Süddeutsche Zeitung

Insekten-Roboter:Angriff mit Stubenfliegen

Wissenschaftler statten Roboter immer erfolgreicher mit den Fähigkeiten von Fluginsekten aus. Das US-Militär investiert Millionen in die Entwicklung.

Hubertus Breuer

Floris van Breugel hält einen merkwürdigen Flugapparat in der Hand. Das Gerät soll in einem Atrium der Cornell University in Ithaca, US-Bundesstaat New York, wie eine Fliege mit vibrierenden Flügeln auf der Stelle schweben - ein aerodynamisches Kunststück.

Mit einem Insekt hat das filigrane Flugzeug wenig Ähnlichkeit. Es gleicht einer abstrakten Figur aus Draht. Oben befinden sich gekreuzte Plastikfolien, darunter sechs Kohlefaserstreben, an denen Polyethylenflügel befestigt sind.

Am unteren Ende des Stabs sitzen zwei weitere gekreuzte Plastikfolien. "Die optische Ähnlichkeit ist uns nicht wichtig", sagt van Breugel, dessen Abschlussarbeit am Robotik-Lehrstuhl Hod Lipsons der Flieger ist. "Hier geht es ums mechanische Prinzip."

Fast regungslos in der Luft

Van Breugel legt einen Schalter an dem Gestell um. Die Kunstfliege beginnt wild mit den Flügel zu schlagen. Als der Student loslässt, steigt der Flugroboter senkrecht nach oben und bleibt einige Sekunden fast regungslos in der Luft hängen. Dem Apparat gelingt, was Insekten in der Natur und in der Wohnstube alltäglich vollführen. Breugel stupst die Kunstfliege an, das Vehikel lässt sich nicht aus der Flugruhe bringen.

Das Experiment markiert ein Etappenziel auf dem Weg, Insektenroboter zu schaffen. Es ist das erste Fluginsekt, dass stabil schwebt, ohne von Seitenwind oder einem Stoß zum Absturz gebracht zu werden. Zuvor haben Robotiker in den USA und Europa bereits Roboterfliegen konstruiert, die kaum größer sind als ein Fingernagel, nur 60 Milligramm wiegen, selbständig losbrausen oder 250-mal pro Sekunde mit ihren Flügeln schlagen.

Doch alle Mikroroboter sind der gemeinen Stubenfliege noch unterlegen. Sie scheitern daran, was die Insekten spielerisch meistern: auf engem Raum Haken und Salti schlagen, in der Sekunde das 250-Fache ihrer Körperlänge zurücklegen, kopfüber an der Decke landen und einer Fliegenklatsche ausweichen.

Das Insekt gibt damit die Vision für ihr künstliches Ebenbild vor: Ein wendiger, kleiner und schneller Fliegenroboter, der eines Tages hinter den feindlichen Linien spioniert, im Geröll nach Verschütteten sucht, kleine Sprengkapseln transportiert, Pflanzen bestäubt oder sogar in Schwärmen ferne Planeten auskundschaftet.

Die Herausforderungen sind groß, die Budgets jedoch auch: Der Forschungsarm des US-Verteidigungsministeriums, die Darpa, unterstützt die Studien seit mehr als zehn Jahren mit Millionen Dollar.

Flugapparate zu bauen, die das Brausen der Insektenflügel nachahmen, galt aus aerodynamischer Sicht lange Zeit als unmöglich. Erst mithilfe von Testmaschinen und Computersimulationen enthüllten Forscher, allen voran Michael Dickinson am California Institute for Technology in Pasadena, schrittweise die aerodynamischen Gesetze des Schwirrflugs.

Die Flügel einer Fliege flattern nicht einfach auf und ab, sie verrenken sich in einem selbst erzeugten See von Wirbeln virtuos. Auf den Bruchteil einer Millisekunde genau drehen sie sich um die eigene Achse, beschleunigen, bremsen ab und drehen in entgegengesetzter Richtung wieder auf.

Die Flugmuskeln im Brustkorb der Fliegen arbeiten auf Hochtouren, Sinnesorgane an den Flügelansätzen nehmen die Lage des Körpers im Flug wahr. Völlig enträtselt ist das ausgeklügelte Flügelspiel aber bis heute nicht.

Und das ist nicht das einzige Problem. So müssen die komplizierte Bewegungsmechanik der Chitinpanzer, Muskeln und Nervenbündel in hauchdünne Leichtmaterialien und in Siliziumchips übersetzt werden - das ist die Kunst der Biomimetik.

Wie ein Kolibri

Die Flügel müssen mit raffinierten Motoren und Stromquellen angetrieben, die Bewegungsenergie geschickt gelenkt und die Körperteile koordiniert werden. Dazu braucht es ein dem Insektengehirn ebenbürtiges Kontrollsystem.

Der Steuereinheit künftig die Arbeit etwas zu erleichtern, haben die Cornell-Ingenieure womöglich geschafft. Weil ihr Flatterwesen "passiv stabil" ist, pendelt es stets automatisch wie eine Boje in seine vertikale Position zurück, selbst dann, wenn seine Flugbahn unerwartet gestört wird. Das hilft dem Flieger auch, wie ein Kolibri elegant auf der Stelle zu schweben.

Das gelang zwar 2001 bereits einem Flugapparat an der kanadischen University of Toronto, aber den steuerte noch ein externer Rechner.

Eine Roboterlibelle namens Delfly2 der Technischen Universität Delft wiederum kann zwar selbständig schweben, nur nicht so stabil wie der Cornell-Flieger.

Die nächste Herausforderung ist die Miniaturisierung. Der Flugapparat aus Cornell ist nach Maßstäben der Branche ein Koloss - er ist 60 Zentimeter hoch. Hingegen gibt es bereits ein büroklammergroßes Insekt aus dem Labor Robert Woods an der Harvard University.

Da treiben piezoelektrische Motoren hauchdünne Polyesterflügel an. Doch auch dieses mit federleichten Kohlefaser- und Polymer-Materialien gebaute Fluggerät erhält seinen Strom noch von einer externen Batterie.

Bis das US-Militär Insektenflug-Roboter einsetzen kann, wird noch viel Zeit vergehen. Die Darpa fördert deshalb einen weiteren Ansatz: Warum an Robotern feilen, wenn sich Insekten mit einigen technischen Beihilfen selbst in den Dienst stellen lassen?

Schon jetzt gibt es solche Cyborgtiere. Der Meeresbiologe Jelle Atema von der Boston University steuerte Mitte des Jahrzehnts kleine Haifische, indem er die Geruchszentren mit Gehirnimplantaten beeinflusste und die Tiere so Phantomgerüchen folgen ließ. Am Robotikzentrum der chinesischen Technischen Universität Shandong gelang es Forschern, mittels Implantaten den Flug von Tauben zu steuern.

Die Darpa finanziert seit drei Jahren mit mehreren Millionen Dollar ein Projekt namens "Hi-Mems". Dabei sollen Insektenlarven Kontrollsysteme eingepflanzt werden, die mit den Muskeln oder dem Nervensystem verwachsen. Eine Forschergruppe um Hirotaka Sato und Michel Maharbiz von der University of California in Berkeley ging noch etwas einfacher vor.

Im Januar präsentierten sie auf einer Wissenschaftskonferenz für Mikrosystemtechnik im italienischen Sorrento einen ferngesteuerten Afrikanischen Rosenkäfer, dem sie sechs Elektroden direkt implantiert hatten. Sie waren mit den Flugmuskeln und dem Sehzentrum verbunden und übermittelten über einen auf den Chitinpanzer montierten Funkempfänger die von einem Laptop ausgesandten Steuersignale.

Die Befehle an das Sehzentrum brachten den Käfer dazu, loszufliegen, während ein kurzer Impuls den Flug beendete. Stimulierte man die linken oder rechten Flugmuskeln, schlug der Käfer eine neue Richtung ein. Die Reichweite betrug bis 50 Meter.

Außerdem mussten die Impulse nur gesandt werden, um das Flugverhalten zu ändern. Bei früheren Experimenten, die der Biologe David Stern von der Cornell University mit Motten durchführte, reizten Elektroden die Muskeln über einen außen angebrachten Draht noch ständig, um die Flügel kontinuierlich schlagen zu lassen.

Hightech-Insekt könnten von Vögeln gefressen werden

Das erklärte Ziel der Darpa ist es vorerst, Insekten mit einer Reichweite von 100 Metern zu entwickeln, die sich bis auf fünf Meter an ihr Zielobjekt annähern. Die Energieversorgung soll zudem von der Bewegung oder Körperwärme des Insekts selbst kommen. Dabei besteht bei diesen Cyborgs wie bei den Roboterinsekten das Problem, dass die Lauschgeräte, Messfühler oder Kameras für Geheimmissionen bislang noch nicht winzig genug sind. Und es kann passieren, dass ein Vogel das Hightech-Insekt im Vorbeiflug einfach frisst.

Deshalb sollen die manipulierten Tiere eines Tages im Verband ausschwärmen - ein Projekt, an dem mehrere Forscher am Labor für Intelligente Systeme um Dario Floreano an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne arbeiten. Derzeit entwickeln die Robotiker eine Versuchsplattform für Katastrophengebiete, in denen das Kommunikationsnetz zusammengebrochen ist.

Es sind autonome Leichtflieger, die mit Gyroskop, Wind- und Höhenmessern bepackt in die Lüfte steigen und ein über den Dächern und Bäumen schwebendes Funknetz aufbauen sollen. Winzig und federleicht müssen die Prototypen für diesen Zweck nicht sein, unter den Wolken ist schließlich genug Platz. Sie wiegen deshalb für Mikroflieger erstaunliche 400 Gramm und messen 80 Zentimeter Flügelspannweite.

Das Ziel ist, eines Tages auch winzige Roboterfliegen mit Funkkommunikation und Sensoren auszustatten. Der an dem Projekt beteiligte Jean-Christophe Zufferey appelliert an die Geduld: "Bis es eine 100 Milligramm leichte künstliche Fliege inklusive Stromversorgung und Sensoren gibt, vergehen noch mindestens zehn Jahre."

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Quelle:
SZ vom 04.03.2009/mcs
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