Impfung gegen die Schweinegrippe:Vergessene Privilegien

Während Deutschland die Schweinegrippe-Impfung verteufelt, wird übersehen, dass große Teile der Menschheit überhaupt keinen Schutz haben. Dies könnte fatal werden.

Berit Uhlmann

61 Schweinegrippeerkrankungen meldet Birma, zwölf Infektionen der Kongo, je vier sind in Äthiopien und Malawi registriert. So gering wie die offiziellen Zahlen ist auch ihre Aussagekraft. In den armen Regionen der Welt, vor allem in Afrika, sehen manche Menschen niemals einen Arzt, von ihrem Leben oder Sterben erfährt die Welt nichts. Auch Labors zu Bestätigung möglicher H1N1-Infektionen fehlen vielerorts, sagt Sebastian Dietrich, medizinischer Berater von Ärzte ohne Grenzen.

Aidskranker Junge in Malawi

Ein Aidskranker Junge in Malawi. Die geschwächten Menschen in den Entwicklungsländern haben derzeit noch keinen Zugang zu Impfstoffen.

(Foto: Foto: AP)

Sicher ist laut Dietrich nur: Während ganz Deutschland im Zuge des Impfbeginns erbittert darüber debattiert "ob man eine Hautrötung bekommt", haben die chronisch Kranken und Unterernährten in der Dritten Welt überhaupt keinen Schutz vor der neuen Grippe.

"Der Markt an Impfstoffen ist absolut leer", sagt der Mediziner: "Wir haben noch nicht einmal Impfstoff für unser medizinisches Personal in den Entwicklungsländern bekommen." Frühestens Anfang kommenden Jahres könne die Organisation darauf hoffen.

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Noch bevor es einen Schutz vor der Schweinegrippe gab, haben sich die Industriestaaten große Chargen gesichert: Die USA haben insgesamt 250 Millionen Dosen eingekauft, Deutschland 50 Millionen. In der Summe sind dies 300 Millionen, die gleiche Menge, die die WHO bislang zusammengebracht hat, um sie an 90 bedürftige Länder zu verteilen. "Doch wann und wo sie ankommen, ist noch unklar", sagt Dietrich.

Und selbst wenn mehr Impfdosen, etwa durch Spenden, hinzukommen sollten, ist unwahrscheinlich, dass sie dort hingelangen, wo sie gebraucht werden: "Höchstens bis zur jeweiligen Hauptstadt ist die nötige Kühlung der Impfstoffe aufrechtzuerhalten. Weiter reicht die Kühlkette in den ärmsten Ländern nicht", erläutert Dietrich.

Die Ungleichheit beim Schutz gegen die globale Seuche könnte sich als gefährlich herausstellen. In einigen Ländern schwächen HIV-Infektionen die Immunabwehr von bis zu einem Drittel der Bevölkerung. Ernährung und Hygiene sind vielerorts mangelhaft. Welchen Schaden Grippeviren vor diesem Hintergrund anrichten können, zeigen Erfahrungen mit der Lungenentzündung. Jährlich sterben laut Unicef mehr als zwei Millionen Kinder - hauptsächlich in Entwicklungsländern - an der Krankheit, mehr als an jeder andern. Untersuchungen aus Bangladesh sprechen dafür, dass rund ein Drittel dieser Todesfälle zumindest bei den Unter-Zweijährigen auf Influenza-Erkrankungen zurückzuführen ist.

Zudem bieten die Lebensbedingungen in den ärmsten Ländern dem Virus beste Chancen, sich stark und unkontrolliert zu verbreiten. Damit steigt die Gefahr, dass der H1N1-Erreger mutiert. Wenn sich das Virus verändert, dann am wahrscheinlichsten in einem der kaum entwickelten Länder, warnte der Berliner Epidemiologe Stefan Kaufmann.

Der Vogelgrippe-Experte Ken Shortridge und einige Kollegen nannten im Magazin Nature die armen Regionen im tropischen Asien als wahrscheinlichsten Ort für eine Mutation. Denn in diesem Klima ist das ganze Jahr über Grippesaison; eine ganze Reihe von Influenzaviren sind in der Region verbreitet, unter anderem auch das Vogelgrippevirus. Menschen und Tiere leben oft eng zusammen. Welche Entwicklungen Viren unter den Bedingungen nehmen, wird in Teilen dieses Gebiets aber nur unzureichend überwacht.

Sebastian Dietrich von Ärzte ohne Grenzen nennt es vor diesem Hintergrund "schade", dass in Deutschland so hitzig und mitunter unsachlich über die Schweinegrippe-Impfung debattiert wurde: "Darüber wird vergessen, wie privilegiert die Deutschen mit ihrer Möglichkeit zur Impfung und Behandlung eigentlich sind".

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