Hochradioaktiver Abfall:Müllhalde für die Ewigkeit

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Wohin mit gefährlichem radioaktiven Müll? Europäische Nuklearexperten sind zuversichtlich, im Jahr 2020 das weltweit erste Endlager für hochradioaktiven Abfall zu eröffnen.

Christopher Schrader

Der rot lackierte Förderkorb ist für 14 Personen zugelassen. Mehr passen auch nicht hinein, zumal sie Schutzkittel und Warnwesten, Gummistiefel und Helme mit Stirnlampen tragen. An breiten Gürteln hängen Alarmmelder und Atemgeräte.

In einem Labor in 490 Metern Tiefe will Frankreich die Lagerung lebensgefährlich strahlender Abfälle aus Kernkraftwerken erproben. (Foto: Foto: Andra)

Die Kanister von der Größe eines Brotlaibs drücken sich den Mitfahrern gegen Hüften oder Bauch. Es geht 490 Meter abwärts, langsam. Nach zwei Minuten beginnt der Alarm des Laborchefs Pierre Forbes zu wimmern, weil er sich zu lange nicht bewegt hat. In der Enge kommt er kaum an seinen Gürtel, um den Warnton abzustellen.

Nach einer weiteren Minute platzen er und seine Besucher förmlich in den unterirdischen Stollen. Hier, tief unter dem Südzipfel des Departments Meuse (Maas), erprobt Frankreich, wie sich hoch-radioaktiver Atommüll sicher einlagern lässt.

An der Oberfläche ist das Gelände mit seinen Fördertürmen von Feldern und Wäldern umgeben. Der nächste Ort ist das Dörfchen Bure. Die Stadt Nancy liegt 80 Kilometer im Osten. Im Untergrund haben sich Bagger und Bohrer in das graue, geäderte Tongestein gegraben, das vor 150 Millionen Jahren als Sediment in urzeitlichen Gewässern entstanden ist.

Stahlrippen stützen die Stollen, grober Spritzbeton kleidet die Wände aus. Neonröhren, Lüftungsrohre und Kabel hängen daran. Dass es sich um ein Labor handelt, verraten der Computerschrank in einer Nische sowie die Messinstrumente an den Wänden. Sie erfassen, wie schnell radioaktive Stoffe durch den Fels wandern oder wie das Gestein die Abwärme von radioaktivem Müll ableiten würde.

"Hier in Bure werden wir nichts einlagern, das haben wir der Bevölkerung versprochen", sagt Forbes. Dabei wäre die Geologie geeignet, sagen die Forscher der französischen Entsorgungsbehörde Andra. Das spätere Endlager soll in der gleichen Tonsteinschicht gebaut werden, in einem dreieckigen Areal von 250 Quadratkilometern nordwestlich von Bure.

Dagegen protestieren zwar französische Kernkraftgegner von der Organisation Sortir du nucléaire. Der Tonstein sei ungeeignet, er enthalte Salzwasser und Pyrit, aus dem sich Schwefelsäure bilden könne, sagen die Aktivisten. Doch Forbes ist sicher: "Im Jahr 2025 können wir die ersten Behälter einlagern."

Er hat dafür Rückendeckung aus der Forschergemeinde, die sich auf die Eröffnung der weltweit ersten Endlager für hoch-aktiven Abfall vorbereitet. Die Pioniere werden wohl die Finnen sein. Timo Äikäs von der finnischen Firma Posiva plant, bereits 2020 in Onkalo an der Westküste erste abgebrannte Brennelemente einzulagern.

Eine Million Jahre vom Rest der Welt isoliert

"Wir forschen seit 30 Jahren an der nuklearen Entsorgung in tiefen geologischen Formationen", ergänzt Neil Chapman, der im schweizerischen Baden-Dättwil die ITC-Schule leitet, den Thinktank der Entsorgungsbranche.

"Die vergangenen fünf Jahre haben uns keine Überraschungen gebracht, dafür Details und gesteigertes Vertrauen, dass wir auf dem richtigen Weg sind." Über diese Zeit haben die Forscher in der vergangenen Woche in Luxemburg Bericht erstattet: Auf der Konferenz "Euradwaste '08" ging es um die von der EU mit gut 40 Millionen Euro geförderte Entsorgungs-Forschung.

Es ist ein drängendes Problem, vor allem weil Kernkraft-Gegner der Nuklear-Branche ständig vorhalten, sie wisse nicht wohin mit dem gefährlichen Müll. Nur 43 Prozent der Europäer glauben Umfragen zufolge, die Lagerung unter Tage sei eine gute Lösung. Eine Affäre wie im deutschen Salzbergwerk Asse II, wo jahrelang offenbar ohne sonderliche Kontrollen schwach- und mittelaktive Abfälle eingelagert wurden und das jetzt absäuft, soll sich nirgendwo wiederholen können.

Da kommt es gelegen, wenn passend zur viel beschworenen Renaissance der Atomenergie bald die ersten Endlager beschlossen und eröffnet werden. Sie müssen den strahlenden Abfall wegen der langen Halbwertszeiten radioaktiver Substanzen für eine Million Jahre sicher von den Stoffkreisläufen des Lebens isolieren. Wer in solchen Zeitdimensionen denkt, kann sich nicht auf bewachte Anlagen, Warnschilder und schriftliche Aufzeichungen verlassen. Die Geologie muss das Problem lösen.

Etwa 8000 Kubikmeter High Level Waste, hochaktiver Abfall, kurz HLW, steht allein in Europa bereits in Zwischenlagern, jedes Jahr kommen 280 Kubikmeter hinzu. Das alles in die Tiefe zu bannen, wird eine gewaltige Aufgabe. Das künftige französische Endlager soll unterirdisch bis zu 1500 Hektar Fläche einnehmen, 6000 Kubikmeter HLW in geeigneten Containern aufnehmen. Nach zwei bis drei Jahrhunderten der Einlagerung werden es seine Nachfolger verschließen, sagt Pierre Forbes. Sein finnischer Kollege Timo Äikäs rechnet mit einer Betriebsdauer von 100 Jahren und Kosten von drei Milliarden Euro.

Grundsätzlich halten die Forscher drei Gesteinstypen für geeignet: In Finnland sprengen sie Stollen in Granit, in Frankreich, Belgien und der Schweiz setzen sie auf Ton, Deutschland schließlich hat begonnen, in Gorleben einen Salzstock zu erkunden. Zurzeit ruhen die Arbeiten dort; Gorleben hat gegenüber Asse immerhin den Vorteil, dass das Salz noch nicht bergmännisch bis an den Rand des Stocks ausgebeutet worden ist.

Solch unberührte Geologie wünschen sich die Experten. Außerdem dürfen die Schichten nicht von Erdbeben bedroht sein und müssen dem Druck von Gletschern künftiger Eiszeiten widerstehen. Es soll wenig Wasser fließen, und wenn, darf es keinen Kontakt zum Grundwasser haben. Brüche, die den radioaktiven Stoffen eine Abkürzung nach oben bieten, sind ein Ausschlusskriterium.

"Es gibt keinen perfekten Standort, aber viele mit einer guten Bilanz", sagt Neil Chapman. "Wir können auch nicht garantieren, dass ein Endlager absolut sicher ist. Aber wir kennen inzwischen genau die Obergrenzen der Unsicherheit."

In Bure haben Forscher um Pierre Forbes verfolgt, wie sich radioaktive Stoffe durch das Tongestein bewegen. Der schnellste Transport geschieht per Diffusion, den Prozess, der auch das Wasser um den Teebeutel in einer unbewegten Tasse braun färbt. Für einen Millimeter brauchen die Radioisotope so im Mittel drei Jahre. Gunnar Buckau vom Forschungszentrum Karlsruhe hat berechnet, wozu das im schlimmsten Fall führt. Nach 100.000 Jahren könnten die beweglichsten Stoffe oben ankommen und eine Strahlenbelastung von einem Prozent des heutigen Grenzwerts erzeugen.

Kupferbehälter so teuer wie ein BMW M3

Die Forscher wollen dem strahlenden Müll daher so viele Barrieren wie möglich entgegenstellen. "Man muss den Behältern mehr Aufmerksamkeit schenken, als man früher dachte", sagt Heinz Smital von Greenpeace, der die Endlager-Diskussion kritisch verfolgt. "Kupfer ist dafür zum Beispiel ein gutes Material."

Tatsächlich planen Finnen und Schweden, abgebrannte Brennelemente in dem rötlichen Metall zu verpacken. Sie lassen sechs Meter lange Röhren anfertigen, die in Bohrlöcher im Granit kommen. "Jeder Container kostet so viel wie ein BMW M3", scherzt Timo Äikäs. Der Sportwagen hat Preise um 70.000 Euro, "und wir brauchen 2200 davon."

Die Franzosen hingegen arbeiten ihre Brennelemente auf, trennen den strahlenden Müll ab und gießen ihn in Glaszylinder, die von Edelstahl und Puffermaterial umschlossen werden. Die Container kommen wie Perlen auf einer Kette in waagerechte Tunnel, deren Ende ein Stöpsel verschließt. "Wir haben erkannt, dass wir beim Bohren der Tunnel ein bis zwei Meter tiefe Risse im Gestein auslösen", sagt Forbes. "Die müssen wir vor dem Einlagern verschließen."

In Salz hingegen sind die Behälter weniger entscheidend. "Das ist so aggressiv, da hätte kein Container eine Chance, auch nur einige Jahrhunderte durchzuhalten", sagt Beate Kallenbach vom Öko-Institut in Darmstadt. Dennoch schätzen Äikäs und Chapman das Gestein. Es verschließt nach wenigen Jahrzehnten Kavernen, Stollen und Schächte nahtlos. Durch die Anlage kann dann kein Wasser mehr zum Abfall oder von unten an die Oberfläche kommen.

Dennoch bezweifelt Kallenbach, dass Gorleben ein guter Standort für das deutsche Endlager ist. "Die bisherigen Untersuchungen sind nicht genau genug dokumentiert. Es ist unklar, welche Kriterien sie erfüllen." Heinz Smital verweist zudem auf die "Gorlebener Rinne", eine Störung im Deckgebirge, die womöglich Grundwasser direkt an den Salzstock führt: "Gegen Wasser ist Salz nun einmal empfindlich." Das zeigt sich in Asse II, wo seit Jahren Wasser eindringt und der Einsturz droht.

Beide Experten, die gegen die Nutzung der Kernenergie sind, halten daher die Festlegung auf Gorleben für voreilig. "Wir müssen in Deutschland neu auf Suche nach einem Endlager gehen", sagt Beate Kallenbach, "und dabei auch Standorte in Baden-Württemberg oder Bayern prüfen, wo es Tonstein-Formationen gibt. Dann kann man Gorleben damit vergleichen."

Das aber dürfte Deutschland um einige Jahrzehnte zurück werfen. Neil Chapman betont nämlich: Beim Errichten von Endlagern müsse man Schritt für Schritt vorgehen. "Wo man das in einem großen Sprung versucht hat, ist es schiefgegangen."

© SZ vom 29.10.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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