Influenze in den USA:"Ein bisschen Panik"

Lesezeit: 3 Min.

Die Erkrankungen in den USA verlaufen glimpflich - Patienten bitten putzmunter zum Interview. Dennoch bereitet sich Amerika auf einen größeren Notfall vor.

Reymer Klüver, New York

Wenn der umgestülpte Einweghandschuh nicht wäre, achtlos ins Gras geworfen, direkt neben dem ebenerdigen Haupteingang der St. Francis Preparatory School. Wenn die vergilbten Rollos in den Fenstern der Klassenräume nicht tief heruntergezogen wären, es nicht bis auf den Gehweg scharf nach Desinfektionsmittel riechen würde und auf den gläsernen Eingangstüren keine gelben Zettel klebten, die verkünden, dass die Schule bis Mittwoch geschlossen bleibt. Dann, ja dann könnte man glatt annehmen, dass es ein ruhiges Wochenende gewesen wäre wie jedes andere in dieser gepflegten Gegend des New Yorker Stadtteils Queens.

Ein Thema für die Zeitungen, aber kein Grund zur Panik: Schweinegrippe in den USA (Foto: Foto: Reuters)

Tatsächlich aber steht die St. Francis Preparatory School, das größte private Gymnasium der USA, im Zentrum eines am Sonntag von der Regierung in Washington ausgelösten nationalen Gesundheitsalarms. Die Schule ist Schauplatz des weltweit folgenreichsten bisher gemeldeten Ausbruchs von Schweinegrippe außerhalb Mexikos.

Nichts also ist normal hier in diesen hochsommerlich warmen Frühlingstagen in New York. Nicht die Reinigungsleute, die, mit Mundschutz und Plastikhandschuhen ausgestattet, den ganzen Tag Tische und Stühle in den Klassenräumen für mehr als 2000 Schüler wienern und die weißen Steinfußböden in den langen Korridoren wischen. Nicht die bunten Luftballons, die für eine offenbar geplante Jubiläumsfeier schon aufgeblasen waren und nun hastig in den grünen Müllcontainer im Hof gestopft wurden.

Und natürlich nicht die aufgelösten Eltern der Schüler, von denen bis zum Wochenende nicht weniger als 150 über Symptome einer Grippeerkrankung geklagt haben: Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber, Erkältung, Hautreizungen. "Es herrscht schon ein bisschen Panik hier", konzediert Bruder Leonhard Conway, Franziskaner-Mönch und Leiter der katholischen Schule, ein ausgeglichen wirkender Mann, der die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen suchte.

Bei 17 der 150 Jugendlichen ist bisher das Virus der Schweinegrippe nachgewiesen: Influenza A, Subtyp H1N1. Bei 28 besteht der Verdacht. Im Gegensatz zu den Menschen in Mexiko hat indes keiner mehr als einen unangenehmen Infekt. Alle sind zu Hause, keiner musste ins Krankenhaus, keiner der bisher insgesamt 40 gemeldeten Grippepatienten in den USA. Robin Henshaw, Mutter von zwei Kindern aus Cibolo in Texas, die sich in Mexiko angesteckt hat, aber offenkundig putzmunter ist, ließ sich sogar vom Sender CBS im Wohnzimmer interviewen - mit Mundschutz.

Dennoch bereitet sich Amerika auf einen größeren Notfall vor - und sei es nur, dass die neue Regierung in Washington sich hinterher nicht sagen lassen will, eine vielleicht weltweite Krise unterschätzt zu haben: In Spanien ist eine Infektion nachgewiesen, in Schottland kamen am Montagabend zwei weitere hinzu.

Schweinegrippe
:Angst vor der Pandemie

Nicht nur in Mexiko kämpfen die Behörden gegen den neuartigen Schweinegrippe-Erreger - denn der breitet sich weltweit aus. Die Bilder.

Jedenfalls war Heimatschutzministerin Janet Napolitano im Weißen Haus vor die Kameras getreten und hatte als Vorsichtsmaßnahme den nationalen Gesundheitsalarm verkündet. Es ist schon der dritte dieses Jahr; das erste Mal herrschte er - von der Öffentlichkeit unbemerkt - während der Inauguration Obamas, das zweite Mal während des Hochwassers im Nordwesten. Die nationale Gesundheitsbehörde zum Schutz vor Infektionskrankheiten, CDC, hatte am Samstag das Mexiko-Virus im Blut der New Yorker Schüler nachgewiesen.

Schweinegrippe
:Fragen und Antworten

Der neuartige Erreger der Schweinegrippe stellt Gesundheitsexperten noch vor Rätsel. Hier die bisherigen Erkenntnisse zu der Krankheit.

Wenn man so will, hat die Schulkrankenschwester von St. Francis den nationalen Alarm ausgelöst. In den USA haben alle größeren Schulen Krankenpflegepersonal, das Kinder betreut, die im Unterricht über Beschwerden klagen oder einen Unfall haben. Der fachkundigen Frau war die hohe Zahl der Kinder unheimlich geworden, die sich bei ihr meldeten. Sie hatte am Donnerstag New Yorks Gesundheitsbehörden benachrichtigt, die einen Tag später reagierten: In Gesprächen mit erkrankten Schülern hatten sie herausgefunden, dass eine Reihe in den Osterferien in Cancún war, der Ferienstadt an Mexikos Karibikküste.

Die Behörden indes versuchten übers Wochenende Panik in der Millionenstadt gar nicht erst aufkommen zu lassen. Gouverneur David Paterson mahnte, dass man nicht "über die Maßen aufgeregt" auf den Krankheitsausbruch reagieren solle.

Und Bürgermeister Michael Bloomberg gab zu Protokoll, es gebe keinen Anlass, die Schulen zu schließen - "nicht zum jetzigen Zeitpunkt". In Queens ging das Leben tatsächlich seinen Gang, als wäre nichts geschehen. Auf dem Spielplatz hinter der Schule war am späten Sonntagnachmittag keine Schaukel frei. Im Cunningham Park gegenüber trafen sich weißgekleidete Baseballspieler zu ihrem üblichen Freizeitspaß. Und im Blue Bay Diner, an derselben Kreuzung wie das Gebäude, in dem gerade der Desinfektionstrupp schwitzte, musste man auf einen freien Tisch warten. Von Panik keine Spur. Nirgendwo in New York.

Die riesige Stadtmaschine ächzt wie gewohnt. Aber sie läuft. Am Montagmorgen wälzt sich, wie stets zu Wochenanfang, die Autoschlange Stoßstange an Stoßstange Richtung City über die Queensboro Bridge, die den Stadtteil Queens mit Manhattan verbindet.

Penn Station und Central Station, die großen Pendler-Bahnhöfe, melden Normalbetrieb. Und vom Liberty Flughafen drüben in Newark startet am frühen Morgen planmäßig der Continental-Flieger Richtung Mexiko City. Die Gesundheitsbehörden haben indes an die Fluggäste Infoblätter verteilt mit Ratschlägen. Zum Beispiel, möglichst häufig die Hände zu waschen. Vielleicht hat Bürgermeister Bloomberg am besten die noch sorglose Stimmung in der Stadt erfasst. Er hatte, nach Gesundheitstipps gefragt, scherzhaft geantwortet, bei Anzeichen von Grippe bloß nicht sofort ins Krankenhaus zu eilen: "Da wird man nur krank."

© SZ vom 28.04.2009/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: