Süddeutsche Zeitung

Honig als Medizin:Wundheilung aus der Wabe

Bonner Kinderärzte behandeln Hautverletzungen erfolgreich mit Honig. Bei vielen Verletzungen ist der "Medihoney" wirksamer als jedes moderne Antibiotikum.

Nicola Kuhrt

Er leuchtet goldbraun, riecht wie ganz normaler Akazienhonig und ist ziemlich klebrig. Dennoch wird dieser Bienennektar niemals auf einem Frühstücksbrötchen landen.

"Antibakteriell" steht auf der Tube, heraus tropft echter "Medihoney" - medizinischer Honig.

Seit vier Jahren setzen Ärzte der Bonner Universitäts-Kinderklinik das Naturprodukt zur Wundheilung ein; in Deutschland sind sie damit Vorreiter.

Ihre Erfahrung: Bei vielen Verletzungen ist der Honig wirksamer als jedes moderne Antibiotikum. Zusammen mit Kollegen aus Düsseldorf, Homburg und Berlin wollen sie die effektive Wirkung nun in einer Studie absichern.

"Ich war auch skeptisch", sagt Arne Simon, Kinderarzt an der Bonner Universitätsklinik. In der Praxis seien Mediziner aber immer öfter mit Keimen konfrontiert, die gegen die meisten Antibiotika resistent sind. Als ein kleiner Junge mit einer Operationswunde auf seine Station kam, in der sich der multiresistente Keim MRSA festgesetzt hatte, probierte er es mit dem Honig - "und innerhalb von 48 Stunden war die Wunde steril".

Seitdem haben Simon und sein Team den Medihoney bei etwa 50 Kindern eingesetzt. Ihre Wunden, verursacht durch Katheter oder Operationen, heilten schneller ab, abgestorbenes Gewebe wurde schneller abgestoßen (Support Care Cancer, Bd.14, S.91, 2006).

Die meisten Honigsorten, die man im Supermarkt kaufen kann, sind für den klinischen Einsatz aber nicht geeignet. Sie sind pasteurisiert, um mögliche Bakterien in dem Zuckergemisch zu töten. Dadurch werden auch alle wertvollen Inhaltsstoffe beseitigt. Der Medihoney des Unternehmens Capilano aus Australien, den die Bonner Ärzte verwenden, wird daher mit Gammastrahlen behandelt.

Schon die Ägypter setzten Honig als Medizin ein

So sollen die guten Eigenschaften erhalten, aber restliche Keime abgetötet werden. Produziert wird der Wundheiler von Bienenvölkern in Australien und Neuseeland. Sie sammeln ihren Nektar, der am Schluss das CE-Siegel für Medizinprodukte trägt, von den Blüten von Teebäumen. Honig aus dieser Pflanze soll besonders stark antibakteriell wirken.

Dass das Naturprodukt die Wundheilung fördern kann, ist nicht neu. Schon vor mehreren tausend Jahren setzten es die Ägypter ein, auch in beiden Weltkriegen wurden Soldaten mit in Honig getränkten Verbänden behandelt. Was aber kann Honig, was herkömmliche Antiseptika nicht können? Biologen wie Peter Molan vom Honigforschungsinstitut der Universität von Waikato auf Neuseeland, haben Erstaunliches herausgefunden.

So soll das Naturprodukt gleich mehrere Hebel zur Wundheilung in Bewegung setzen: Unbestritten ist, dass der in der klebrigen Substanz in hohem Maß enthaltene Zucker ein effektives Mittel gegen Bakterien aller Art ist - er tötet sie ab, indem er ihnen das zur Vermehrung notwendige Wasser entzieht.

Keim- und Geruchskiller

Nützlich sind auch verschiedene Enzyme, die die Bienen dem Honig während der Produktion zusetzen, allen voran die Glucose-Oxidase. Durch Wechselwirkung mit dem Wundsekret bildet diese kontinuierlich in niedrigen Mengen Wasserstoffperoxid. Diese Substanz, die in höherer Konzentration Haare blondiert, tötet auch Keime wie MRSA oder Akinetobacter ab. In anderen Studien zeigte sich, dass Honig das Wachstum der Fibroblasten fördert. Das sind die Zellen, die die abschließende Phase der Wundheilung einleiten.

Und ganz nebenbei sorgt der Honig dafür, dass sich Verbände einfacher wechseln lassen, weil er die Wunde stets feucht hält. Unangenehme Gerüche, wie sie etwa von offen wuchernden Tumoren ausgehen, werden durch den Honig neutralisiert. Vermutet wird, dass die Wundbakterien durch das Angebot von Zucker ihren Stoffwechsel umstellen, so dass es erst gar nicht zur Bildung der für den Geruch verantwortlichen Schwefelverbindungen kommt.

Vor allem bei Kindern, die eine Chemotherapie bekommen, sei das Naturprodukt unschlagbar, sagt Arne Simon. Ihr Immunsystem ist geschwächt, das stört die Wundheilung und erhöht das Risiko, sich eine Blutvergiftung zuzuziehen. Entzündet sich etwa der unter der Haut implantierte Portkatheter, dauert es bei herkömmlicher Behandlung während der Chemotherapie bis zu acht Wochen, bis die recht tiefe Wunde verheilt ist, berichtet der Kinderarzt. "Mit Medihoney dauert es nur die Hälfte der Zeit." Größter Pluspunkt: Die Bakterien, die im Rahmen der Wundbehandlung bekämpft wurden, entwickelten keine Resistenz gegen den Honig.

"Die Kinder haben sehr viel weniger Angst bei der Behandlung"

Simon mahnt dennoch zum bewussten Umgang mit dem medizinischen Honig. Denn ganz ohne Antibiotika kommt man nicht aus. Da die Wirkung des Naturprodukts erst nach einigen Stunden einsetzt, wird eine infizierte Wunde von den Bonner Medizinern am ersten Tag mit dem Antibiotikum Octenidin behandelt, dann kommt der Bienennektar. Nebenwirkungen konnten Simon und sein Team bisher nur einmal feststellen: Einer der 50 Patienten reagierte mit einem allergischen Kontaktekzem auf den Honig.

Noch weiß man nicht genug über die Wirkung des Naturprodukts: In Neuseeland und Australien arbeiten Mediziner zwar seit rund zehn Jahren verstärkt mit Honig, in Amerika und auch in Europa ist der Einsatz aber noch die Ausnahme. In Deutschland sind nach Bonn ein weiteres Dutzend Kliniken auf den Honig gekommen. Unzählige einzelne Fallbeschreibungen dokumentieren bereits die effektive Wirkung der klebrigen Substanz, doch es fehlen belastbare Daten, mit denen sich weitere Studien durchführen ließen.

Die wollen Simon und mehrere Kollegen nun beschaffen. In den nächsten Monaten werden sie in einer Datenbank zunächst 100 Krankheitsverläufe dokumentieren und auswerten. Mit dem Material sollen dann neue Untersuchungen gestartet werden. Auch Vergleiche wollen die Mediziner anstellen: Ist Medihoney bei bestimmten Wunden effektiver als etwa Kompressen, die mit Silber beschichtet sind?

Eines hat der Honig allen anderen Methoden auf jeden Fall voraus: "Die Kinder haben viel weniger Angst bei der Behandlung", berichtet Simon. Und wenn sie möchten, dürfen sie den Medihoney auch mal probieren.

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Quelle:
SZ vom 02.08.2006
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