In der Atmosphäre über Süddeutschland war ohne Zweifel so einiges los in den vergangenen Tagen. Dort fielen am Wochenende innerhalb von 24 Stunden stellenweise bis zu 140 Liter Regen pro Quadratmeter, etwa im bayerischen Sigmarszell-Zeisertsweiler im Landkreis Lindau am Bodensee. Laut Deutschem Wetterdienst bekamen einzelne Orte binnen weniger Stunden mehr als die gesamte Menge ab, die sonst im ganzen Juni fällt. Es waren ungeheure Wassermassen. Da verwundert es kaum, dass die Pegel mancher Flüsse locker die Marken für ein 50- oder gar 100-jähriges Hochwasser überschritten.
Die Frage, woher das viele Wasser kommt, lässt sich auf zwei Arten beantworten, meteorologisch und klimatisch. Die Wetterlage ist Experten bestens bekannt: Über Skandinavien hat sich seit April ein stabiles Hochdruckgebiet festgesetzt. Dieses blockiert Strömungsbänder, auf denen Hochs und Tiefs sonst in rascher Folge von West nach Ost über Europa ziehen. Über dem Westen des Kontinents kann sich daher ein Tiefdruckgebiet halten, das gegen den Uhrzeigersinn rotiert. Es schaufelt aus dem Mittelmeerraum beständig Wasser nach Mitteleuropa.
Da sich solche im Fachjargon Vb-Tiefs genannten Wetterlagen (sprich: Fünf-b) recht langsam bewegen, steigt die Gefahr, dass sie ihr Wasser innerhalb kurzer Zeit über einem Ort abladen. „So eine Vb-Wetterlage hat naturgemäß sehr viel Wasser im Gepäck“, sagt Mojib Latif, Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Geomar). „Und je wärmer es wird, umso mehr Wasser haben sie im Gepäck.“ Gerade das Mittelmeer sei derzeit stark aufgeheizt, somit verdunste auch mehr Wasser, das später wieder abregne – nur eben an einem anderen Ort.
Luft kann pro Grad Celsius Erwärmung sieben Prozent mehr Wasser speichern
Damit ist man beim zweiten Teil der Antwort angelangt, dem Einfluss der globalen Erwärmung. Hier sei der Zusammenhang eindeutig, so Latif: „Bei höheren Temperaturen nimmt die Verdunstung zu, wärmere Luft kann außerdem mehr Wasserdampf aufnehmen.“ Genauer gesagt: Luft kann pro Grad Celsius Erwärmung sieben Prozent mehr Wasser speichern. Dieses physikalische Gesetz ist seit rund 200 Jahren bekannt. Wie unerbittlich es wirkt, zeigt sich, je weiter die Erderwärmung voranschreitet.
„Wir beobachten aktuell eine Temperaturentwicklung, wie es sie historisch bislang nicht gegeben hat – global, aber auch lokal“, sagt Peter Hoffmann, Meteorologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Dieser Temperaturanstieg bedeute mehr Energie für Unwetter. Für Europa komme noch hinzu, dass sich der Einfluss des Atlantiks auf das hiesige Wettergeschehen infolge des Klimawandels seit einigen Jahrzehnten abschwächt. Das liegt laut Hoffmann daran, dass sich die Pole überdurchschnittlich stark erwärmen, wodurch der Temperaturunterschied zu den niedrigeren Breiten abnimmt.
„Dieser Temperaturunterschied ist aber entscheidend für unsere Wettersysteme, die sich in der Regel rasch von West nach Ost verlagern“, sagt Hoffmann. „Stattdessen bekommen wir seit einigen Jahrzehnten verstärkt Wetterlagen, die Luftmassen vom Mittelmeerraum Richtung Norden transportieren“ – umgekehrt kann sich mitunter auch sehr kühle Luft aus der Arktis bis weit in den Süden ausbreiten. Die Folge können Wetterlagen sein, die sich sehr hartnäckig halten – so wie nun über Süddeutschland.
In seinem jüngsten Sachstandsbericht von 2022 warnt der Weltklimarat (IPCC) eindrücklich vor den Folgen. In den vergangenen drei Jahrzehnten sei die Zahl der Überschwemmungen in Europa so hoch gewesen wie seit 500 Jahren nicht mehr, die wirtschaftlichen Schäden infolge von Hochwasserereignissen seien stark gestiegen. Und für die Zukunft rechnet der IPCC mit noch höheren Flutrisiken für den Kontinent.
Da stellt sich längst die Frage, ob sich Landkreise und Kommunen gegen derartige Naturkatastrophen wappnen können. Laut Weltklimarat ist Anpassung als zweite Säule neben der Reduktion von Treibhausgasen dringend geboten und wird auch schon erfolgreich praktiziert. Der Ausbau des Hochwasserschutzes, aber auch die Einrichtung von Frühwarnsystemen hätten die Todesfälle infolge von Überschwemmungen in Europa gesenkt.
Einzelne Maßnahmen könnten aber auch kontraproduktiv sein. Werden entlang von Flüssen beispielsweise höhere Deiche gebaut, könne das eine weitere Bebauung entlang der Gewässer attraktiv machen. So entstünden „selbstverstärkende Pfadabhängigkeiten“, wie es die Wissenschaftler nennen: Die neuen Straßen und Gebäude erfordern wieder mehr und noch teureren Hochwasserschutz. So werde der Weg zu „transformativen Maßnahmen“ versperrt.
Darunter verstehen Forscher etwa sogenannte „naturbasierte Lösungen“: Nicht mehr so dicht an Gewässern bauen, stattdessen Auen renaturieren und den Flüssen mehr Raum geben. So entstehen Flächen, die das überschüssige Wasser aufnehmen können, wenn es lange stark regnet. Auch die Wälder zu erhalten und wieder aufzuforsten, zählt dazu – damit dort Wasser versickert, statt oberirdisch zu den Gewässern abzufließen.
Neu sind diese Ideen allerdings nicht. Schon 1997 forderte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nach dem Hochwasser an der Oder, den Flüssen mehr Raum zu geben – eine Formel, die 2002 von Gerhard Schröder an der Elbe wiederholt wurde oder 2021 nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Die Fälle zeigen jedoch, dass die Mahnungen oft nur von kurzer Dauer sind. „Gerade das Ahrtal ist da ein trauriges Beispiel, bis auf 30 oder 40 Gebäude wird alles wiedererrichtet“, sagte kürzlich die Vize-Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbands der Versicherer (GDV), Anja Käfer-Rohrbach. In dem stark gefährdeten Gebiet werde wiederaufgebaut, „als wenn es keinen Klimawandel gäbe“.
Jedes Jahr 1000 neue Häuser in Hochwassergebieten
Daten des GDV zeigen, dass die Risiken auch andernorts wenig beachtet werden. Laut einer Erhebung des Verbands sind in Deutschland rund 300 000 Gebäude von Hochwasser bedroht – und jedes Jahr kommen im Schnitt mehr als 1000 neue Häuser dazu – einfach, weil sie in Gebieten gebaut werden, die von Überschwemmungen bedroht sind.
Zudem betonen Experten, dass es auch Grenzen der Anpassung gibt. „Wenn solche Ereignisse immer häufiger auftreten, führt das irgendwann dazu, dass ein Land das nicht mehr finanzieren kann“, sagt Mojib Latif. Starkregen lässt sich zudem besonders schwer prognostizieren, er kann im Prinzip überall fallen. „Wir haben zum einen die Herausforderung, dass es Phasen über Wochen oder Monate mit kaum Regen gibt“, sagt Peter Hoffmann von den Potsdamer Klimaforschern. „Und dann kommt der gesamte Regen, der vorher ausgeblieben ist, auf einmal.“