Homöopathie:Auf der Suche nach dem Nichts

Homöopathischer Notdienst in München, 2007

Gläser mit verschiedenen Globuli. Muss weiterhin überprüft werden, ob Homöopathie wirkt?

(Foto: lok)

Skeptiker fordern, die Homöopathie nicht weiterhin nach den Regeln der evidenzbasierten Medizin zu untersuchen. Die Forderung klingt sinnvoll - schließlich widersprechen die Annahmen der Homöopathen den Naturgesetzen. Doch es ist noch zu früh.

Von Christian Weber

Stimmt schon, aus Sicht der empirischen Wissenschaft muss man nicht länger erforschen, ob die Homöopathie funktioniert. Die Sachlage ist mittlerweile eigentlich klar: Die Zuckerkügelchen haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine spezifische Wirkung auf den Organismus. Das postulierte Wirkprinzip widerspricht den bekannten Naturgesetzen, eine andere Erklärung ist nicht in Sicht.

Die Studienlage deutet darauf hin, dass Homöopathen - soweit sie denn Erfolg haben - einen gesteigerten Placebo-Effekt beim Patienten induzieren, der Selbstheilungskräfte stimuliert.

Wer - so wie ein Großteil der Bevölkerung - gelegentlich Globuli schluckt oder als Arzt diese verschreibt, der betreibt einen pragmatischen Alltags-Schamanismus, der bei mancher Befindlichkeitsstörung seinen Zweck schon erfüllen kann: Wer feste glaubt, wird eher gesund; wer heilt, muss eben nicht recht haben. Dabei könnte man es eigentlich belassen.

Haben also Kritiker aus Skeptikerkreisen recht, die - so wie der Wissenschaftsjournalist Christian Weymayr - neuerdings fordern, dass sich die wissenschaftliche Medizin nicht weiter mit dem ganzen Hokuspokus beschäftigen sollte?

Die Antwort auf diese Frage ist weniger einfach.

Dabei ist Weymayrs Argument nicht ganz von der Hand zu weisen: Schon aus statistischen Gründen und dem Spiel des Zufalls sei zu erwarten, schreibt er in einem aktuellen Aufsatz, dass selbst Studien, die nach allen Regeln der evidenzbasierten Medizin verfertigt wurden, gelegentlich Erfolge für die Homöopathie zeigen (Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, Bd. 107, S. 606, 2013). Bei den üblichen statistischen Zuverlässigkeitsraten "liefert zwangsläufig jede 20. Studie vermeintlich signifikante positive Ergebnisse", schreibt Weymayr.

Hinzu kämen weitere mögliche Fehlerquellen wie etwa der publication bias, also die auch aus der Schulmedizin bekannte Tendenz, dass Forscher und Zeitschriften eher positive Resultate veröffentlichen statt Entkräftungen. Bereits jetzt, so kritisiert Weymayr, würden die Lobbyisten der sogenannten Komplementärmedizin mit den wenigen positiven Studien Propaganda für die Homöopathie machen.

Das scheint in der Tat die Strategie zu sein: Früher versicherten die meisten Homöopathen - ähnlich wie die Psychoanalytiker - dass sich ihre Therapie mit den heute üblichen randomisiert-kontrollierten Studien (RCT) nicht angemessen überprüfen lasse. Darunter versteht man Studien, in denen weder Arzt noch Patient wissen, wer den Wirkstoff und wer das Placebo erhält, und der Zufall entscheidet, welcher Proband in welche Gruppe kommt. Heute argumentieren viele Homöopathen mit solchen Studien aus der evidenzbasierten Medizin.

Als Durchbruch gilt etwa eine auf den ersten Blick methodisch einwandfreie Studie der Universität Bern aus dem Jahr 2005, die nachgewiesen haben will, dass ein Großteil der ADHS-Kinder von Globuli profitiere (European Journal of Pediatrics, Bd. 164, S. 758, 2005). Selbst die Pressestelle der Universität München bejubelte diese Studie vor wenigen Wochen erneut anlässlich einer Homöopathie-Tagung in der Kinderklinik der Hochschule. Wie viele Laien wissen schon, dass eine Arbeit allein wenig besagt? Dass Studien reproduziert werden müssen, bevor man ihre Ergebnisse als gefestigt betrachten kann? Dass deshalb die Sichtung der gesamten Studienlage notwendig ist?

Vermutlich kann man in der Tat davon ausgehen, dass nach den üblichen Talkshow-Krawallen zum Thema bei vielen Zuschauern ein zwiespältiger Eindruck übrig bleibt: Da streiten sich halt die Experten - so wie bei der Finanzkrise auch. Beide Seiten werden schon irgendwo recht haben. "Diese leidige Studiendiskussion führt zu nichts", sagte Weymayr vor Kurzem in einem Interview im Magazin Skeptiker. "Sie hat im Grunde dazu geführt, dass die Wissenschaft heute die beste Freundin der Homöopathen ist."

Es geht um zentrale physikalische Gesetze

Weymayr schlägt deshalb ein Konzept vor, dass er "Scientabilität" nennt. Dieses besagt, dass klinische Studien nurmehr durchgeführt werden sollten, "wenn die zu prüfenden Interventionen sicheren Erkenntnissen nicht widersprechen". Mit sicheren Erkenntnissen meint er nicht irgendwelche medizinischen Lehrmeinungen, sondern etwa zentrale physikalische Gesetze.

Mit anderen Worten: Man sollte die wissenschaftlich hochwertige Homöopathieforschung einstellen. Man überprüft ja auch nicht, ob Schweine aus eigener Kraft zum Mond fliegen können - obwohl das streng wissenschaftstheoretisch nicht unbedingt auszuschließen wäre.

Leider bleibt unklar, wie sich ein solches Konzept durchsetzen sollte. Nachdem die Forschungsfreiheit in Deutschland aus gutem Grund Verfassungsrang hat, ist nicht zu erwarten, dass sich irgendein interessierter Forscher entsprechende Studien verbieten lassen wird. Und die privaten Stiftungen und Unternehmen der Globuli-Branche werden ihre Mittel natürlich weiterhin nach ihren Interessen vergeben.

Sinnvoll ist allenfalls die Forderung, dass Universitäten nicht länger ihren guten Namen mit der Einrichtung dubioser komplementärmedizinischer Lehrstühle und Studiengänge beschädigen sollten. Leider ist derzeit eher das Gegenteil der Fall. An vielen medizinischen Fakultäten blüht die vermeintliche Alternativmedizin.

Dennoch, die Forderung, Homöopathie nicht mehr nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin zu überprüfen, ist ein Schuss, der leicht nach hinten losgehen könnte. Nachdem die Schulmediziner jahrelang wissenschaftlich harte Belege von den Homöopathen gefordert haben, soll man die Diskussion ausgerechnet dann einstellen, wenn diese mit den ersten einigermaßen brauchbaren Studien aufwarten? So kann man Verschwörungstheoretiker glücklich machen, die ohnehin schon glauben, dass Schulmediziner und Pharmaindustrie eine angeblich sanfte und ganzheitliche Medizin verhindern wollen.

Je besser die Studien, desto kleiner die Effekte

So überflüssig es aus Sicht der Wissenschaft auch erscheinen mag - man wird sich wohl weiterhin mit Studien zur Homöopathie auseinandersetzen müssen. Immerhin spricht die derzeitige Diskussion dafür, dass die Lehre trotz einiger Erfolge einer rigorosen methodischen Analyse nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin nicht bestehen wird: Je besser nämlich die einschlägigen Studien werden, desto kleiner werden die Effekte. Positive Ergebnisse lassen sich kaum reproduzieren. Und selbst die vermeintlich hochwertigen Arbeiten werden von Kritikern auseinandergenommen. Ein Beispiel liefert die erwähnte Berner ADHS-Studie, doppelblind, randomisiert, placebokontrolliert, angeblich Goldstandard.

Bloß: Gerade mal 62 Kinder und Jugendliche wurden untersucht, was für eine Medikamentenstudie eine sehr kleine Zahl ist und Zufallsergebnisse begünstigt. Und: Aufgenommen in die Studie wurden nur solche Probanden, die bereits vor Studienbeginn mit Globuli behandelt wurden und dabei eine mindestens 50-prozentige Symptomverbesserung gezeigt hatten.

"Versuchen Sie mal, diese Studie zu lesen, ohne sich kaputtzulachen", kommentierte deshalb in einem Interview der Immunologe Beda Stadler, der ebenfalls an der Universität Bern arbeitet. Kritisch fallen auch die Analysen des mittlerweile emeritierten Mediziners Edzard Ernst aus, der sich an den Universitäten Exeter und Plymouth mit den Studien der Alternativmedizin beschäftigte.

Das schafft Hoffnung, dass man sich irgendwann vermehrt mit den wirklich spannenden Themen beschäftigen wird, die von der Homöopathie-Diskussion der letzten Jahre angestoßen wurden. Sie hat gezeigt, wo die Defizite der schulmedizinischen Praxis liegen und wie gesundheitsfördernd eine vertrauensvolle Beziehung und das ausführliche Gespräch zwischen Arzt und Patient sind. Eine Einsicht allerdings, die Psychosomatiker schon lange vertreten.

Selbst manche Vertreter der Homöopathie gestehen heute mehr oder weniger offen ein, dass vermutlich nicht die Globuli heilen, sondern dass das ganze therapeutische Setting wirkt. Die Homöopathie hat nochmals verdeutlicht, wie wichtig der Placebo-Effekt bei den meisten medizinischen Interventionen ist. Bei ihm handelt es sich nicht um eine eingebildete, sondern um eine reale, physiologische Wirkung. Statt sich weiter über irgendwelche Geisterkräfte zu streiten, wäre es wichtig, diesen Mechanismus weiter aufzuklären.

Und daran würde sich dann die entscheidende Frage anschließen: Lässt sich der Placebo-Effekt gezielt nutzen und verstärken, ohne dass Arzt und Patient sich selbst betrügen müssen? Und wenn nein, welche Folgerung ziehen wir daraus?

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