ereignis in der Entwicklung der Menschheit aus?

Conway: Ich habe mich mit der Besiedelungsgeschichte Australiens beschäftigt, und da kam mir die Idee, dass es ein sprunghafter Anstieg der Bevölkerung gewesen sein könnte.

SZ-Wissen: Sie meinen, je mehr Menschen zusammenleben, umso ausgefeilter wird auch ihre Kultur?

Conway: Das halte ich für möglich. In Australien wuchs die Bevölkerung vor etwa 7000 Jahren sprunghaft, und mit einem Mal begannen die Menschen beispielsweise, ihre Ahnen mit Grabbeigaben zu bestatten. Wir kennen auch Hinweise darauf, dass ihre Sprache zu dieser Zeit viel ausgefeilter wurde.

SZ-Wissen: Weil sie in der Menge anders miteinander kommunizieren mussten?

Conway: Ja, denn auf einmal gibt es viel mehr Gründe sich auszutauschen, zum Beispiel, wenn man über Güter verhandelt. Allmählich entsteht eine Palette an Symbolen, mit denen jeder seine gesellschaftliche Stellung und Macht zeigt und verteidigt. Unsere gesamte Kultur beruht heute auf solch symbolhafter Kommunikation.

"Die Menschwerdung begann mit dem Urknall"

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SZ-Wissen: Das Streben nach Macht und Ansehen hat also den heutigen modernen Menschen hervorgebracht?

Conway: Es kommt darauf an, wie weit man den Blick in die Geschichte zurückrichtet. Dass sich die Menschen zu dem entwickeln würden, was sie heute sind, hat sich nicht erst vor ein paar 100.000 Jahren entschieden. Das war von Anfang an klar.

SZ-Wissen: Was meinen Sie mit Anfang?

Conway: Den Urknall.

Die Evolution funktioniert wie eine Suchmaschine

SZ-Wissen: Seit der Entstehung des Universums soll festgestanden haben, dass es Sie und mich einmal geben würde?

Conway: Natürlich nicht uns beide als Individuen. Und Menschen mussten auch nicht zwangsläufig fünf Finger an jeder Hand haben. Aber ich behaupte, Lebewesen mit einem großen Gehirn, zwei fokussierfähigen Augen und aufrechtem Gang waren seit dem Urknall angelegt. Und auch, dass diese Lebewesen in einer kognitiven Welt ähnlich unserer heutigen leben würden.

SZ-Wissen: Wie kommen Sie zu dieser These?

Conway: Man muss das Schritt für Schritt entwickeln. Nachdem das Leben auf der Erde erst einmal entstanden ist, war die Anzahl der Möglichkeiten, wie es sich weiterentwickeln konnte, sehr begrenzt. In dem System gab es keine Toleranz. So entwickelten sich zwangsläufig irgendwann die ersten Einzeller. Und dann nach der gleichen Logik die ersten Vielzeller, die ersten Wirbeltiere, die Primaten und ganz am Ende wir Menschen.

SZ-Wissen: Aber warum war jeder dieser Schritte unausweichlich?

Conway: Die Evolution funktioniert wie eine Suchmaschine. Sie sucht nach Lösungen, die sich bereits als erfolgreich erwiesen haben, und verwendet sie immer wieder für verschiedene Lebensformen.

SZ-Wissen: Ein Beispiel, bitte.

Conway: Unterirdisch lebende Säugetiere wie der Maulwurf und der australische Beutelmull müssen mit einer großen Menge Kohlendioxid in ihrer Umgebung zurechtkommen. Das Gas ist in den unterirdischen Gängen so stark konzentriert, dass die meisten Säugetiere Probleme bekommen würden. Der Beutelmull ist, wie sein Name sagt, ein Beuteltier, und der Maulwurf ein Säugetier. Wir können also sagen, sie sind nicht miteinander verwandt. Trotzdem überleben beide dank sehr spezieller und komplizierter Anpassungen der biochemischen Vorgänge an die hohe Kohlendioxidkonzentration. Daran sieht man: In einer sehr komplexen Umwelt entwickeln sich sehr komplexe Strukturen.

"Ich bin ohne Einschränkungen Darwinist"

SZ-Wissen: Die Komplexität biologischer Strukturen nutzen Kreationisten als ein Argument gegen Darwins Evolutionstheorie.

Conway: Ich bin ohne Einschränkungen Darwinist, auch wenn die Kreationisten immer wieder versuchen, meine Argumente zu benutzen und sie in einen falschen Zusammenhang zu stellen. Aber ich sage auch: Der Darwinismus kann nicht alles erklären, was wir um uns herum sehen. Das legt nahe, dass in der Evolution zusätzliche Mechanismen wie eben die Konvergenz wirken.

SZ-Wissen: Wie funktioniert das?

Conway: Ein Beispiel sind Pflanzen, die in der Wüste wachsen. Es gibt zwei große Familien: Kakteen und Wolfsmilchgewächse. Sie sind nur sehr entfernt miteinander verwandt ...

SZ-Wissen: ... und sehen sich so ähnlich, dass nur botanisch gebildete Menschen die Unterschiede erkennen.

Conway: Genau darum geht es. Diesen Mechanismus nennen wir Konvergenz. Beide Pflanzenfamilien haben fleischige und oft etwas eingerollte Blätter, einen milchigen Saft und Stacheln. Auf diese Merkmale hat die Evolution in der trockenen, heißen Umgebung mehrfach zurückgegriffen, weil sie sich als die beste Lösung bewährt haben. Dieses Prinzip findet man selbst auf der Ebene einzelner Moleküle. Das macht die Evolution zu einer vorhersagbaren Wissenschaft.

"Die Menschwerdung begann mit dem Urknall"

SZ-Wissen: "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich", hat Mark Twain gesagt. Verhält es sich mit der Evolution ähnlich?

Conway: Das ist ein schöner Satz, und er stimmt. In der Evolution gibt es einen Rhythmus, eine Art Refrain. Die Natur kann ihn leicht verändern und an den unterschiedlichsten Stellen in einem Lied einbauen. Aber der Zuhörer wird das Grundmuster immer wieder erkennen, ganz egal, ob ein Mensch, eine Krake oder ein anderes Wesen dieses Lied singt. Das einzige Problem ist nur der Ursprung des ersten Lebens.

SZ-Wissen: Warum ausgerechnet der Ursprung?

Conway: Weil wir ihn nicht verstehen. Der Ursprung des Lebens war der einzige Zeitpunkt, zu dem noch alles möglich war.

SZ-Wissen: Dann war es also doch Zufall, dass überhaupt ein System entstanden ist, das Leben ermöglicht hat?

Conway: Ja, denn rational betrachtet ist unser Sonnensystem extrem unwahrscheinlich. Bei der Entstehung des Lebens musste wahrscheinlich ziemlich oft gewürfelt werden, bis ein Planet wie unserer entstand.

SZ-Wissen: Das klingt nach einer etwas zusammengewürfelten Theorie: Erst war alles Zufall, und dann soll alles dem Prinzip der konvergenten Evolution gefolgt sein.

Conway: Evolution kann eben nur auf Lebendiges wirken, deshalb brauchen wir für die Zeit davor eine andere Erklärung. Da bin ich natürlich kein Experte, aber ich habe stark den Eindruck, dass niemand wirklich eine Ahnung hat, was die Basis unseres Planeten ist.

SZ-Wissen: Das werden Physiker wohl nicht gern hören.

Conway: Sie sind ja nicht die Einzigen, denen es so ergeht. Wir Evolutionsforscher sind doch in einer ähnlichen Lage. Uns bleibt nichts anderes übrig, als nach einem durchgehenden Muster zu suchen. Erst wenn wir das gefunden haben, besteht für uns die Chance zu verstehen, was Evolution eigentlich bedeutet. Denn machen wir uns nichts vor: Das Schlagwort "survival of the fittest" ist nicht wahnsinnig hilfreich.

"Ich werde nach Aliens Ausschau halten"

SZ-Wissen: Würde es denn helfen, wenn wir Außerirdische träfen, um etwas über uns selbst zu lernen?

Conway: Ja, wenn die Außerirdischen mein Buch "Jenseits des Zufalls" gelesen haben. Aber im Ernst: Mit Außerirdischen verhält es sich wahrscheinlich ähnlich wie mit den ersten Europäern, die in den Tropen eine riesige Artenvielfalt entdeckten. Lauter bizarre Kreaturen schienen das zu sein, ganz anders als im Rest der Welt, so dachte man jedenfalls damals. Aber man muss unter die Oberfläche gucken, dann findet man die Ähnlichkeiten zuhauf.

SZ-Wissen: Können Sie ein Beispiel nennen?

Conway: Mein Lieblingsbeispiel ist der Arm. Wenn man sich das lange, biegsame Tentakel einer Krake genau anschaut, sieht man, dass es genau wie unser Arm ein Handgelenk, ein Ellbogen- und ein Schultergelenk besitzt. Wenn das Tentakel einer Krake und der menschliche Arm im Prinzip gleich gebaut sind, könnte es doch sein, dass dieses Arrangement die optimale Lösung für jede Art von Arm ist.

Warum sollte es dann bei Außerirdischen anders sein? Ich würde mich jedenfalls freuen, sollte ich einmal Wesen von einem anderen Planeten treffen.

SZ-Wissen: Halten Sie das für wahrscheinlich?

Conway: Das nicht, aber ich werde trotzdem genau Ausschau halten.

(SZ Wissen, Ausgabe 3/2009/mcs)

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