Insekten:Die Sammler von Öland

In der Station Linné in Schweden identifizieren Forscher die Insekten der Welt. Schon tausende neue Arten haben sie so entdeckt - mit viel Fleiß und Kreativität.

Von Torben Dietrich

Eine extrem ruhige Hand muss Robert Bergman haben, und das stundenlang. Mit einer Pinzette greift er nach winzigen Insekten, hält sie unter ein Mikroskop und sortiert sie in eines der vielen Plastikröhrchen rechts neben sich, in dem schon jede Menge toter Artgenossen schwimmen. Manche klein und schwarz, andere mit langen, braunen Fühlern. Es ist kein steriles Labor, es gibt weder weiße Kittel noch Gummihandschuhe. Mit langen, grauen Haaren und einem Ziegenbart sitzt Bergman im roten Hemd da, die Ärmel hochgekrempelt. Einige Insekten sind auf einem Stück Toilettenpapier aufgereiht.

Doch die Station Linné auf der Insel Öland im Südwesten Schwedens ist einer der weltweit bedeutendsten Standorte der Insektenforschung. Hier ist das größte Insekten-Identifizierungsprojekt der Welt angesiedelt, das Swedish Malaise Trap Project (SMTP). Die Forscher haben bereits etwa 50 Millionen Insekten klassifiziert.

An 50 Orten in Schweden hatten die Forscher der Station Insektenfallen aufgestellt. Drei Jahre lang wurden darin Tiere gesammelt, insgesamt 80 Millionen Fliegen, Mücken, Ameisen, Käfer und Wespen. Dann begann das Säubern, Sichten, Untersuchen und Sortieren. Etwa 100 Freiwillige halfen, die Netzfallen alle zwei Wochen zu leeren, im Sommer noch häufiger. Das war weniger eine wissenschaftliche als eine praktische Herausforderung. "Wir hatten die allermeisten der Netzfallen an Insekten-Hotspots aufgestellt, also meist in der Wildnis, in Wäldern ohne Straßenzugang oder in Lappland", sagt Pelle Magnusson, Mitarbeiter am SMTP.

1600 neue Arten allein in Schweden

Die Fleißarbeit erledigen die acht festen Mitarbeiter des Projekts nicht alleine. Jedes Jahr kommen bis zu 150 Gastwissenschaftler aus 25 verschiedenen Ländern in die Station, die den Charme einer ältlichen Jugendherbege versprüht. Was treibt die Forscher an? "Die Arten, auf die wir es abgesehen haben, die Hautflügler und Zweiflügler, bilden die Mehrheit der Biodiversität auf der Erde. Sie spielen eine Schlüsselrolle in vielen Ökosystemen", sagt Dave Karlsson, Direktor der Station Linné. "Wir haben während des SMTP bisher neue 1600 Arten in Schweden entdeckt."

Der Namensgeber der Station, der schwedische Naturforscher Carl von Linné, führte im 18. Jahrhundert die bis heute übliche lateinische Bezeichnung von Tieren und Pflanzen ein, und er beschrieb selbst etwa 8000 verschiedene Insekten. "Wir hoffen, ihn mit unseren Neuentdeckungen zu überholen", sagt Karlsson. Und die Chance dazu besteht, immerhin müssen noch etwa 30 Millionen Tiere aus dem SMTP klassifiziert werden. "Allein die 1600 neu entdeckten Arten sind wichtig für Studien des Weltklimas", sagt Karlsson. "Insekten können sehr schnell auf Klimaveränderungen reagieren", erklärt der Stationsleiter. 200 Wissenschaftler weltweit arbeiten mit den gesammelten Sechsbeinern.

Das kleinste Insekt der Welt

Die Sammlung werde auch für künftige Forscher wertvoll sein, weil anatomische Veränderungen der Arten verfolgt werden können. Zum Beispiel erkannten die Forscher in Insektenkollektionen, die nur 25 Jahre alt waren, Unterschiede zu heutigen Exemplaren der gleichen Art, etwa Veränderungen in den Verdauungsorganen oder den Augen. Dass Fliegen und Wespen in letzter Zeit ihre Körpergröße verändert hätten, ist hingegen nicht bewiesen.

Das kleinste Insekt der Welt kann man auf der Station Linné sehen - oder eben nicht sehen. Karlsson reicht einen durchsichtigen Behälter mit einer klaren Flüssigkeit. "Hier siehst du eine Wespe mit Namen Mymaromella chaoi. Sie gehört zur Familie der Mymarommatoidea." Außer winzigen Teilchen in der Flüssigkeit ist rein gar nichts zu sehen. Oder halt, ist dieses eine staubkorngroße Ding nicht größer als das andere? Schwer zu sagen: Zehn Exemplare des winzigen Insekts nebeneinander wären gerade so dick wie ein menschliches Haar.

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