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Homöopathie:Tiere, die homöopathisch behandelt werden

Lesezeit: 4 min

Die umstrittene Alternativmedizin ist in deutschen Ställen angekommen. Der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen scheint Globuli für Kühe und Schweine populärer zu machen.

Von Kathrin Zinkant

Es gibt Reizworte, die mit großer Verlässlichkeit zu Diskussionen führen. Homöopathie ist eines davon. Ob es um die Behandlung der kindlichen Erkältung geht oder um die Linderung von Entzündungen der Haut - die einen halten Homöopathie für Hokuspokus, die anderen schwören einfach drauf. Ganz egal, ob es wissenschaftliche Belege für ihre Wirksamkeit gibt oder nicht. Was weniger bekannt ist: Auch in deutschen Tierställen gibt es Anhänger der Homöopathie. Und wenn es nach der Politik geht, dürfen es sogar noch mehr werden. Als sich vor wenigen Wochen drei EU-Parlamentarier der Europäischen Volkspartei zum Thema Antibiotikaresistenzen äußerten, fiel der überraschende Satz: "Homöopathische Wirkstoffe können bei entsprechender Diagnose eine gute Ergänzung oder sogar eine Alternative zur Schulmedizin sein."

Können sie das wirklich? Fest steht, dass der globale Kampf gegen Antibiotikaresistenzen mittlerweile ganz oben auf der politischen Agenda steht, er war Thema des G-7-Gipfels im vergangenen Jahr in Elmau, er wurde diese Woche auch auf dem Weltgesundheitsgipfel in Berlin diskutiert. Und es ist klar, dass ein wichtiger Teil dieses Kampfes in den Tierställen ausgefochten werden muss. So hält es auch das Strategiepapier der Bundesregierung, DART 2020, fest. Bislang allerdings ist der Erfolg ein oberflächlicher: Zwar konnte der Gesamtverbrauch der wichtigen Medikamente in den Tierställen nach aktuellen Angaben des Bundesinstituts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in den vergangenen fünf Jahren insgesamt halbiert werden. Allerdings ist der Verbrauch von Antibiotika, die auch für die Behandlung von Menschen wichtig sind, unverändert hoch.

Weil Globuli für Tiere nicht recht taugen, kommen Sprühflaschen zum Einsatz

Was also tun? Tatsächlich suchen Bauern schon lange nach Alternativen, um ihre Tiere fit zu halten und nicht jedes Mal die ganze Herde behandeln zu müssen. Homöopathie wird deshalb seit Jahrzehnten in vielen Ställen eingesetzt. Sie richtet sich in weiten Teilen nach der klassischen Homöopathie am Menschen, wie sie sich Samuel Hahnemann einst ausgedacht hat: Ein Teil Wirkstoff wird in neun Teilen Flüssigkeit verdünnt oder mit neun Teilen Zucker verrieben. Davon wird wieder ein Teil genommen und der gleichen Prozedur unterzogen. Und immer so weiter.

Nach sechs dieser sogenannten Potenzierungen erhält man dann zum Beispiel ein D-6-Präparat. Der Buchstabe D bezeichnet dabei die Art der Potenzierung, also das Verhältnis eins zu zehn. Für C-Homöopathika wird im Verhältnis 1 zu 100 verdünnt. Und ganz anders als in der Dosis-bezogenen Medizin ist genau das laut Hahnemann der Trick: Je stärker die Verdünnung, desto stärker auch die Wirkung. Einer wissenschaftlichen Überprüfung hält diese Aussage allerdings nicht stand. Das gilt auch für Mastschweine und Milchkühe. Trotzdem schwören viele Bauern auf Hahnemanns Konzept. So wie auch viele menschliche Patienten.

Menschen werden die Mittel allerdings als Tropfen oder Streukügelchen verabreicht. Am bekanntesten sind die kleinen Zuckerpillen, Globuli genannt. Einer Kuh oder einem Schwein sind solche Kügelchen allerdings schlecht auf die Zunge zu legen, sie werden deshalb in Wasser und Alkohol aufgelöst und dem Tier auf verschiedene Art verabreicht, zum Beispiel mithilfe von Blumensprühflaschen. "Das Mittel sollte prinzipiell auf eine Schleimhaut aufgebracht werden", erklärt der Tierarzt Peter Klocke. Bei Kühen landen die Homöopathika deshalb meist in der Nase, in der Vagina oder im Maul. "Ich kenne aber auch Fälle, in denen die Mittel unter die Haut oder sogar intravenös gespritzt wurden." Was da besser sei, darüber gebe es keine Erkenntnisse.

Wie aber kann es überhaupt sinnvoll sein, mit Mitteln zu behandeln, die wissenschaftlich betrachtet völlig wirkungslos sind? "Wenn man mal von den Erfahrungen ausgeht, die von den Bauern gemacht werden, dann eignen sich homöopathische Mittel vor allem bei Störungen und Erkrankungen, die von alleine wieder ausheilen", kommentiert Klocke. Dazu zählt etwa die Fruchtbarkeitsstörung. Manchmal auch die bakterielle Euterentzündung der Milchkuh, die häufig auftritt und früher sofort mit Antibiotika behandelt wurde.

Es geht aber auch anders. "Wir nutzen homöopathische Mittel zum Beispiel, um die Zeit zu überbrücken, die für eine gründliche Diagnostik nötig ist", sagt Klocke. Der wichtigste Effekt sei, dass die Landwirte das Gefühl hätten, sie könnten etwas tun. Zugleich entstünde weniger Wartezeit, was die ökonomisch extrem unter Druck geratenen Milchbauern begrüßen.

Mit seinem Kollegen Christian Fidelak betreibt der Arzt in Potsdam heute eine veterinärmedizinische Beratungsfirma für die Milchviehhaltung, die mittlerweile sogar konventionelle Zulieferer großer Molkereien betreut - unter anderem in Bayern. Beide Tiermediziner haben zuvor beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau FIBL gearbeitet und langjährige Erfahrung mit der Homöopathie im Tierstall. Dabei hat Klocke vor allem eines gelernt: "Jeder macht es anders." Und nicht alle bleiben auf dem Boden der Tatsachen.

Das gilt zum Beispiel für sogenannte Nosoden, bei denen es sich um eine Art homöopathische Impfung handelt. Sie enthalten extreme Verdünnungen von Krankheitserregern oder kranken Zellen, bisweilen ist Eiter die Grundlage. Klocke zufolge ist die Verwendung dieser Mittel heute unüblich, aber in Seminarbeiträgen finden sich immer wieder Hinweise auf Nosoden, die zusätzlich zu den Globuli eingesetzt werden könnten. Nicht selten paaren sich diese Ratschläge mit anderen Absonderlichkeiten. So rät eine Veterinärhomöopathin dazu, drei Globuli in hundert Milliliter Wasser aufzulösen - aber nicht sechs Globuli in zweihundert Milliliter Wasser. "Da ist man dann rasch im Bereich des Esoterischen", sagt Klocke.

Oft steht man vor der Frage, ob das Tier überlebt. Dann helfen manchmal nur noch Antibiotika

Genauso wehrt sich Klocke gegen andere Übertreibungen - zum Beispiel die, man könne nun auf Antibiotika verzichten und stattdessen mit Globuli behandeln. "Mir ist die Aussage, dass Homöopathie eine Alternative zur Schulmedizin sein kann, viel zu plakativ", sagt der Tierarzt. Ähnlich sieht es die Veterinärmedizinerin Heidi Kübler. "Die Antwort ist klar: Nein, die Homöopathie ist keine Alternative zur Schulmedizin", sagt sie.

Auch für die Vorsitzende der Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin in Deutschland sind naturheilkundliche Verfahren eine sinnvolle Ergänzung zu dem, was sich mit der Schulmedizin bewerkstelligen lässt. Mehr aber auch nicht. "Man kann in der Rinder- und Schweinehaltung schon einiges mit ganzheitlichen Methoden bewirken", sagt Kübler. Aber oft stehe man vor der Frage, ob das Tier überlebt. Da komme man an Antibiotika nicht immer vorbei.

Wobei für Heidi Kübler ohnehin weniger im Mittelpunkt steht, ob und welche Medikamente gegen solche schweren Erkrankungen akut helfen. Sondern unter welchen Umständen diese Erkrankungen entstehen und sich im Tierstall ausbreiten. "Im Vordergrund stehen die Haltungsbedingungen", sagt die Ärztin. In voll belegten Ställe mit mangelhafter Lüftung und Hygiene würden die Tiere naturgemäß nun mal häufiger und meist auch schwerer krank. "Auf diese Missstände können wir Tierärzte zwar hinweisen", sagt Kübler. "Aber beseitigen können wir sie nicht."

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Quelle:
SZ vom 14.10.2016
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