Süddeutsche Zeitung

Ig-Nobelpreis:Skorpione mit Verstopfung bleiben länger Single

In Cambridge wird Forschung ausgezeichnet, die zuallererst zum Lachen ist. Preise gibt es unter anderem für einen Tratsch-Algorithmus und eine Studie zum richtigen Drehen von Türknäufen.

Von Carim Soliman

Seriöse, wertvolle Forschung ist manchmal auch ein bisschen, nun, bescheuert. Diesen Umstand würdigen seit mehr als 30 Jahren die Initiatoren des Ig-Nobelpreises im US-amerikanischen Cambridge. Im Gegensatz zum großen, ernsten Vorbild in Stockholm zeichnen sie nicht die Arbeiten aus, die am meisten zum Fortschritt der Menschheit beitragen, sondern zur Belustigung im Gruppenchat oder am Kaffeeautomaten. Wissenschaftlich muss schon etwas dabei herumkommen, nur eben nicht an erster Stelle. Es geht um Errungenschaften, die Menschen "erst zum Lachen, dann zum Denken" bringen. Immerhin überreichen Träger des echten Nobelpreises die Auszeichnungen.

Aufgrund der Pandemie fand die jährliche Preisverleihung in der Nacht von Donnerstag auf Freitag zwar wieder nur digital statt und nicht wie üblich als Galaveranstaltung in der Universität Harvard. Die zwölf Auszeichnungen konnten aber, mit etwas Fantasie, trotzdem physisch ausgehändigt werden: Die Laudatoren falteten ein vorab als PDF versandtes und anschließend ausgedrucktes Papier nach Anleitung zur Trophäe, einem Zahnrad. Anschließen reichten sie es seitlich über den Rand ihres Bildausschnitts den siegreichen Wissenschaftlern, die es an ihrem Ende des Videofensters entgegennahmen.

Zu den Empfängern gehören zum Beispiel Solimary García-Hernández und Glauco Machado. Das kolumbianisch-brasilianische Duo fand heraus, dass von Vorstopfung betroffene männliche Skorpione Nachteile bei der Partnerinnensuche haben. Einige Skorpionarten stoßen ihren Schwanz ab, um im Notfall ihren Fressfeinden zu entgehen. Dabei geht nicht nur ihr Stachel verloren, sondern auch das Endstück ihres Verdauungstrakts. Die Tiere können Nahrungsreste nicht mehr ausscheiden. García-Hernández und Machado stellten nun fest, dass Männchen, die unter der Verstopfung infolge eines verlorenen Schwanzes leiden, zudem langsamer werden. Dadurch brauchen sie länger, um potenzielle Partnerinnen zu finden. Und viel Zeit bleibt ihnen nicht, ohne ihr Hinterteil überleben die Tiere nur einige Monate.

Was Rechtsdokumente so unleserlich macht

Der Ig-Nobelpreis für Ingenieurswissenschaften ging an ein japanisches Team, sozusagen weil es den Dreh raushat. Gen Matsuzaki und seine Kollegen veröffentlichten eine Studie mit dem Titel "Wie Finger während der Drehbewegung eines säulenartigen Knaufs zu nutzen sind". Dafür werteten sie Videoaufzeichnungen von 31 Testpersonen aus, die Knäufe unterschiedlichen Durchmessers drehten.

Packender muss man sich nur die Forschungsarbeit von Eric Martínez, Francis Mollica und Edward Gibson vorstellen. In ihrer im Fachjournal Cognitive erschienenen Studie gehen sie der Frage nach, weshalb Rechtsunterlagen so schwierig zu verstehen sind. Dafür durchforsteten sie eine insgesamt zehn Millionen Wörter umfassende Sammlung solcher Vertragsdokumente auf Englisch. Sie suchten nach bestimmten Merkmalen besonders schwer zu verarbeitender Sprache. Demnach weisen Rechtsunterlagen verglichen mit neun anderen vorher festgelegten Textgattungen mehr Fachbegriffe, untypische Groß- und Kleinschreibung sowie spezielle Schachtelsätze auf, die "Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses durch weit auseinanderstehende syntaktische Zusammenhänge" verursachen. Oder, wie es an anderer Stelle heißt: mehr "schlechte Schreibe".

Um Sprache dreht sich auch die in Philosophical Transactions publizierte Arbeit eines großen internationalen Teams. Es geht darin der Frage nach, wie sich Tratsch, also der Austausch von Informationen über eine dritte Person ohne ihr Wissen, strategisch einsetzen lässt. Auf welche Weise lassen sich Mitglieder einer sozialen Gruppe durch Tratsch dazu bewegen, zum Wohle der Gemeinschaft beizutragen? Das Ergebnis: Je nachdem, in welchem Abhängigkeitsverhältnis der Tratschende zu seinem Gegenüber und der Person, über die er tratscht, steht, sollte er lügen oder bei der Wahrheit bleiben. Für diesen "Tratsch-Algorithmus" erhielten die Erfinder den Friedens-Ig-Nobelpreis.

Weitere Preise:

  • Angewandte Kardiologie: Wenn sich romantische Partner erstmals treffen, gleicht sich ihr Herzrhythmus an.
  • Medizin: Eiscreme verursacht als Teilkomponente mancher Chemotherapien weniger Nebenwirkungen als andere Mittel.
  • Kunstgeschichte: die Studie "Ein interdisziplinärer Ansatz für Abbildungen ritueller Einläufe auf Töpferei der Maya".
  • Physik: Wie Entenküken es schaffen, in Formation zu schwimmen.
  • Wirtschaft: Eine mathematische Erklärung, weshalb Erfolg viel mit Glück und weniger mit Talent zu tun hat.
  • Sicherheitstechnik: Ein Crashtest-Dummy von der Größe und dem Gewicht eines Elchs.

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