Seit Wochen hat es nicht geregnet. Der Mittlere Westen und die Präriestaaten der USA werden von einer Dürre heimgesucht, die Ernte in der Kornkammer Amerikas verdorrt.
Gerade hat die amerikanische Wetterbehörde NOAA den Juli 2012 zum heißesten Monat seit Beginn der Aufzeichnungen erklärt. Er hat damit den Juli 1936 vom Spitzenplatz verdrängt.
In mehreren Staaten sind die Niederschläge seit Mai auf einen historischen Tiefstand gesunken, darunter Kansas und Nebraska. Im Mittleren Westen hat es nur zwei oder drei Mal in 118 Jahren weniger Regen gegeben.
Das alles erinnert an 2010 und die Zeit zwischen 2000 und 2004. Und vor allem an die Mitte der Dreißigerjahre, als die trockene Erde von heftigen Winden aufgewirbelt wurde und Staubstürme über die südlichen Great Plains hinwegfegten. Sie verwandelten binnen weniger Tage die Prärielandschaft in eine trostlose Wüste.
Der " Dust Bowl" entstand, zunächst von einem Reporter so genannt, weil die betroffene Region einer Schüssel voller Staub ähnelte. Die Stürme machten eine Fläche fast doppelt so groß wie Deutschland unbewohnbar. 500.000 Menschen aus Kansas, Oklahoma, Colorado und Texas verloren Heimat und Unterhalt und zogen westwärts - es war die größte Migrationswelle in der Geschichte Amerikas.
Der Dust Bowl gilt bis heute als Amerikas schwerste und folgenreichste Umweltkatastrophe; sie hat sich ins kollektive Gedächtnis der Nation eingebrannt. Immer wenn der Boden austrocknet, wird an den Dust Bowl erinnert - und abgewiegelt.
So etwas könne heute nicht mehr vorkommen, heißt es dann, dank Technik und besserer Landnutzung sei die Lage unter Kontrolle. Ironischerweise hat das Unglück den Fortschrittsglauben der Amerikaner sogar befördert, sagt Christof Mauch, Amerikanist und Umwelthistoriker an der Universität München. Als der Dust Bowl vorbei war, folgte eine bessere Zeit; die Verletzlichkeit schien überwunden zu sein.
Doch jetzt warnen Fachleute, Klimawandel und eine weiterhin intensive Landwirtschaft in einer Region, die dafür nicht geeignet ist, könnten ihren Preis fordern. "Die USA haben es versäumt, die richtigen Lehren aus der Katastrophe zu ziehen", sagte der einflussreiche US-Umwelthistoriker Donald Worster, der über den Dust Bowl geforscht hat. Eine Katastrophe dieses Ausmaßes könne auch heute wieder passieren, fürchtet der Professor an der Universität von Kansas.
Die Ursachen für den Dust Bowl reichen zurück an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals hatten Farmer die Prärielandschaft in Weizen-Monokulturen verwandelt. Getreide war weltweit begehrt, und die neuen Mähdrescher machten es möglich, große Flächen zu bearbeiten. Wegen mehrerer außergewöhnlich regenreicher Jahre unterschätzten die Bauern die natürliche Trockenheit der Region.
Der Boden begann wegen des ständigen Weizenanbaus zu erodieren, durch das aride Klima der Prärie trocknete er zudem aus. Nach einigen besonders wasserarmen Sommern war das Erdreich regelrecht zu Staub zerfallen, und es bedurfte nur noch heftiger Winde. Später griff die Regierung in Washington ein, pflanzte 200 Millionen Bäume und ließ die verbleibenden Farmer Hecken anlegen und Terrassen in die rollenden Hügel schneiden. Die Monokultur wich einer angepassten Fruchtfolge.
So präsent die Staubstürme der Dreißigerjahre in der Erinnerung der Menschen sind, so nachlässig gehen die Bauern mit dieser Erfahrung um. Schon Mitte der 1990er Jahre untersuchte der Geograf Roger Kasperson von der Clark University in Massachusetts den Llano Estacado im Nordwesten von Texas und kam zu dem Schluss, dass die Gegend ökologisch gefährdet sei. Er diagnostizierte eine "intensive Landwirtschaft in einer dafür nicht geeigneten Region". Die Ausbeutung habe sie in einen Zustand versetzt, der dem Kollaps nahekommt, so sein Fazit.
John Hayworth, Aktivist einer lokalen Umweltgruppe in Texas, kritisiert, dass Terrassen zunehmend nivelliert und Hecken entfernt würden, um Platz zu machen für riesige Soja- und Mais-Felder. Seitdem die US-Regierung Biosprit aus Mais massiv fördert, haben die Monokulturen stark zugenommen. Landesweit gehen vier von zehn Tonnen der Mais-Ernte in die Produktion von Ethanol für die Zapfsäule.
Zu der drohenden Bodenerosion im Mittleren Westen kommen weitere Umweltfaktoren hinzu: In den trockenen Gebieten müssen Mais, Soja und Weizen bewässert werden. Der Grundwasserspiegel habe sich bedrohlich gesenkt, warnte jetzt die Organisation Groundwater. Außerdem hat sich laut NOAA der Westen der USA in den vergangenen zehn Jahren doppelt so schnell erwärmt wie der weltweite Durchschnitt. Das Wasserproblem wird immer dringlicher.
In den 1930er Jahren hängten die Landwirte noch tote Schlangen an ihren Zäunen auf, um den Regen zu beschwören. Heute blicken sie auf Wettervorhersagen und Klimamodelle. Diese besagen, dass der Westen Amerikas sich auf eine chronische Dürre einstellen muss. Die regenarmen Jahre von 2000 bis 2004 waren zwar die trockenste Periode der vergangenen acht Jahrhunderte, haben Forscher der Oregon State University in Corvallis herausgefunden. Aber diese Trockenheit werde in Zukunft normal werden, warnten sie vor Kurzem in Nature Geoscience.
Inzwischen vermutet man auch, dass in den 1930er Jahren der Staub die Dürre verstärkte, die wiederum die Staubbildung beschleunigte. Nach einer Untersuchung des Earth Institute der New Yorker Columbia University hat der Staub in der Luft die Wolkenbildung verändert und dazu geführt, dass es noch weniger regnete. Aus einem trockenen Wetterzyklus wurde so eine Naturkatastrophe, warnt der Klimaforscher Benjamin Cook von der Columbia University. Die Lehren aus dem Dust Bowl müssten noch gezogen werden.
Ähnlich sieht es Donald Worster. "Die offizielle Lesart ist, dass die Katastrophe von der Natur und nicht von den Menschen verursacht wurde", sagt der Umwelthistoriker, "und dass sie dank unserer Intelligenz und dem Einsatz von Technik nicht wieder passieren kann." Eine "Ideologie der Beruhigung", nennt er das, jede Naturkatastrophe könne sich schließlich wiederholen. Auch er warnt vor den Monokulturen. Gegen die mächtige Agrarlobby, auf die im Kongress gehört werde, seien Umweltexperten aber machtlos. "Wir brauchen eine Landwirtschaft, die auf besser adaptierte Ökosysteme setzt."
Doch Menschen sind vergesslich. "Jedes Mal, wenn übermäßige Hitze und Trockenheit den Mittleren Westen bedrohen und der Staub durch die Luft fliegt, machen sich die Bewohner Sorgen, ob ein neuer Dust Bowl bevorsteht", sagt Donald Worster. "Und alle anderen fragen, was wieder schiefgelaufen ist und wie sich eine erneute Tragödie verhindern lässt. Doch dann ist es schon zu spät."
Denn der Wandel kommt schnell: Es brauchte schließlich Anfang des vorigen Jahrhunderts weniger als eine Generation, um aus der artenreichen Prärie eine von Monokulturen dominierte - und für Staubstürme anfällige - Landschaft zu machen.