Der rot lackierte Förderkorb ist für 14 Personen zugelassen. Mehr passen auch nicht hinein, zumal sie Schutzkittel und Warnwesten, Gummistiefel und Helme mit Stirnlampen tragen. An breiten Gürteln hängen Alarmmelder und Atemgeräte.
In einem Labor in 490 Metern Tiefe will Frankreich die Lagerung lebensgefährlich strahlender Abfälle aus Kernkraftwerken erproben.
(Foto: Foto: Andra)Die Kanister von der Größe eines Brotlaibs drücken sich den Mitfahrern gegen Hüften oder Bauch. Es geht 490 Meter abwärts, langsam. Nach zwei Minuten beginnt der Alarm des Laborchefs Pierre Forbes zu wimmern, weil er sich zu lange nicht bewegt hat. In der Enge kommt er kaum an seinen Gürtel, um den Warnton abzustellen.
Nach einer weiteren Minute platzen er und seine Besucher förmlich in den unterirdischen Stollen. Hier, tief unter dem Südzipfel des Departments Meuse (Maas), erprobt Frankreich, wie sich hoch-radioaktiver Atommüll sicher einlagern lässt.
An der Oberfläche ist das Gelände mit seinen Fördertürmen von Feldern und Wäldern umgeben. Der nächste Ort ist das Dörfchen Bure. Die Stadt Nancy liegt 80 Kilometer im Osten. Im Untergrund haben sich Bagger und Bohrer in das graue, geäderte Tongestein gegraben, das vor 150 Millionen Jahren als Sediment in urzeitlichen Gewässern entstanden ist.
Stahlrippen stützen die Stollen, grober Spritzbeton kleidet die Wände aus. Neonröhren, Lüftungsrohre und Kabel hängen daran. Dass es sich um ein Labor handelt, verraten der Computerschrank in einer Nische sowie die Messinstrumente an den Wänden. Sie erfassen, wie schnell radioaktive Stoffe durch den Fels wandern oder wie das Gestein die Abwärme von radioaktivem Müll ableiten würde.
"Hier in Bure werden wir nichts einlagern, das haben wir der Bevölkerung versprochen", sagt Forbes. Dabei wäre die Geologie geeignet, sagen die Forscher der französischen Entsorgungsbehörde Andra. Das spätere Endlager soll in der gleichen Tonsteinschicht gebaut werden, in einem dreieckigen Areal von 250 Quadratkilometern nordwestlich von Bure.
Dagegen protestieren zwar französische Kernkraftgegner von der Organisation Sortir du nucléaire. Der Tonstein sei ungeeignet, er enthalte Salzwasser und Pyrit, aus dem sich Schwefelsäure bilden könne, sagen die Aktivisten. Doch Forbes ist sicher: "Im Jahr 2025 können wir die ersten Behälter einlagern."
Er hat dafür Rückendeckung aus der Forschergemeinde, die sich auf die Eröffnung der weltweit ersten Endlager für hoch-aktiven Abfall vorbereitet. Die Pioniere werden wohl die Finnen sein. Timo Äikäs von der finnischen Firma Posiva plant, bereits 2020 in Onkalo an der Westküste erste abgebrannte Brennelemente einzulagern.
Eine Million Jahre vom Rest der Welt isoliert
"Wir forschen seit 30 Jahren an der nuklearen Entsorgung in tiefen geologischen Formationen", ergänzt Neil Chapman, der im schweizerischen Baden-Dättwil die ITC-Schule leitet, den Thinktank der Entsorgungsbranche.
"Die vergangenen fünf Jahre haben uns keine Überraschungen gebracht, dafür Details und gesteigertes Vertrauen, dass wir auf dem richtigen Weg sind." Über diese Zeit haben die Forscher in der vergangenen Woche in Luxemburg Bericht erstattet: Auf der Konferenz "Euradwaste '08" ging es um die von der EU mit gut 40 Millionen Euro geförderte Entsorgungs-Forschung.
Es ist ein drängendes Problem, vor allem weil Kernkraft-Gegner der Nuklear-Branche ständig vorhalten, sie wisse nicht wohin mit dem gefährlichen Müll. Nur 43 Prozent der Europäer glauben Umfragen zufolge, die Lagerung unter Tage sei eine gute Lösung. Eine Affäre wie im deutschen Salzbergwerk Asse II, wo jahrelang offenbar ohne sonderliche Kontrollen schwach- und mittelaktive Abfälle eingelagert wurden und das jetzt absäuft, soll sich nirgendwo wiederholen können.
Da kommt es gelegen, wenn passend zur viel beschworenen Renaissance der Atomenergie bald die ersten Endlager beschlossen und eröffnet werden. Sie müssen den strahlenden Abfall wegen der langen Halbwertszeiten radioaktiver Substanzen für eine Million Jahre sicher von den Stoffkreisläufen des Lebens isolieren. Wer in solchen Zeitdimensionen denkt, kann sich nicht auf bewachte Anlagen, Warnschilder und schriftliche Aufzeichungen verlassen. Die Geologie muss das Problem lösen.
Etwa 8000 Kubikmeter High Level Waste, hochaktiver Abfall, kurz HLW, steht allein in Europa bereits in Zwischenlagern, jedes Jahr kommen 280 Kubikmeter hinzu. Das alles in die Tiefe zu bannen, wird eine gewaltige Aufgabe. Das künftige französische Endlager soll unterirdisch bis zu 1500 Hektar Fläche einnehmen, 6000 Kubikmeter HLW in geeigneten Containern aufnehmen. Nach zwei bis drei Jahrhunderten der Einlagerung werden es seine Nachfolger verschließen, sagt Pierre Forbes. Sein finnischer Kollege Timo Äikäs rechnet mit einer Betriebsdauer von 100 Jahren und Kosten von drei Milliarden Euro.