Historische Tonaufnahme des Reichskanzlers:Wie Bismarck klang

Eine verschollen geglaubte Tonaufnahme Otto von Bismarcks taucht in den USA auf. Die Aufzeichnung entstand 1889 und offenbart, dass der Reichsgründer über Humor verfügte. Die Forschung spricht von einer Sensation.

Oliver Das Gupta

1889 ist kein leichtes Jahr für Otto von Bismarck. Der deutsche Reichskanzler und preußische Ministerpräsident kommt mit dem großspurigen neuen Chef nicht zurecht. Anders als dessen verstorbener Großvater Wilhelm I., der ächzte, es sei nicht leicht, Kaiser unter Bismarck zu sein, verschmäht ihn Wilhelm II. regelrecht. Ein Jahr später wird der Eiserne Kanzler seine Posten räumen.

Wilhelm II. und Otto von Bismarck, 1888

Nicht auf einer Wellenlänge: der deutsche Kaiser Wilhelm II. (li) und Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck im Park von Schloss Friedrichruh im Jahre 1888.

(Foto: Scherl / SZ Photo)

Das Ende seiner Polit-Karriere ahnt er wohl schon, als der Fürst am 7. Oktober 1889 Besuch in seinem Schloss Friedrichsruh im heutigen Schleswig-Holstein bekommt. Adelbert Theodor Wangemann, ein gebürtiger Deutscher und Mitarbeiter des amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison, tourt mit einem Werk seines genialen Bosses durch Europa: Eine Apparatur namens Phonograph, mit dessen Hilfe Töne auf eine Wachswalze aufgezeichnet werden können. Der 74 Jahre alte Bismarck probiert es aus und rezitiert drauflos: Als Kaiser Rotbart lobesam, etwas Gaudeamus igitur und die Marseillaise - und das, obwohl es doch gerade Bismarck war, der den Krieg gegen Frankreich 1870/71 eingefädelt hatte.

So hört man den Alten - unter vielem Knirschen und Rauschen - auch knapp 123 Jahre später.

"Das ist eine Sensation", sagt Ulrich Lappenküper, der Chef der Bismarck-Stiftung zu Süddeutsche.de zu Recht. Denn die Aufnahme galt bislang als verschollen.

Entdeckung hinter Edisons Bett

1957 entdeckte man zwar in Edisons altem Laboratorium in West Orange im US-Bundesstaat New Jersey eine Box mit 17 Wachswalzen - hinter dem Bett, in dem der Erfinder seine Nickerchen machte, schreibt die New York Times.

Doch die Zylinder waren nur mit "Wangemann.Edison" gekennzeichnet, über den Inhalt fand sich nichts. Und so schlummerten ihre Geheimnisse bis ins Jahr 2012 - abgesehen von einer Walze, auf der der Komponist Johannes Brahms Klavier spielt.

Der Alte verfügte offenbar über Humor

Seit Montag ist klar, wen Wangemann auf seiner Reise durch Europa sonst noch aufzeichnete: den Gesang deutscher und ungarischer Barden; den greisen Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke, der aus Goethes Faust rezitiert (geboren 1800 und damit wohl der älteste Mensch ist, dessen Stimme konserviert wurde). Und eben Otto von Bismarck, der das Deutsche Reich mit List und Geld und drei Kriegen gründete und damals der ärgste Feind der Sozialdemokatie war.

Wangemanns Besuch bei den Bismarcks und die Aufzeichnung sorgte seinerzeit für Schlagzeilen: "Die deutsche und die internationale Presse hat darüber berichtet", sagt Stiftungschef Lappenküper zur SZ, auch Bismarcks Gemahlin Johanna habe in einem Brief davon geschrieben.

Zuerst habe Wangemann einige Aufnahmen abgespielt, bevor der Kanzler einsprach. Bismarck, in seinem Denken eher in der vorindustriellen Zeit verankert, war offenbar angetan von der neuen Technik: "Sie scheinen alle fasziniert gewesen zu sein", sagt Lappenküper. Der Besuch dauerte mehrere Stunden, am Ende verpasste Wangemann sogar seinen Zug nach Berlin.

Die Aufnahme liefert ein Mosaikstein zur Bismarck-Forschung: Bislang hieß es, der Kanzler habe eine hohe Stimme gehabt, die so gar nicht zu seiner massiven Statur gepasst habe. "Die Aufnahme scheint zu zeigen, dass Bismarck doch nicht so fistelig geklungen hat", so Lappenküper. Seine Stimme wirke durchaus fest.

Hörstunde in Berlin

Wenige Tage später sehen sich der Reichskanzler und Wangemann wieder. In Berlin hören sie sich die Aufnahme an, wohl im Beisein von Bismarcks Sohn Herbert, als Staatssekretär im Auswärtigen Amt quasi Außenminister seiner Majestät. Dabei müssen angeblich die Zuhörer sagen, ob sie die Stimme, die da aus dem Apparat knarzt, zuordnen können - angeblich mit mäßigem Erfolg.

Am Ende der 72 Sekunden zeigt sich, dass Bismarck über Humor verfügte. Da gibt er den "Rat eines Vaters an seinen Sohn": Er möge nicht zu viel arbeiten, nicht zu viel essen und trinken.

"Das sagte er wohl mit einem Augenzwinkern", merkt Historiker Lappenküper an: Schließlich war Otto von Bismarck selbst dafür bekannt, bei Tisch große Mengen zu vertilgen.

Abschrift von Bismarcks Tonaufnahme aus dem Jahre 1889

Ansager: "Friedrichsruh am siebten Oktober achtzehnhundertneunundachtzig."

Otto von Bismarck, 1889 Foto: Scherl /SZ-Photo

Otto von Bismarck, (1815-1898), preußischer Ministerpräsident und deutscher Reichskanzler, im Jahre 1885

(Foto: Scherl/SZ-Foto)

Otto von Bismarck:

"In good old colony times,

When we lived under the King,

Three roguish chaps fell into mishaps

Because they could not sing.

Kaiser Rotbart lobesam

Zum heil'gen Land gezogen kam,

Da mußt er mit dem frommen Heer

Durch ein Gebirge wüst und leer.

Gaudeamus igitur,

juvenes dum sumus.

Post jucundam juventutem,

post molestam senectutem

nos habebit humus.

Allons enfants de la Patrie

Le jour de gloire est arrivé

Contre nous de la tyrannie

L'étendard sanglant est levé.

Treibe alles in Maßen und Sittlichkeit, namentlich das Arbeiten, dann aber auch das Essen, und im Übrigen gerade auch das Trinken. Rat eines Vaters an seinen Sohn."

Hier ein Text der New York Times über den Ton-Fund.

Und hier die Audioaufnahme von Bismarcks Stimme.

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