Chirurgie:Der Horror-Arzt

Röntgenaufnahme einer Frauen-Brust

Ian Paterson operierte auch Frauen, bei denen Brustkrebs vermutet, aber noch nicht nachgewiesen wurde.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Er galt als Brustkrebs-Spezialist, doch verstümmelte in England mehr als 1000 Frauen. Manche operierte er, obwohl der Krebs bei ihnen gar nicht nachgewiesen wurde. Ihre Beschwerden wurden ignoriert - jahrelang blieb der Chirurg unbehelligt.

Von Cathrin Kahlweit

In die Medizingeschichte wird Ian Paterson mit dem Namen eingehen, den ihm britische Medien verpasst haben: "the rogue surgeon", der schurkische Chirurg. Die Zahl seiner traumatisierten Opfer liegt, wie der Bericht einer in dieser Woche veröffentlichten, unabhängigen Untersuchungskommission festhält, bei mehr als tausend Patientinnen. Und es könnten noch viel mehr sein: Bis zu 11 000 Patienten sollen sich nun, nach Vorlage des Untersuchungsberichts, vorsichtshalber noch einmal bei ihren Kliniken vorstellen.

Paterson hatte über 14 Jahre hinweg in staatlichen und privaten Krankenhäusern fragwürdige, unnötige, überzogene und den Körper verstümmelnde Operationen vorgenommen. Er galt als Brustkrebsspezialist und gab an, eine "schonende Methode" entwickelt zu haben, die bei Brustamputationen einen Teil des Gewebes stehen ließ; er nannte das "ausschnitt-schonend". Obwohl ihm das, weil medizinisch fahrlässig, untersagt wurde, machte er damit weiter. Schlimmer noch: Paterson operierte Frauen, bei denen Krebs nur vermutet, aber noch nicht nachgewiesen war, er nahm umfangreiche Operationen bei kleinen Befunden vor, er übertrieb oder ignorierte Befunde. Er überredete Frauen zu Mastektomien, die medizinisch unbegründet waren. An zwei Teenagern nahm er unnötige Operationen vor. Eine Frau zwang er 26 Mal unter das Messer.

Viele Patientinnen beschwerten sich in den Kliniken - ohne Erfolg

Dutzende Patientinnen berichteten der Untersuchungskommission, dass sie zu verängstigt gewesen seien, um zu widersprechen. Viele sprachen von "fatalen Konsequenzen für ihre körperliche und seelische Gesundheit". Viele beschwerten sich allerdings auch in den Kliniken, wo sie behandelt wurden - ohne Erfolg.

Es ist eine Horrorliste. Betroffene nannten den Chirurgen in ihren Aussagen ein "Monster". Aber Paterson wurde trotz Anzeigen von Patientinnen, trotz interner Ermittlungen in mehreren Kliniken und wachsender Skepsis gegenüber seinem Vorgehen erst 2011 aus dem Dienst entfernt. Der frühere Bischof Graham James, der die Kommission leitete, nannte die Erkenntnisse "beängstigend". Verantwortliche hätten weggeschaut und geschwiegen. Informationen seien schlicht ignoriert worden. Opfer seien belogen, betrogen und ausgebeutet worden - erst von Paterson selbst, dann aber auch von den Krankenhäusern, die sein Vorgehen teils geahnt, teils gekannt, aber nie unterbunden hätten. Der Brustchirurg, der 2017 schließlich zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, beharrt auf seiner Unschuld.

Die Regierung hatte die Kommission 2017, nach dem Urteil, eingesetzt. Paterson verweigerte jede Befragung. Graham James beschwerte sich bei der Vorstellung des Reports eindringlich darüber, dass es keinerlei Informationsaustausch zwischen den öffentlichen Kliniken und den Privatkliniken gegeben habe, an denen Paterson beschäftigt war; Irritationen habe man jeweils für sich behalten. Er forderte den NHS auf, eine Webseite einzurichten, auf der Patienten einsehen könnten, für welche Art von Operationen und Behandlungsmethoden ein Arzt qualifiziert sei. Die Zeit zwischen Befund und Operation müsse mit einer Beratung verbunden werden, damit Patienten sich ein Bild über die Schwere ihrer Erkrankung machen könnten. Interne Beschwerden sollten künftig durch unabhängige Ombudsstellen bearbeitet werden. James leitete die Namen mehrerer Ärzte und Schwestern, die offenbar regelmäßig mit Paterson operierten, aber sein Vorgehen nicht meldeten, an die Ermittlungsbehörden weiter. 750 Patientinnen wurden mittlerweile von den Kliniken und Patersons Versicherung finanziell entschädigt.

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