Infektionskrankheiten:Krieg der Keime

Tarnen, täuschen und "mit Handgranaten werfen": Forscher entdecken immer mehr Tricks, mit denen Viren und Bakterien gegeneinander kämpfen und das Immunsystem des Wirts schwächen.

Katrin Blawat

Die Nase läuft, das Fieber steigt und der Darm rumort - wenn es so weit gekommen ist, hat zuvor im menschlichen Körper bereits ein Kampf auf Leben und Tod getobt.

Anthrax Milzbrand

Der Milzbrand-Erreger sondert ein Gift ab, das über mehrere Zwischenschritte die weißen Blutzellen des Immunsystems in ihrer Arbeit behindert. Daher können sich die Bazillen rasch vermehren und im Körper ausbreiten - sogar wenn anfangs ein einzelnes Bakterium einer Schar von Immunzellen gegenüberstand.

(Foto: CDC)

Denn auch Viren und Bakterien müssen sich gegen Konkurrenten aus den eigenen Reihen behaupten, etwa wenn mehrere Bakterienarten darum wetteifern, die selben Zellen zu infizieren. Wer unterliegt, den töten die Sieger. Doch welche Waffen setzen die Mikroorganismen gegeneinander ein? Wie schaffen es die Sieger, sich im gesamten Organismus auszubreiten?

Am heutigen Donnerstag präsentieren Wissenschaftler in den Fachmagazinen Nature und Cell Host and Microbe etliche neu entdeckte Tricks, mit deren Hilfe sich Bakterien gegenseitig überlisten und Mikroben und Viren das menschliche Immunsystem täuschen.

Viele Bakterien betreiben einen erheblichen Aufwand, um Keime fremder Arten von jenen Zellen zu vertreiben, die sie selbst gern infizieren möchten. Die Strategie der Bakterien sei vergleichbar damit, "Handgranaten auf Feinde zu werfen", wie die Mikrobiologin Peggy Cotter von der University of North Carolina sagt.

Ihre Sprache ist wie die aller Immunologen eine recht barbarische. Von Fress- und Killerzellen ist da die Rede, von der Mobilisierung aller verfügbaren Reserven, von Vernichtung und von einem beständigen Wettrüsten. Statt Handgranaten nutzen viele Bakterien einen Gift-Cocktail, den sie in ihre Umgebung absondern und der Mikroben fremder Arten tötet. Andere Organismen vernichten ihre Konkurrenten mit Hilfe von Proteinen, deren Kontakt für Keime anderer Arten tödlich oder zumindest sehr schädlich ist.

Wie in jedem Krieg gerät allerdings auch bei den Mikroben-Kämpfen schnell durcheinander, wer Freund und wer Feind ist. "Im menschlichen Körper prallen ständig Keime aufeinander, auch solche der gleichen Art", sagt Cotter. Daher haben die Bakterien einen wirksamen Schutzschild gegen die Angriffe ihrer "Verwandten" entwickelt.

Eine Mikrobe besitzt sozusagen ihr eigenes Räumkommando: Proteine, die giftige Stoffe der eigenen Art unschädlich machen. Cotter und ihre Kollegen sehen darin eine einfache Form der Sippenselektion: Nahe Verwandte werden verschont, genetisch weiter entfernte Lebewesen hingegen getötet - in der Natur ist dies ein immer wiederkehrendes Prinzip.

Die Mikroben allerdings begnügen sich offenbar nicht damit, ihre Feinde zu töten. Untersuchungen an Bordetella pertussis, dem Erreger des Keuchhustens, geben Hinweise auf eine weitere perfide Taktik. Vermutlich stehlen die Bakterien sowohl die Gift-Maschinerie als auch die Schutzschilde ihrer Feinde, nachdem sie diese getötet haben. "So wächst das Waffen-Repertoire beständig weiter", sagt Cotter.

Dies gilt allerdings auch für den menschlichen Körper, der von Geburt an auf verschiedene Weise gegen krankmachende Mikroorganismen gerüstet ist. So funktionieren mehrere Typen von weißen Blutzellen, darunter auch Fresszellen, als eine Art Immun-Feuerwehr. Sie rückt aus, sobald irgendeine Zelle im Körper einen Eindringling meldet.

Da Bakterien einige Zeit benötigen, um sich zu vermehren, sind zu Beginn einer Infektion die Immunzellen in der Überzahl und daher oft noch im Stande, eine Infektion zu bekämpfen, bevor sie in vollem Umfang ausbrechen kann. Dieses Schutzsystem des Körpers allerdings versagt zum Beispiel dann, wenn es sich bei den Bakterien um den Milzbrand-Erreger Bacillus anthracis handelt.

Wie nun Forscher um Stephen Leppla von den National Institutes of Health entdeckt haben, sondert der Milzbrand-Erreger ein Gift ab, das über mehrere Zwischenschritte die weißen Blutzellen in ihrer Arbeit behindert. Daher können sich die Bazillen rasch vermehren und im Körper ausbreiten - sogar wenn anfangs ein einzelnes Bakterium einer Schar von Immunzellen gegenüberstand.

Wettstreit zwischen Erreger und Wirt

Der Wettstreit zwischen Mikroorganismen und dem Wirt, den sie zu infizieren versuchen, verfolgt immer das gleiche Ziel. Das menschliche Immunsystem arbeitet ein Leben lang daran, seine Feind-Erkennung zu verbessern. Viren und Bakterien haben umgekehrt während der Evolution gelernt, dieser Musterung zu entkommen, indem sie ihre eigene Identität verschleiern.

Wie zahlreiche Viren-Typen vorgehen, beschreiben Mediziner um Michael Diamond von der Universität Washington. Nachdem ein Virus eine Zelle infiziert hat, steht diese unter dem Kommando des Eindringlings. Er bestimmt fortan, welche Stoffe produziert werden - vorausgesetzt, die Zelle identifiziert ihn nicht als Feind, dann könnte sie ihn nämlich in den meisten Fällen vernichten.

Einen Feind erkennt die Zelle daran, dass ihm Markierungen auf der RNS, sogenannte Kappen, fehlen. Die RNS ist ein wichtiges Zwischenprodukt bei der Protein-Herstellung in einer Zelle. Viren jedoch wissen um dieses wichtige Unterscheidungsmerkmal - und haben Wege gefunden, ebenfalls Kappen auf der RNS zu tragen. Pocken-, West Nil-, und Tollwut-Viren beispielsweise können exakt die gleichen Kappen herstellen, wie sie auch die zelleigene RNS besitzt.

Noch trickreicher geht das Lassa-Virus vor. Es verhält sich ähnlich wie ein Bankräuber, der dem Sicherheitspersonal die Uniform klaut und sie sich selbst überzieht. Entsprechend kann ein Protein des Virus der Zell-RNS ihre Kappen stehlen und sich selbst aufsetzen, wie jetzt Virologen um Changjiang Dong von der schottischen St. Andrews Universität gezeigt haben. Der Trick kann tödliche Folgen für einen infizierten Menschen haben: An dem hämorrhagischen Virus sterben Schätzungen zufolge in Westafrika jährlich 5000 Menschen. Eine Impfung gibt es nicht, und auch Medikamente wirken nur wenig.

Dong und seine Kollegen entdeckten außerdem, dass ein Protein des Virus einen bestimmten Typ von RNS-Molekülen zerstört. Ohne diese aber kann der Körper keine Interferone mehr bilden. Normalerweise sendet eine virus-infizierte Zelle sofort diese Botenstoffe aus, um andere Zellen vor den Eindringlingen zu warnen.

Eine mit dem Lassa-Virus befallene Zelle hingegen bleibt stumm, und ihre Nachbarn haben keine Chance, ihre Abwehrsysteme hochzufahren. Von keinem anderen Virusprotein sei dieser Trick bislang bekannt, schreiben die Autoren.

Offenbar empfinden sie so etwas wie Hochachtung vor ihrem Forschungsobjekt, denn einer der Autoren sagt: "Es ist ein Zeichen großer Effizienz, wenn ein Virus mit nur vier Genen Zellen austricksen und viele Probleme verursachen kann."

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