Hurrikane:Warme Meere und heiße Luft

Meteorologen prophezeien Amerika in diesem Jahr zehn große tropische Wirbelstürme. Wissenschaftler rätseln, wie die Hurrikane entstehen - und streiten, ob sie wirklich mit dem Klimawandel zunehmen.

Axel Bojanowski

Von Anfang Juni an herrscht im Süden der USA, in der Karibik und Mittelamerika Alarmzustand. Den Wetterbericht zu hören bleibt bis November lebenswichtig. Essensvorräte werden angelegt. Bretter und Nägel sind greifbar, um Häuser verbarrikadieren zu können. Das Auto steht zur Flucht bereit. Jederzeit könnte ein Wirbelsturm die Küsten treffen, denn die Hurrikan-Saison hat begonnen.

Hurrikan Vorhersagen Klimawandel El Nino

Hurrikan auf Satellitenbild: Rolle der erwärmten Meere ungeklärt

(Foto: Foto: dpa)

Dieses Jahr wird es womöglich besonders bedrohlich. Meteorologen sagen der Region zehn Hurrikane vorher. Doch finden sie vielleicht weniger Gehör. Im Frühjahr 2006, nach der Rekord-Saison 2005 mit den Hurrikanen Katrina und Rita, prognostizierten die Experten Mittelamerika ebenfalls viele schwere Wirbelstürme.

Indes: Es blieb ruhig. Das Wetterphänomen El Niño habe den Ostpazifik aufgeheizt und die Luftströmungen verändert, rechtfertigten die Meteorologen ihren Fehlalarm.

Die falsche Prognose zeigt, dass Hurrikane ungenügend erforscht sind. Es gibt zu wenige Daten. Sie zu ermitteln, verlangt mitunter Mut: Mit Flugzeugen stürzen sich Wissenschaftler in die Wirbelstürme und messen Temperatur, Wind und Luftdruck. Andere werten Satellitenbilder aus.

Erst langsam rücken so die Faktoren in den Blickpunkt, die Hurrikane begünstigen oder ihre Entwicklung stören. Wie sie zu bewerten sind, führt regelmäßig zu Streit - zum Beispiel vergangene Woche auf einer internationalen Hurrikan-Konferenz auf Kreta. Die Wissenschaftler erörterten dort unter anderem, ob die Klimaerwärmung die Wirbelstürme anfachen wird.

Im Oktober 2004 war es darüber zum Eklat gekommen. Christopher Landsea von amerikanischen National Hurricane Center quittierte aus Protest seine Mitarbeit am vierten Klimabericht der Vereinten Nationen. Sein Kollege Kevin Trenberth hatte zerstörerische Hurrikane auf die Klimaerwärmung zurückgeführt. Der Klimabericht werde von einer vorgefassten Agenda bestimmt, schimpfte Landsea damals.

Mit hoher Schlagzahl veröffentlichen beide Seiten Studien

Seither ist die Stimmung unter den Forschern vergiftet. Mit hoher Schlagzahl veröffentlichen beide Seiten Studien. Kurz bevor Katrina im August 2005 New Orleans verwüstete, präsentierten Experten um Kerry Emanuel vom Massachusetts Institute of Technology Belege dafür, dass Hurrikane in den vergangenen 30 Jahren stärker geworden sind. Ursache sei vermutlich das wärmere Meerwasser, so Emanuel damals.

Das erschien plausibel, beziehen Wirbelstürme doch ihre Energie aus tropischen Meeren: Dort steigt feuchtwarme Luft auf. Setzt sie ihre Energie in Wolken frei, treibt sie den Luftaufstieg an. Die Erddrehung zwingt die Wolken in eine Kreisbahn. Das Zentrum des Wirbels - sein Auge - saugt immer mehr Luft an, bis der Wind auf Sturmstärke beschleunigt.

Wärmere Meere hätten in den vergangenen Jahrzehnten weltweit zu stärkeren Wirbelstürmen geführt, ergänzten Meteorologen vom Georgia Institute of Technology. Doch umgehend kam Widerspruch: Die Intensivierung der Hurrikane sei ein Artefakt, schrieb Philip Klotzbach von der Colorado State University. Satelliten registrierten eben höhere Windgeschwindigkeiten als vorher punktuelle Messungen mit Flugzeugen.

Der Einfluss der Meerestemperatur auf die Hurrikanstärke werde überschätzt, sagen auch Forscher um Patrick Michaels von der Universität von Virginia. Sie haben untersucht, welchen Weg Hurrikane der vergangenen Jahrzehnte genommen hatten. Die Wirbelstürme wehten demnach keineswegs dort am stärksten, wo das Wasser am wärmsten war, schrieb Michaels 2006 in den Geophysical Research Letters (GRL).

Kontrahent Kerry Emanuel bestätigte das Ergebnis im März im gleichen Blatt (1). Gleichwohl bezweifelt Emanuel, dass der Befund auch für die Zukunft gilt, wenn sich die tropischen Ozeane dauerhaft auf 30 Grad Celsius erwärmt haben.

Winde aus Afrika können Hurrikane begünstigen - und stoppen

Um seine Vermutung zu prüfen, simulierte Emanuel in einem Computermodell 3000 Hurrikane der letzten Jahrzehnte und ließ die Wirbel über wärmeres Meer ziehen als in Wirklichkeit. Ergebnis: Die Stürme fielen stärker aus. Möglicherweise würden wärmere Ozeane tatsächlich Hurrikane "ein wenig" forcieren, räumte daraufhin Michaels in einem Kommentar in der gleichen Zeitschrift ein.

Neben der Meerestemperatur gebe es aber andere bedeutende Einflüsse, bekräftigen die Widersacher Emanuels. Diese Vermutung bestätigten im Mai Forscher um Jeffrey Donnelly aus Massachusetts im Magazin Nature (2). Ausgerechnet in Zeiten, in denen das Meer kühler war, habe es in den letzten Jahrhunderten in der Karibik starke Wirbelstürme gegeben, entdeckten die Experten bei der Analyse von Sandschichten.

Perioden starker Hurrikane seien meist mit Monsunphasen in Westafrika zusammengefallen. Luftströmungen aus Afrika bestimmten anscheinend die Hurrikanstärke, folgert Donnelly. Auch Gewitter über Ostafrika könnten ein Alarmsignal sein, berichteten Forscher im Mai (SZ, 23.5.).

Doch Wind aus Afrika kann offenbar auch Hurrikane verhindern. Sahara-Sand fungiere als Wirbelsturm-Bremse, schrieben Forscher um Amato Evan von der Universität von Wisconsin in Madison im Oktober 2006. In Zeiten starker Staubstürme aus Afrika habe es vor Amerika weniger Hurrikane gegeben.

Der Staub erwärme vermutlich die obere Atmosphäre, mildere den Temperaturgegensatz mit dem Ozean und drossle damit den Aufstieg der Luft. Doch wie sich der Einfluss der drei afrikanischen Wind-Phänomene auf Hurrikane mit dem Klimawandel verändert, kann kein Forscher sagen.

Die Meeresströmung gibt den Takt vor

Die Hauptzerstörer von Hurrikanen sind sogenannte Scherwinde, die an der Oberfläche anders wehen als in der Höhe. Die umher schießenden Luftmassen zerfleddern Wirbelstürme regelrecht und rauben ihnen die Kraft. Die vielen Hurrikane der letzten Jahre in der Karibik führt Mojib Latif vom Leibniz-Institut IFM-Geomar in Kiel vor allem darauf zurück, dass es über dem Atlantik weniger Scherwinde gab (3).

Im Zuge einer weiteren Klimaerwärmung sagten Klimamodelle allerdings vermehrt Scherwinde voraus, berichtete Gabriel Vecchi von der National Oceanic and Atmospheric Administration NOAA in den USA im April. Seine hoffnungsvolle Prognose: In Zukunft könnte es in den USA und Mittelamerika weniger Hurrikane geben.

Einen großen Einfluss auf die Hurrikan-Aktivität hat zudem offenbar die rhythmische Verschiebung von Meeresströmungen im Atlantik. Diese atlantische Oszillation habe in den vergangenen Jahrzehnten den Takt vorgegeben, schrieb Daniel Vimont von der Universität von Wisconsin im April. Derzeit durchläuft der Zyklus eine ähnlich hohe Aktivitätsphase wie vor rund 50 Jahren.

Auch andere Forscher können keine außergewöhnliche Entwicklung erkennen. Die Häufung von Hurrikanen in Mittelamerika in den vergangenen Jahren sei nichts Besonderes, schreiben Forscher um Johan Nyberg vom geologischen Dienst in Schweden in Nature (4).

Schäden werden zunehmen

Aus Korallen und Tiefseeschlamm lasen die Geologen ab, wie häufig in den vergangenen 270 Jahren Hurrikane im Westatlantik wüteten. Die ruhige Phase von 1960 bis 1990, als es pro Jahr deutlich weniger Hurrikane im Westatlantik gab als sonst, war demnach eine Ausnahme.

Die Studie bestätigt einen Konsens, den 125 Hurrikanexperten der Meteorologischen Welt-Organisation WMO im Dezember 2006 verabschiedet hatten. Demnach lassen sich Schwankungen bei der Häufigkeit der Wirbelstürme und ihrer Stärke nicht auf die Erwärmung zurückführen. Für die Zukunft erwartet die WMO gleichwohl eine leichte Zunahme der Windgeschwindigkeiten bei Hurrikanen. Ob es mehr oder weniger Wirbelstürme geben werde, sei aber unklar.

Eines ist jedoch sicher: Weil immer mehr Menschen an die Küsten zögen, so die WMO, sei in jedem Fall mit größeren Hurrikan-Schäden als bisher zu rechnen.

(1) GRL, Bd.34, L06702, 2007

(2) Nature, Bd.447, S.465, 2007

(3) GRL, Bd.34, L01710, 2007

(4) Nature, Bd.447, S.698, 2007

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