Süddeutsche Zeitung

Homosexualität bei Menschenaffen:Lesbische Liebe unter Gorillas

  • Primatenforscher stellten homosexuelles Verhalten bei weiblichen Berggorillas in Ruanda fest. Bisher war das nur von Männchen bekannt.
  • Gleichgeschlechtlichen Sex gibt es der Studie zufolge nicht nur bei Berggorillas, sondern auch bei anderen nicht menschlichen Primaten.

Von Barbara Reye

Jeden Abend schlafen Berggorillas im dichten Nebelwald im Vulkan-Nationalpark im Nordwesten Ruandas an einem anderen Ort. Am Tag ziehen sie dann ein paar Hundert Meter weiter durchs üppig wuchernde Grün, sammeln auf dem Weg Brombeeren, Selleriestängel, Rhabarber und Disteln zum Fressen und bauen sich am Abend wieder ein neues Nest. Neben der aufwendigen Nahrungssuche gehören unter anderem auch gegenseitiges Lausen, Spielen mit den Jungen, Kämpfen gegen Rivalen sowie auch diverse sexuelle Kontakte innerhalb der Gruppe zum Alltag.

"Um ihr Verhalten in der Wildnis noch genauer zu studieren, haben wir drei verschiedene Gruppen von Berggorillas monatelang Schritt für Schritt in Ruanda verfolgt", sagt der Schweizer Zoologe Cyril Grüter von der University of Western Australia in Perth. Da die Gegend rund um die beiden erloschenen Vulkane Visoke und Karisimbi liegt, musste er sich zum Teil bis zu 3800 Meter hinauf durch das unwegsame afroalpine Gelände kämpfen.

Per Zufall beobachtete der Forscher zuerst bei zwei Weibchen, später aber dann bei mehreren von ihnen, homosexuelles Verhalten in der Gruppe. Wie der Primatenforscher in der Online-Fachzeitschrift PLOS One berichtet, stellte er bei 18 von insgesamt 22 weiblichen Gorillas homosexuelle Aktivitäten fest. "Bekannt war dies bisher nur von männlichen Berggorillas", sagt Grüter.

Gemäß der Studie geht es beim gleichgeschlechtlichen Sex zwischen zwei Weibchen - ähnlich wie auch zwischen zwei Männchen - weder um eine soziosexuelle Beziehung noch um eine stärkere soziale Bindung untereinander oder irgendeine Form der Streitschlichtung, sondern vor allem um sexuelle Befriedigung. Zwar fand auch die Amerikanerin Dian Fossey bereits in den 70er-Jahren erste Hinweise auf homosexuelles Verhalten bei einigen Weibchen. Doch sie vertiefte das Thema nicht und erwähnte es nur kurz in ihrem Buch "Gorillas im Nebel".

Auf Dian Fosseys Spuren

20 Jahre lang setzte sich Dian Fossey im Vulkan-Nationalpark für ihre Schützlinge ein. Akribisch dokumentierte sie das Verhalten der schwarzen Riesen in Ruanda, verfolgte dort aber auch ohne Gnade jeden Wilderer. Ende Dezember 1985 wurde sie dann auf brutale Art und Weise in ihrer Hütte beim damaligen Karisoke-Forschungscamp mitten im Dschungel und in der Nacht mit der Machete getötet. Der tragische Fall ist bis heute nicht aufgeklärt.

Zu Fosseys Zeiten war die Berggorilla-Population in der Gegend durch Wilderei stark vom Aussterben bedroht. Nur noch rund 250 Individuen lebten an den Flanken der Virunga-Vulkane und in deren näherer Umgebung. "Heute sind es trotz der politischen Instabilität doppelt so viele", sagt Grüter. Ähnlich sei es auch bei der Berggorilla-Population in Uganda. Im Gegensatz dazu sei die Existenz der Flachlandgorillas in Äquatorialafrika derzeit jedoch dramatisch gefährdet, weil diese nicht so effektiv wie die Berggorillas geschützt werden können.

In Ruanda lassen sich Berggorillas aus nächster Nähe von den Forschern beobachten. "Fossey hat sie damals mit viel Geduld an Menschen gewöhnt, sodass sie in dieser Region nicht scheu sind", sagt Grüter, der 18 Monate lang Tag für Tag zusammen mit einem ruandischen Forschungsassistenten und Wildhütern durch die Schluchten und Berghänge der nebligen und zumeist nassen Wälder kletterte. Am Anfang konnte er die Tiere nur anhand des markanten Nasenabdrucks auseinanderhalten, nach einiger Zeit aber auch anhand ihrer Frisur oder des Gangs.

Sex statt Streit

Gleichgeschlechtlichen Sex gibt es der Studie zufolge nicht nur bei Berggorillas, sondern auch bei anderen nicht menschlichen Primaten - zum Beispiel bei Rhesusaffen, Japanmakaken, Hanuman-Languren oder Bonobos. Letztere sind generell für ihre gelebte Sexualität bekannt, weil bei ihnen die meisten Sexualkontakte von der unmittelbaren Fortpflanzung als solche abgekoppelt sind. Vielmehr haben diese oft die Funktion, Konflikte untereinander zu lösen und Frieden innerhalb der Gruppe zu stiften. Bei Bonobos gibt es somit ständig irgendeine Art von Techtelmechtel - mal handelt es sich um heterosexuelle Akte, mal um homosexuelle.

"Bonobos sind in dieser Hinsicht sehr flexibel", sagt Grüter. Dagegen habe man homosexuelles Verhalten bei Schimpansen bisher erst selten in der Wildnis festgestellt. Dies sei weiterhin ein großes Mysterium. Und auch über die homosexuellen Beziehungen weiblicher Berggorillas war - abgesehen von Fosseys Einzelbeobachtungen - bis jetzt praktisch nichts bekannt. Jahrzehnte später hat der Schweizer Zoologe nun erstmals systematisch die gleichgeschlechtlichen Beziehungen zwischen Berggorilla-Weibchen anhand der Beobachtungen im Vulkan-Nationalpark analysiert.

Vom Silberrücken verschmäht

"Auffällig war, dass die Weibchen sexuell sehr erregt waren, aber dies mit einem männlichen Partner aus verschiedenen Gründen zu diesem Zeitpunkt nicht richtig ausleben konnten", betont der Primatenforscher. So habe etwa ein Weibchen kurz nach der Kopulation mit dem Silberrücken sich eine Partnerin für gleichgeschlechtlichen Sex gesucht. Oder in einem anderen Fall habe ein Weibchen zwar um die Gunst des Silberrückens geworben, diese aber nicht erhalten und sich deshalb umgehend einer Geschlechtsgenossin zugewandt. Interessant sei, dass Berggorillas sowie unter anderem auch die sexuell sehr aktiven Bonobos keine Präferenzen für nur ein Geschlecht hätten, sondern je nach Situation und Bedürfnis einfach wechselten.

Um die in Ruanda an den Menschen gewöhnten Berggorillas im Dickicht möglichst nah zu beobachten, wird mit den Wächtern des Vulkan-Nationalparks zuvor eine Vereinbarung getroffen. "Ich muss sieben Meter Abstand zur Gruppe halten", sagt Grüter. Allerdings würden sich die jungen Wilden unter ihnen nicht immer an diese formelle Abmachung halten. Die Gorillas seien zu neugierig und verspielt, sodass sie gelegentlich sogar an ihm hochgeklettert seien. Ein typisches Verhalten in dem Alter.

Dieser Artikel erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 1.6.2016.

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