Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs:Marketing um jeden Preis

Mit welchen subtilen und aggressiven Kampagnen die Pharmafirmen ihre Impfstoffe gegen Gebärmutterhalskrebs in den Markt gedrückt haben.

Christina Berndt

Deutschlands Gesundheitswissenschaften sind weiblich. Mehr als 90 Prozent der Studierenden im Fach Public Health sind Frauen. Und so fiel der Herr in Schlips und Kragen auf, der sich in der Fachhochschule Fulda unter die Studentinnen gemischt hatte. Er sei von der Firma Sanofi Pasteur MSD, outete er sich, als ihn neugierige Blicke trafen. Ob er zuhören dürfe?

Der Dozent lud den Pharma-Gesandten zum Bleiben ein, aber eigentlich empfand er dessen Besuch als Überfall. "Die Veranstaltung war explizit als nicht-öffentlich angekündigt", sagt Ansgar Gerhardus von der Universität Bielefeld, der in Fulda einen Gastvortrag hielt. "Umgekehrt käme wohl kein Wissenschaftler auf die Idee, einfach so in eine Sitzung von Sanofi Pasteur hereinzuspazieren."

Der Gesandte der Firma wollte sich an diesem Tag ohnehin nicht in Public Health fortbilden. Er war 250 Kilometer angereist, um die Meinung über das umsatzstärkste Produkt seiner Firma zu kontrollieren - Gardasil. Der Impfstoff schützt vor manchen Papillomviren (HPV), welche unter unglücklichen Umständen Gebärmutterhalskrebs auslösen können.

Es war schon das zweite Mal, dass Gerhardus Besuch von Sanofi bekam. Wenige Monate zuvor hatte eine Firmen-Vertreterin seinen Vortrag an der Universität Witten/Herdecke angehört. In der anschließenden Diskussion warfen ihre Äußerungen ein schlechtes Licht auf Gerhardus. Später musste sie die Vorwürfe in einem Briefwechsel jedoch zurücknehmen.

Weder Pharmafeind noch Impfkritiker

Dabei ist Gerhardus weder Pharmafeind noch Impfkritiker; er ist auch kein spezieller Gegner der Impfung gegen Papillomviren (HPV), die hierzulande als "erste Impfung gegen Krebs" gefeiert wird. Als Gesundheitswissensschaftler interessiert er sich für die Gültigkeit von Aussagen in der öffentlichen Gesundheitsdiskussion.

Dabei fiel ihm auf, dass beim Thema Gardasil die Zahlen in der Öffentlichkeit extrem von denen aus Studien abweichen. Seither wundert er sich über die Welle der Desinformation, die über Deutschland schwappt (siehe hier).

Wer hinter die Kulissen blickt, den wundert allerdings nichts mehr. Denn die Firma Sanofi Pasteur MSD umwirbt mit massivem Aufwand alle für sie wichtigen Gruppierungen. Die Lobbyarbeit schloss "jeden Meinungsbildner ein, jede Frauengruppe, jede medizinische Fachgesellschaft, Politiker, und sie richtete sich direkt an die Menschen - es entstand ein Gefühl der Panik, dass du diesen Impfstoff jetzt haben musst", sagte Diane Harper, die als Studienleiterin an Studien mit beiden HPV-Impfstoffen beteiligt war, der New York Times.

Hunderte Ärzte, auch "Mietmäuler" genannt, machen Reklame für die HPV-Impfung. Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Impfen im Bundesverband der Frauenärzte, Michael Wojcinski, weist sogar darauf hin, dass sein Vortrag "mit Zertifizierung" der Impfstoffhersteller erstellt wurde. Als wäre diese Zusammenarbeit ein Qualitätsmerkmal.

Unkritisch empfiehlt auch eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe die HPV-Impfung. Lapidar heißt es, Hinweise auf mögliche Interessenkonflikte "sind nicht bekannt". Doch mehrere Autoren haben an anderer Stelle Verbindungen zur Pharmaindustrie offengelegt. Lutz Gissmann vom Deutschen Krebsforschungszentrum erhält sogar Vergütungen aus den Verkäufen der beiden HPV-Impfstoffe.

Mit der "Koalition gegen Gebärmutterhalskrebs" hat Sanofi auch Politiker eingeladen, um die Einführung der Massenimpfungen voranzutreiben. "Es gab unglaublichen Druck von Industrie und Politik", sagt Jon Abramson, Präsident des Komitees jener Gesundheitsbehörde, die in den USA die Impfung empfahl. In Belgien hat der Gesundheitsminister den ersten HPV-Impfstoff zugelassen, bevor das Evaluierungs-Komitee seine Beratungen beendet hatte. Und in Österreich wurde die Impfempfehlung gegen das Votum des dortigen Komitees ausgesprochen.

Erfolgreiche Kampagnen

Auch hierzulande haben die Aktivitäten der Firmen Erfolg. Das Perfide: Viele Kampagnen erwecken den Anschein, sie wären unabhängig.So veranstaltet der "Verein zur Förderung von Patienteninteressen" einseitige Werbe-Aktionen für die HPV-Impfung. Er hat 15.000 Euro von Sanofi bekommen.

Die Webseite "hpvinfo", die mitunter durch Falschinformation auffällt, wird vom MedCon-Verlag gemacht. Ein Mitarbeiter wird patzig, als er auf die Geldgeber angesprochen wird. Die Seite finanziert sich durch Anzeigen der Impfstoff-Hersteller.

Als nach zwei ungeklärten Todesfällen die Impf-Zahlen zurückgingen, schrieb eine "Deutsche Eliteakademie" 50.000 Ärzte an, um sie zur HPV-Impfung zu motivieren. Im Senat dieser Akademie: der Vorsitzende der Geschäftsführung von Sanofi Pasteur MSD.

Und das gemeinnützige Deutsche Grüne Kreuz fiel mit einer großangelegten Fernsehkampagne mit bis zu sechs Spots pro Tag zur besten Sendezeit auf. "Es ist richtig", räumt der Vorsitzende Michael Köllstadt auf Anfrage ein, "dass die Firma Sanofi unsere Aufklärungskampagne unterstützt." Deren Kosten schätzen Experten auf einen zweistelligen Millionenbetrag. "Mir ist keine andere Kampagne bekannt, mit der die Öffentlichkeit so massiv beeinflusst worden ist", sagt der Arzneimittelexperte Gerd Glaeske.

"Das sind nie erreichte Dimensionen"

Die Botschaft der teuren Spots ist nicht zu verkennen: "Als Mutter erlebe ich, wie schnell meine Tochter groß wird. Ich will nicht, dass Gebärmutterhalskrebs dieses Leben in Gefahr bringt", erzählt da die Modedesignerin Jette Joop. Experten sehen das als Angstmache: "Die HPV-Infektion, die nur sehr selten zu Gebärmutterhalskrebs führt, erscheint unangemessen gefährlich", sagt Ulrike Hauffe, Psychologin und Landesfrauenbeauftragte in Bremen. "Mütter fühlen sich unter Druck, ihre Mädchen rechtzeitig zur Impfung zu schicken."

Der massive Einfluss auf die Öffentlichkeit ist neu. "Das sind nie erreichte Dimensionen", sagt die Bremer Sozialepidemiologin Petra Kolip. "Sogar an den Schulen wird agitiert." Dort malen Kinder Plakate und lesen Parolen wie "Ich sage ja zum Leben".

Der niederländischen Kontrollstelle für das Gesundheitswesen ging all das zu weit. Im Oktober hat sie die Konzernzentralen von Sanofi Pasteur und dessen Konkurrenten Glaxo Smith Kline zur Herausgabe von Dokumenten aufgefordert. "Es war eine Art Razzia", sagt ein Sprecher. Es bestehe der Verdacht, dass die Firmen illegale Marketingtechniken benutzt haben. Geprüft werden nun mehr als tausend Dokumente über Zahlungen an Ärzte und Krankenhäuser sowie Korrespondenz mit Mitgliedern des Gesundheitsrates, der die Aufnahme der Impfung ins Impfprogramm empfohlen hat.

Wie häufig die Firmen Späher an Universitäten entsenden, wird dagegen ungeklärt bleiben. Den Herrn im Fuldaer Seminar zwang nur sein Geschlecht, sich zu outen. Aber selbst wenn der Dozent den ungebetenen Gast hinausgeworfen hätte, wären die Studentinnen nicht unter sich gewesen. Erst nach dem Seminar stellte sich zur Überraschung aller heraus, dass der Herr von Sanofi nicht allein gekommen war. Er hatte noch eine Kollegin dabei, aber die hatte nicht ums Bleiberecht gebeten.

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