Noch ist unklar, wie groß die regionalen Unterschiede im weltweiten Rückgang der Insekten sind und welche Gruppen der Schwund am stärksten betrifft. Die Daten dazu kann man bestenfalls als lückenhaft bezeichnen. Aber wo es Daten gibt, zeigen diese in den allermeisten Fällen, dass das Reich der Insekten schrumpft, sowohl was die Vielfalt der Arten betrifft als auch die Biomasse. Weitgehend sicher ist auch, dass die Kerbtiere unter vielen Belastungen zugleich zu leiden haben: Lebensraumverluste, Pestizide, Umweltverschmutzung, Klimawandel.
Aber welche Rolle spielt jeder einzelne dieser Faktoren, und welche Wechselwirkungen gibt es? Das ist noch lange nicht abschließend geklärt. In einer aktuellen Studie im Wissenschaftsjournal Nature versuchen Forscher um Charlotte Outhwaite vom University College London nun, die Antwort aus einer Vielzahl an Daten abzulesen. Insgesamt betrachteten sie Studien von 6000 Orten und zu fast 18 000 Insektenarten, darunter Käfer, Fliegen, Bienen, Schmetterlinge und Heuschrecken. Sie konzentrierten sich dabei auf Landwirtschaft und Klimawandel, die in der Biodiversitätskrise generell als zentrale Belastungen gelten. Mit dem Ergebnis: Dort, wo intensive Landwirtschaft betrieben wird und die Erderwärmung beginnt, die Bandbreite der natürlichen Schwankungen zu überschreiten, ist im Vergleich zu naturnahen Landschaften ohne Erwärmung die Biomasse der Insekten im Mittel um fast die Hälfte und die Artenvielfalt um rund ein Viertel verringert.
Allerdings ist es notorisch schwer, solche Aussagen zu treffen, weil es nur wenige Langzeitstudien zur Insektenvielfalt gibt. Eine der seltenen Ausnahmen ist die 2017 in Plos One veröffentlichte Krefelder Studie, die seit 1989 in mehreren deutschen Schutzgebieten einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekten von rund 80 Prozent dokumentierte. Solche Daten gibt es jedoch von den wenigsten Orten, schon gar nicht von außerhalb Europas.
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In naturnahen Landschaften blieb die Insektenvielfalt annähernd erhalten
Dieses Problem versuchten die Forscher zu umgehen, indem sie Daten von verschiedenen Orten kombinierten: Zwar liefen die meisten der verwendeten Studien nur über maximal zwei Jahre, insgesamt aber deckten sie einen Zeitraum von 1992 bis 2012 ab. So konnte das Team um Outhwaite einerseits relativ unberührte Gegenden mit intensiv genutzten Agrarlandschaften vergleichen. Andererseits ließen sich so Erhebungen an einem Ort von Anfang der 1990er-Jahre, als die Erderwärmung noch kaum spürbar war, mit solchen vergleichen, die anderswo zwei Jahrzehnte später gemacht wurden, bei bereits deutlicher Erwärmung. Durch die Kombination der vielen Daten, so die Hoffnung, sollte man die relativen Einflüsse von Landnutzung und Erwärmung herauslesen können.
Dieser Ansatz hat Schwächen; natürlich ist die Insektenvielfalt im tropischen Regenwald eine andere als in der Steppe. Auch die Formen der Landwirtschaft in Asien, Afrika oder den USA sind kaum vergleichbar. "Solche Metastudien sind akademisch interessant, aber es ist schwer, daraus praxisrelevante Schlüsse zu ziehen", sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle, Co-Vorsitzender des jüngsten globalen Biodiversitätsberichts. "Schon die Kategorisierung ist schwierig, was gilt als intensive Landwirtschaft, was als naturnahe Landschaft?"
Trotzdem konnten die Forscher einige plausible Trends identifizieren. So zeigte sich etwa, dass intensive Landwirtschaft in jedem Fall deutliche negative Auswirkungen hatte, während die Insektenvielfalt in naturnahen Landschaften trotz Erwärmung noch einigermaßen erhalten blieb. Es ist allerdings fraglich, ob das noch lange so bleibt, zumal nur Daten bis 2012 betrachtet wurden - seither ist die Erwärmung bereits deutlich fortgeschritten. "Bislang ist die Landwirtschaft als Faktor im Biodiversitätsrückgang tatsächlich wichtiger", sagt Settele. "Aber mit zunehmender Erwärmung wird der Klimawandel aufholen, diesen Trend sieht man heute schon."
Naturlandschaften in der Umgebung von Äckern können als Puffer wirken
Teilweise scheint der Insektenreichtum mit der Erwärmung sogar zuzunehmen, zumindest in naturnahen Gebieten außerhalb der Tropen. Die Forscher warnen allerdings davor, das als Entwarnung zu interpretieren: Viele Arten, die besonders empfindlich auf die Erwärmung reagieren, könnten dort bereits vor längerer Zeit verschwunden sein. Hinzu kommt, dass der Klimawandel zwar manchen Arten erlaubt, nördlichere Gebiete zu erobern, das kann aber nicht die Verluste in anderen Regionen kompensieren, wo es diesen zu heiß geworden ist.
Was sich auch zeigt: Naturlandschaften in der Umgebung von Äckern können als Puffer wirken, um andere Belastungen auszugleichen. Zumindest dort, wo Landwirtschaft nicht in Monokultur und ohne nennenswerten Pestizideinsatz betrieben wird, stellten Outhwaite und ihre Kollegen fest, dass üppige Rückzugsgebiete mit natürlicher Vegetation den Effekt der Erderwärmung fast vollständig kompensieren konnten. In Gebieten mit 75 Prozent naturnahen Flächen bewirkte die Erwärmung nur einen minimalen Insektenrückgang. Waren hingegen in der Umgebung nur noch 25 Prozent naturnahe Flächen vorhanden, brach die Insekten-Biomasse mit der Erwärmung um mehr als 60 Prozent ein.
Dieser Puffer-Effekt sei für ihn das Spannendste an der Studie, sagt Settele. "Das passt gut zu anderen Ergebnissen: Wenn man eine strukturreiche Landschaft mit naturnahen Bereichen hat, kann das die Überlebenschancen von Arten deutlich erhöhen."