Bildung in Indien:Stolz und Glaube lösen die Probleme der Zukunft nicht

Bildung in Indien: Hitze und Durst in Neu-Delhi: Indien ist, wie viele Länder der Welt, schon heute stark vom Klimawandel betroffen.

Hitze und Durst in Neu-Delhi: Indien ist, wie viele Länder der Welt, schon heute stark vom Klimawandel betroffen.

(Foto: Manish Swarup/dpa)

In Indien verschwindet die Evolutionstheorie aus dem Lehrplan. Diese Rückbesinnung ist brandgefährlich.

Kommentar von David Pfeifer, Delhi

Wenn Ethnologen von morgen die heute bereits fast vergessene Corona-Pandemie untersuchen, werden sie diese Zeit womöglich als eine Ära wahrnehmen, in der die Wissenschaft in vielen Teilen der Welt wieder vom Glauben überholt wurde. Vielleicht ist die Welt doch eine Scheibe, wer weiß das schon so genau? Nun ja, Wissenschaftler haben zumindest eine Vorstellung davon.

Im britischen Wissenschaftsmagazin Nature wurde am Donnerstag beklagt, dass derzeit einige Themen aus indischen Schulbüchern verschwinden. Das Periodensystem der Elemente beispielsweise, oder die Evolutionsgeschichte. Der National Council of Educational Research and Training (NCERT) möchte "Verwurzelung und Stolz auf Indien und seine reiche, vielfältige, alte und moderne Kultur und Wissenssysteme und Traditionen" erzielen.

Die indische Regierung zieht Stolz auf Religion und Nation der Wissenschaft vor

Eine Rückbesinnung auf eine vorkoloniale Zeit, in der die Menschen in Indien höher entwickelt waren als die Barbaren, die das Land später überfallen haben. Der NCERT wird von der indischen Regierung finanziert. Und die bewegt sich leider weg von komplexen Fakten, hin zu emotionalen Narrativen, die einfacher zu vermitteln sind.

Die Gebildeten in Indien sind enorm gebildet. Die Armen aber auch besonders zahlreich und arm. Und wenn die Leute zwischen einem vollen Magen und dem Stolz auf Religion oder Nation wählen dürfen, nehmen sie erstaunlich häufig das Letztere.

Zu den absurderen Narrativen dieser Rückbesinnung gehört, dass es jahrtausendealte hinduistische chirurgische Techniken gibt, um Tierköpfe auf menschliche Körper zu verpflanzen. Als Beleg muss Gott Ganesha herhalten. Subtext: Wir waren schon wer, lange bevor die Briten uns ausgeplündert und gedemütigt haben. Das kommt gut an in der heutigen Zeit, in der die Probleme so komplex geworden sind, dass auch Wissenschaftler daran verzweifeln. Nur, wenn man den Lehrplan zugunsten solcher Narrative umschreibt, erzieht man die Mythomanen von morgen. Die wählen zwar den Stolz, doch Probleme der Zukunft, vom Klimawandel bis zur Wasserknappheit, werden sie auf keinen Fall lösen können. Weder in Indien noch anderswo.

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