Süddeutsche Zeitung

Artenschutz:Insektenvielfalt leidet unter Landwirtschaft am meisten

Biologen haben in ganz Bayern Käfer, Schmetterlinge, Bienen gezählt: Auf Feldern ist die Artenvielfalt besonders niedrig, auch die Urbanisierung trägt zum Schwund bei. Der Klimawandel scheint bislang keine Rolle zu spielen.

Von Benjamin von Brackel

Das Insektensterben hält an, aber noch immer ist sich die Wissenschaft uneins, was der Haupttreiber ist: die Zerstörung der Lebensräume? Pestizide? Oder doch der Klimawandel? Ein bayerisches Forscherteam um Johannes Uhler vom Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Universität Würzburg hat zur Beantwortung dieser Fragen nun ganz Bayern in den Blick genommen - von Unterfranken bis Oberbayern, vom Tiefland bis zu den Alpen. Das ermöglichte erstmals, die Auswirkungen des Klimas und der Landnutzung in Mitteleuropa getrennt zu betrachten.

Ein Heer an wissenschaftlichen Helfern fuhr im Frühling 2019 alle zwei Wochen in Wälder, auf Wiesen und Felder sowie in Städte, um an insgesamt 179 Orten sogenannte Malaise-Fallen auszuleeren. Anschließend wurden die Insekten im Labor gezählt und mittels DNA-Sequenzierung bestimmt. Das Ergebnis ist nun im Fachblatt Nature Communications erschienen: Am wenigsten Insekten gab es demnach in den Städten - zumindest was die Anzahl der Tiere betrifft. Dort fand sich 42 Prozent weniger Biomasse als in naturnahen Lebensräumen wie Wäldern. Die Verstädterung erklären die Autoren deshalb zu einem Schlüsselfaktor für den Insektenschwund.

"Die höheren Temperaturen haben sich eher positiv auf die Insekten ausgewirkt"

Vergleichsweise gut standen hingegen die landwirtschaftlichen Flächen da, die genauso viel Insekten-Biomasse aufwiesen wie die naturnahen Gebiete. "Die Agrarflächen sind auf eine Maximierung der Pflanzen ausgerichtet, insofern können davon auch mehr Insekten leben, zumindest die Generalisten", sagt Uhler.

Ein ganz anderes Bild zeigte sich bei der Vielfalt der Insektenarten. Hier schnitten die Landwirtschaftsflächen am schlechtesten ab. Sie wiesen eine um 29 Prozent geringere Artenvielfalt und sogar 56 Prozent weniger gefährdete Arten auf als die naturnahen Gebiete. Die Städte mit ihren Parks, Friedhöfen und Gärten begünstigen hingegen ein Nebeneinander vieler verschiedener Spezies. "Das heterogene Umfeld der Städte unterstützt ein breiteres Artenspektrum", erklärt Uhler.

Der Klimawandel scheint der Studie zufolge hingegen noch keine größere Rolle beim Insektensterben zu spielen. Denn Vielfalt und Biomasse erwiesen sich als umso größer, je wärmer es in einer Gegend war, und zwar über alle Lebensräume hinweg. "Die höheren Temperaturen haben sich eher positiv auf die Insekten ausgewirkt", sagt Uhler. Wird es wärmer, fährt der Stoffwechsel der Insektenkörper hoch und das könnte deren Vermehrung befördern, schreiben die Autoren. Zumindest bis eine gewisse Schwelle erreicht ist, ab der die Insekten die Hitze nicht mehr ertragen.

Das Untersuchungsjahr 2019 war hierfür ein guter Test, weil es vor zwei Jahren besonders trocken und warm war. "Die thermische Grenze der allermeisten Insekten scheint hierzulande noch nicht erreicht", urteilt Uhler. Im Mittelmeerraum oder in den Tropen wiederum könnte sich der Klimawandel schon negativ auswirken.

Auf Grundlage der neuen Ergebnisse empfehlen die Autoren, in den Städten die Parks auszuweiten und weniger Flächen zu versiegeln. Weil sich die Insekten der Studie zufolge noch am meisten in den Wäldern wohlfühlen, sollten diese geschützt und neue Bäume gepflanzt werden. Das Pflanzen von Bäumen empfehlen die Forscher auch für Landwirtschaftsflächen, auf denen dann Agroforstwirtschaft betrieben werden könne.

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