Süddeutsche Zeitung

Hirnforschung:Ständige Baustelle Kopf

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Auch das erwachsene Hirn entwickelt sich ständig weiter. Und dazu ist kein hartes Training notwendig. Vielmehr verändern neue Erfahrungen die Strukturen in unserem Denkorgan.

Christian Weber

Lange Zeit galt es als ausgemacht, dass nach den ersten Lebensjahren die Gehirnentwicklung im wesentlichen abgeschlossen sei. Dann nämlich seien die Synapsen fest verdrahtet und somit Persönlichkeit und Potenzial eines Menschen ein Leben lang weitgehend festgelegt.

Erst nach und nach haben Neurowissenschaftler unter anderem mit Hilfe der neuen bildgebenden Verfahren diese Annahme widerlegt. Als Durchbruch gilt eine Studie aus dem Jahr 1999. Diese zeigte, dass bei Londonern Taxifahrern der für die Orientierung zentrale Hippocampus mit der Zahl der Berufsjahre immer noch wächst - das Gehirn also bei dauerhaften Lernprozessen auch im Erwachsenenalter in seiner Struktur noch plastisch bleibt.

Amerikanische Neurobiologen um Charles Gilbert von der Rockefeller University in New York gehen jetzt noch einen Schritt weiter: Mit einer Studie an erwachsenen Mäusen konnten sie belegen, dass sich Nervenzellen bei jedem neuen Input extrem schnell reorganisieren.

Demnach ist nicht hartes Training notwendig, um die Hirnstruktur zu formen, vielmehr scheint sie sich unter dem Einfluss neuer Erfahrungen beständig zu verändern. Wie die Forscher in der Fachzeitschrift PLoS Biology (online) berichten, gelang ihnen dieser Nachweis am sogenannten Barrel-Cortex der Mäuse, einer Hirnregion, die unter anderem taktile Reize verarbeitet, die etwa über die sehr sensiblen Schnurrhaare empfangen werden.

Bei den Tieren wurden einige der zuständigen Neuronen mit einer molekularbiologischen Methode markiert. Dann wurde ein Glasfenster im Schädeldach eingeklebt. So konnten die Forscher mit einem Spezial-Mikroskop an den lebenden Mäusen beobachten, wie sich das Netzwerk ihrer Nervenzellen verändert, als sie ihnen in den folgenden Wochen nach und nach die Schnurrhaare ausrissen und somit den Informationsfluss zum Gehirn unterbrachen.

Die Analyse der Mikroskop-Bilder ergab, dass die Nervenfasern bereits Minuten und Stunden nach der Entfernung der Haare neue Strukturen bildeten.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2010
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