Hochwasser:"Das kann jederzeit wieder passieren"

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Sachsen-Anhalt hatte das Hochwasser besonders heftig getroffen. Langsam sinken die Pegel wieder. (Foto: dpa)

Das allmählich zurückweichende Hochwasser an der Elbe zeigt nun das ganze Ausmaß der Schäden. Umweltverbände und Behörden streiten um Versäumnisse beim Schutz der Städte. Sicher ist: Beim Hochwasserschutz geht vieles nicht voran - und die Gefahr verschärft sich.

Von Michael Bauchmüller und Marlene Weiss

Langsam zieht sich das Wasser nun zurück, Zentimeter um Zentimeter. Es hat Tage gegeben, da guckte von dem Pegel nur noch die gelbe Spitze aus dem Wasser, für mehr als fünf Meter ist er nicht ausgelegt. Jetzt ist er nur noch bei zwei Metern. Die Aue bei Roßlau ist trotzdem überflutet - und so soll es auch sein. Es ist einer jener wenigen Orte, an denen eine Deichrückverlegung bisher geklappt hat.

"Als wir 1994 die erste Bürgerversammlung gehabt haben, da haben die Leute gesagt: Hochwasser? Das kommt so schnell nicht mehr", sagt Klemens Koschig, der parteilose Bürgermeister von Dessau-Roßlau. Damals habe sich ein älterer Herr erhoben, er habe laut gefragt, ob irgendwer das garantieren könne. "Das hat die Stimmung damals gewendet", sagt Koschig heute. 2006 schließlich wurde der neue Deich fertig, nach zwölf Jahren. Klagen hatten das Projekt verzögert. Seither können 135 Hektar Land überflutet werden, wenn die Elbe wieder mal steigt. Und sie stieg oft in den vergangenen Jahren: 2002, 2006, 2011, 2013.

Peter Altmaier, der Bundesumweltminister von der CDU, ist am Dienstag im Hochwassergebiet unterwegs. Die Lage beginnt sich zu entspannen, die meisten Schäden werden jetzt erst sichtbar. "Wir müssen verhindern, dass das Thema mit den ablaufenden Fluten wieder von der Agenda verschwindet", sagt Altmaier.

"Die Vorgaben können einen auf die Palme bringen"

Es wäre nicht das erste Mal. Schon nach dem verheerenden Elbehochwasser im Sommer 2002 sollte alles anders werden im Hochwasserschutz. "Mehr Raum für Flüsse" versprach das Fünf-Punkte-Programm der rot-grünen Bundesregierung unmittelbar nach dem Hochwassersommer. Daraus entstand bis 2005 ein Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes. Von Belangen des Naturschutzes ist darin die Rede, von Erhalt und Verbesserung der ökologischen Strukturen der Gewässer und ihrer Überflutungsflächen.

Die gezähmten Flüsse sollten wieder über die Ufer treten dürfen, wie sie das schon immer getan haben, bis der Mensch auf die Idee kam, ihnen das Land wegzunehmen. Das Hochwasserschutz-Gesetz von 2005 sollte den Flüssen Platz zurückgeben und die Schäden bei Überschwemmungen verringern. Theoretisch.

Aber mit Theorie und Praxis ist es im Hochwasserschutz so eine Sache. "Das Gesetz war im Ansatz sehr gut, aber es wurde aufgeweicht", sagt Georg Rast, Hochwasser-Experte beim WWF. Ursprünglich waren schärfere Vorschriften für die Landwirtschaft und ein Neubauverbot in Überschwemmungsgebieten geplant, was jedoch die Länder verhinderten. Aber auch über die immer intensivere Landwirtschaft abseits der Flüsse müsse man reden, sagt Rast - sie lasse Regenwasser schlechter abfließen, so dass die Flüsse mehr Wasser abtransportieren müssen.

Nicht weit von Dessau überquert die A 9 die Elbe, die hier schon weniger dem Mississippi ähnelt. Der Umweltverband WWF arbeitet an der Rückverlegung eines Deiches, die Überflutungsfläche entlang der Autobahn würde den Orten unterhalb Entlastung verschaffen. "Wir haben allein ein Jahr lang mit den Behörden darüber gestritten, ob man die Autobahn-Trasse als Damm benutzen darf oder nicht", sagt Rast. Am Ende gaben die Behörden einer Spundwand statt. "Die Vorgaben können einen auf die Palme bringen", sagt auch Sachsen-Anhalts Umweltminister Hermann Onko Aeikens (CDU).

Auch ein Deich weiter elbabwärts bei Lödderitz ist in Verzug. Begonnen wurde er 1997, inzwischen ist er zur Hälfte fertig. "Wir müssen klar vereinbaren, welche Maßnahmen wir in den nächsten Jahren brauchen", sagt Altmaier. "Und wir müssen öffentlich machen, welche Projekte weswegen nicht vorankommen."

Ja, weshalb eigentlich? Von knapp zwei Dutzend Deichrückverlegungen an der Elbe, die 2002 diskutiert wurden, sind nur drei abgeschlossen. "Von unserem Ziel, 35.000 Hektar Rückhaltefläche zu schaffen, haben wir nur 1200 Hektar geschafft", sagt Ernst Paul Dörfler, Elbe-Projektleiter beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). "Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, brauchen wir noch 200 Jahre."

Die Länder hätten mehr Projekte umsetzen müssen, aber fast überall sei zu wenig passiert, sagt ein Sprecher des BUND. Dieses Problem kennt Altmaier aus Erfahrung: Als Staatssekretär im Bundesinnenministerium hat er seinerzeit über die Föderalismusreform II mitverhandelt. Eines der Ziele: Eine Bundeskoordination für den Hochwasserschutz. Am Ende aber behielten die Länder ihre Kompetenzen. Am Dienstag verhandelten die Finanzminister der Länder mit dem Bund darüber, wer wie viel zum milliardenschweren Hochwasser-Fonds für den Wiederaufbau beitragen muss - eine Einigung kam nicht zustande.

Für den Projektstau aber wollen die Länder sich nicht die Schuld in die Schuhe schieben lassen. "Die Projekte sind längst auf dunkelgrün geschaltet. Aber wir kommen einfach nicht zum Ziel", sagt Burkhard Henning, Leiter des Hochwasserschutz-Betriebs in Sachsen-Anhalt. Da seien die Interessen von Eigentümern, Landwirten, Forstwirten, sagt er; zum Teil verkomplizierten Umweltverträglichkeitsprüfungen alles. "Wir müssen die Verfahren vereinfachen, das ist hanebüchen, was unsere Gesellschaft sich da leistet", sagt Henning.

Eine halbe Milliarde Euro hat Sachsen-Anhalt seit 2002 in den Hochwasserschutz investiert, mehr als 80 Prozent davon in Deichbau und Deichsanierung, meist eine wenig umstrittene Maßnahme. Aber bessere Deiche verlagern das Wasser nur flussabwärts. WWF-Experte Rast fordert, schon am Oberlauf wieder mehr Wasser über die Ufer treten zu lassen, damit unten weniger ankommt.

Und das Problem verschärft sich: Klimaforscher und Meteorologen halten häufigere Hochwasser für unausweichlich. "Es ist völliger Unsinn, heute von einem ,Jahrhunderthochwasser' zu sprechen", sagt Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. "Was jetzt passiert ist, kann jederzeit wieder passieren." Niemand könne vorhersagen, wie bald. Schließlich sei der Klimawandel ein dynamischer Prozess.

Hintergrund, auch des aktuellen Hochwassers, sind sogenannte 5b- Wetterlagen. Tiefdruckgebiete nehmen über dem Golf von Genua Wasser auf und regnen sie dann über Deutschland ab, sie werden immer häufiger beobachtet. "Wenn diese Wetterlagen zunehmen", sagt Gerstengarbe, "dann steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine davon auch einmal ein Hochwasser bringt."

In Roßlau haben sie jetzt schon mit feinem Pinselstrich das "Hochwasser 2013" markiert, auf einem gepflasterten Weg, der geradewegs ins Wasser führt: 4,08 Meter. Es ist der erste Eintrag am neuen Deich. Aber sicher nicht der letzte.

© SZ vom 19.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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