Süddeutsche Zeitung

Informatik:Übersetzerin zwischen Mensch und Maschine

Frances Allen wuchs ohne Elektrizität auf einer Farm auf - und schuf später die Grundlagen für hochmoderne Apps von heute. Nun ist die Computer-Pionierin im Alter von 88 Jahren gestorben.

Von Julian Rodemann

Wenn Politiker in Sonntagsreden fordern, Kinder sollten hierzulande schon viel früher programmieren lernen, heißt es oft, sie müssten "neben Englisch auch die Sprache der Computer sprechen können". Doch wer programmiert, tut dies keinesfalls in einer Sprache, die Computer verstehen. Bevor die etwas mit menschlichen Befehlen anfangen können, müssen sie von der Programmiersprache, man spricht auch vom Quellcode, in für Computer lesbaren Maschinencode übersetzt werden.

Die Mathematikerin und Informatikerin Frances Allen sprach beide Sprachen fließend - sie galt als Pionierin der Compiler. Das sind Programme, die exakt jene Übersetzungsarbeit leisten. Allen erhielt für ihre Arbeit als erste Frau überhaupt den Turing-Award, die allerhöchste Auszeichnung in der Informatik.

Ohne ihre Ideen wären blitzschnelle Apps von heute undenkbar

Als Allen anfing zu programmieren, waren Compiler ineffizient und langsam. In Forschungsprojekten bei IBM während der 60er- und 70er-Jahre dachte sie sich gemeinsam mit Kollegen neue Wege aus, reibungsloser zwischen Mensch und Maschine zu übersetzen. Später widmete sie sich der Parallelisierung. Dabei werden Programme in Teilstücke aufgeteilt, die dann vom Computer gleichzeitig bearbeitet werden - einer der wichtigsten Mechanismen in der Softwareentwicklung. Einige ihrer Ideen prägen noch heute Compiler, ohne die blitzschnelle Apps auf dem Handy undenkbar wären.

Dabei wollte Frances Allen ursprünglich Mathematik-Lehrerin werden. Sie unterrichtete sogar zwei Jahre lang an der Highschool, die sie selbst besucht hatte. Bei IBM fing sie 1957 nur an zu arbeiten, um ihre College-Schulden abzubezahlen. Sie blieb 45 Jahre lang - mit Ausnahme einer dreijährigen Gastprofessur. Ins Klassenzimmer kehrte die passionierte Bergsteigerin nie zurück.

Und doch teilt IBM in der Pressemitteilung zu ihrem Tod mit, dass sich Allen stets um junge Programmierer gekümmert und sie weitergebildet habe - insbesondere Programmiererinnen. Zu ihren Schülerinnen zählte unter anderem die Frauenrechtlerin Anita Borg, die als Begründerin des Cyberfeminismus gilt.

Allen wuchs auf einem Bauernhof ohne Elektrizität auf

"Sie durchbrach die gläserne Decke", zitiert die New York Times ihren langjährigen Kollegen Mark Wegmann. "Zur damaligen Zeit dachte niemand, dass jemand wie sie das erreichen konnte, was sie erreicht hat." Mit "jemand wie sie" meint Wegmann wahrscheinlich vor allem ihr Geschlecht: Als erste Frau wurde Allen zur IBM Fellow ernannt, die höchste Auszeichnung und Karrierestufe in dem Unternehmen. Wie die New York Times berichtet, würdigte IBM Allen auf der Urkunde fälschlicherweise "für seine technischen Leistungen".

Frances Allens Leben steht nicht nur für die Widerstände, denen Frauen in der IT-Welt lange ausgesetzt waren und teils noch sind, sondern auch für den rasanten technologischen Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte: Allen wuchs ohne Elektrizität auf einer Farm nahe der kanadischen Grenze auf - und schuf später die Grundlagen für hochmoderne Apps von heute. In ihrer Kindheit molk sie die Kühe ihrer Eltern, als junge Erwachsene verbesserte sie Fortran, die erste höhere Programmiersprache der Welt. Frances Allen starb vergangene Woche im Alter von 88 Jahren in Schenectady im Bundesstaat New York.

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