Invasives Insekt:Angriff der Tigermücke

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Die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) kommt mittlerweile auch in Deutschland vor. Sie kann unter anderem West-Nil-, Dengue-, Chikungunya- und Zika-Viren übertragen. (Foto: James Gathany; CDC/dpa)

Die Tigermücke überträgt gefährliche Krankheiten. Jetzt versucht das eingeschleppte Insekt, sich im Süden Deutschlands breit zu machen. Forscher sind alarmiert.

Von Claudia Füssler

Die Mücke glaubt, hier wäre ein Blutwirt, also ein lohnendes Ziel, und fliegt in die Falle", sagt Doreen Werner und schiebt das tonnenförmige Gerät tiefer ins Dickicht. Die Biologin vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung im brandenburgischen Müncheberg steht im Garten eines Mehrfamilienhauses in Freiburg. Die Falle, die sie gerade unter einer Baumgruppe platziert hat, wird im Sommer einmal pro Woche für 48 Stunden eingeschaltet. Dann verströmt sie eine Komposition aus Kohlendioxid und dem, was Doreen Werner "Stink-Stank" nennt: ein Duftgemisch aus Ketonen, Alkoholen und Phenolen, das jeder Mensch über die Haut abgibt. Die Mischung ist abgestimmt auf die Mückenart, die Werner im Visier hat: die Asiatische Tigermücke.

Aedes albopictus, wie die ursprünglich aus Süd- und Südostasien stammende Stechmückenart heißt, ist in Deutschland nicht willkommen. Sie gilt als äußerst gefährlich. Sie ist bei einer Größe von zwei bis zehn Millimetern sehr aggressiv und sticht im Gegensatz zu vielen anderen in Deutschland heimischen Mückenarten auch tagsüber. "Das Tückische an der Tigermücke ist, dass sie gern mehrere Menschen hintereinander sticht, dadurch kann sie zum Überträger von Krankheitserregern werden", sagt Werner.

200 Erkrankte in Italien

Diese Stechlust macht den Tigermoskito nach der Anopheles-Mücke, die Malaria überträgt, und der Gelbfiebermücke zur drittgefährlichsten Mücke weltweit. Der Blutsauger überträgt nachweislich mehr als 20 verschiedene Krankheitserreger. Dazu gehören das Dengue-Fieber, das Gelbfiebervirus, das West-Nil-Virus und das Chikungunya-Fieber, an dem vor zehn Jahren auf der französischen Insel La Réunion fast 250 Menschen starben, rund 270 000 wurden infiziert. 2007 gab es die erste Chikungunya-Epidemie auf europäischem Boden: In Italien erkrankten mehr als 200 Menschen, als eine Asiatische Tigermücke das Virus von einem aus Indien eingereisten Touristen aufnahm und über Stiche verbreitete.

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Die Mücke begann bereits vor gut zwei Jahrzehnten, den europäischen Kontinent zu erobern. In den 1990er-Jahren gelangte sie nach Italien, vermutlich auf einem Frachter, der gebrauchte Autoreifen geladen hatte. In den kleinen Wasserpfützen, die sich in den Reifen bilden, legen die Weibchen gerne ihre Eier ab. In Italien steigt die Tigermücke dann auf Autos um: In ihrer Gier nach frischem Blut folgt sie Touristen und Lkw-Fahrern ins Fahrzeug und wird beim nächsten Stopp in ihre neue Heimat entlassen. Mückenfunde gab es unter anderem bereits in Frankreich, Belgien, Spanien, Griechenland und Slowenien.

Weil viele deutsche Autofahrer die teuren Rastplätze in der Schweiz meiden, ist der nächste Halt nach einem Italienurlaub gerne irgendwo in Süddeutschland, kurz nach der Grenze. Gerne auf einem der Rastplätze entlang der Autobahn A5 nördlich oder südlich von Freiburg. Hier wurden 2005 zum ersten Mal Eier der Asiatischen Tigermücke gefunden, 2007 folgte dann der Fund des ersten eingeschleppten Weibchens. Zumindest hoffen die Forscher, dass die Mücke wirklich erst kurz zuvor per Auto einreiste - und nicht in Deutschland geboren wurde. Denn nichts sorgt die Wissenschaftler so sehr wie der Gedanke, die Tigermücke könnte sich in Deutschland niederlassen.

Dass Doreen Werner jetzt in einem Freiburger Garten steht, ist allerdings kein gutes Zeichen. Freiburg liegt nördlicher als alle bisherigen Fundstellen von Tigermücken. Und der Garten ist weit von der nächsten Autobahnraststätte entfernt. Trotzdem hat die Besitzerin des Gartens im vergangenen August in ihrem Schlafzimmer eine Mücke entdeckt, die ihr seltsam vorkam: mit schwarz-weiß gestreiften Hinterbeinen und einem silberweißen Strich auf dem Kopf. Sie erinnerte sich an das Projekt mueckenatlas.de, von dem sie gelesen hatte. Ein typisches Citizen-Science-Projekt: Bürger in ganz Deutschland sind aufgerufen, Mücken zu fangen und sie einzuschicken. Wissenschaftler vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung und dem Friedrich-Löffler-Institut analysieren die Tiere und erstellen eine Verbreitungskarte. "Wir wollen so nach und nach ein Bild davon haben, wann welche Mückenart wo vorkommt", sagt Doreen Werner, die den Mückenatlas initiiert hat.

Als das Tier aus dem Freiburger Schlafzimmer letztes Jahr unter ihrem Mikroskop landete, war die Biologin alarmiert: Es war ein sehr gut erhaltenes Tigermückenmännchen. Die Männchen stechen allerdings nicht und kommen deshalb auch nicht als blinde Passagiere aus dem Süden nach Deutschland. Überhaupt ist die Tigermücke eher flugfaul, sie legt in ihrem knapp vier Wochen dauernden Leben nur 300 bis 400 Meter zurück. Handelte es sich also um ein in Deutschland geborenes Exemplar?

Funde an jedem fünften möglichen Brutplatz

Werner reiste in den Breisgau, zig Fallen im Gepäck. Sie kontrollierte vor allem Friedhöfe. "Das sind Paradiese für die Tigermücken: volle Wasserkannen, Vasen, Brunnen - die perfekten Bruthabitate", sagt die Forscherin. Dort fand sie alle Entwicklungsstadien der Tigermücke - Eier, Larven und Puppen. So erbrachte sie zum ersten Mal den Nachweis, dass sich das Insekt in Deutschland etablieren kann. Damit das endgültig gelingt, muss die Mücke aber noch die hiesigen Winter überstehen. Die gefundenen Larven und Puppen hat Werner heute noch in der Zucht in Greifswald - um deren DNA abzugleichen mit den Exemplaren, die dieses Jahr schon gefunden wurden und noch gefunden werden. Stimmen sie überein, wovon Werner ausgeht, ist klar: Die eigentlich sehr wärmeliebende Tigermücke hat den Winter überlebt und ist dabei, in Freiburg heimisch zu werden.

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Erst kürzlich hat die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Stechmücken (Kabs) zum ersten Mal eine größere Population der Tigermücke entdeckt. Wieder in Freiburg, jedoch gut fünf Kilometer Luftlinie vom Fundort im Freiburger Osten entfernt. "Wir haben intensiv dort gesucht, wo viele Lkw aus Italien ankommen, und wir sind fündig geworden", sagt Norbert Becker, wissenschaftlicher Direktor der Kabs. In einer Kleingartenanlage haben die Kabs-Leute an jedem fünften untersuchten möglichen Brutplatz wie Regentonnen, Vasen oder Altreifen Larven entdeckt. "Teils einige wenige, teils mehrere Hundert", sagt Becker. Auch Puppen und adulte Tiere seien darunter gewesen.

Deutschland verfolgt jetzt die Strategie, die Italien versäumt hat: Die Verbreitung sofort zu stoppen

Die Mückenjäger haben Glück, sie sind früh dran. "Die meisten Larven waren im gleichen Entwicklungsstadium, das deutet darauf hin, dass es noch nicht viele Generationen gibt. Ansonsten hätten wir mehr unterschiedliche Stadien gefunden", sagt der Biologe Artur Jöst von der Kabs. Genau diese Stadien tummeln sich allerdings bereits dort, wo Doreen Werner ihre ersten Fallen aufgestellt hat: im Freiburger Osten. "Das ist noch kein Beweis, aber durchaus ein Hinweis darauf, dass die Tigermücke hier überwintert haben könnte", sagt Werner.

Ganz gleich, ob sie über den Winter gekommen ist oder nicht: Die Asiatische Tigermücke soll jetzt zurückgedrängt werden - so schnell wie und so weit wie möglich. Bekämpft wird die Stechmücke auf mehreren Wegen. Zunächst einmal wird mit Flyern, Plakaten und Veranstaltungen die Bevölkerung in dem Gebiet informiert und gebeten, die Zahl der möglichen Brutstätten zu minimieren: Regentonnen abdecken und Pfützen vermeiden ist das A und O. Die Kabs verteilt Tabletten mit dem biologischen Insektizid BTI. Es besteht aus einem Bodenbakterium, das tödlich ist für die Mückenlarven. Einige Umweltschützer sehen die Anwendung kritisch. Sie fordern, das Mittel besser zu erforschen. Aber derzeit gibt es kaum Alternativen. Als zusätzliche Abwehrmaßnahme werden Fallen für erwachsene Tigermücken aufgestellt. "Unser Ziel ist es, im Herbst so wenig Weibchen wie möglich zu haben", sagt Artur Jöst, "denn damit sinkt die Zahl der Eier, die den Winter überleben könnten."

Es ist wichtig, die Asiatische Tigermücke in Schach zu halten, sagt auch der mediziner Egbert Tannich vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Die Mücken selbst sind dabei nicht das Problem. Ihr Stich sei unangenehm, aber völlig harmlos. Gefährlich ist, dass die Tigermücke als sogenannter Vektor so viele Erreger von Wirt zu Wirt - also Mensch zu Mensch - tragen kann. "Solange es wenige Mücken gibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine von ihnen einen Menschen sticht, der eine Krankheit wie das Dengue-Fieber in sich trägt, sehr gering", sagt Tannich. "Trifft aber eine große Masse an Tigermücken auf Menschen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Krankheit, die einer von ihnen in sich trägt, auf viele übertragen wird. Dann hätten wir eine Epidemie."

Noch kann er beruhigen: Bisher konnte bei keiner der in Deutschland gefangenen Tigermücken tropische Viren nachgewiesen werden. Damit das so bleibt, ist Tannich zufolge die einzig sinnvolle Strategie jene, die man in Italien verpasst habe: Wehret den Anfängen.

© SZ vom 10.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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