Hirnforschung:Nackte Haut ist wichtiger als das Gesicht

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Ist ein Mensch bekleidet oder unbekleidet? Diese Frage spielt für unsere Wahrnehmung offenbar eine wichtigere Rolle als das Gesicht unseres Gegenübers. Als wenn wir das nicht schon längst wüssten. Aber finnische Wissenschaftler liefern nun Belege.

Finnische Wissenschaftler vermuten, dass unser Gehirn besonders effektiv darin ist, sexuelle Reize zu identifizieren. Sie sprechen sogar von einer "Wahrnehmungsautobahn", über die entsprechende Reize in unserem Denkorgan verarbeitet werden, um Sexualverhalten auszulösen.

Wie stark die "N170"-Reaktion im Gehirn des Beobachters ist (blauer Balken) , hängt davon ab, wie bekleidet das Gegenüber ist. Die Reaktion wurde hier ins Verhältnis gesetzt zur Messung des Ausschlags bei Anblick eines Autos. (Foto: Hietanen/Nummenmaa)

Ihre Erkenntnisse haben Jari Hietanen von der Universität Tampere und Lauri Nummenmaa von der Aalto-Universität in einer Studie gewonnen, für die sie die Wirkung von Bildern nackter Körper auf das Gehirn von Versuchspersonen untersuchten.

Bei der Messung von Hirnströmen mittels Elektroden tritt im Bereich des Hinterkopfes ein besonderer Ausschlag auf, wenn der Betreffende einen menschlichen Körper sieht - und zwar mit einer Verzögerung von etwa 170 Millisekunden. Deshalb wird dieser negative Ausschlag des elektrischen Potentials N170 genannt. Zuvor hatte man bereits festgestellt, dass N170 auch vom Anblick menschlicher Gesichter ausgelöst wird. Die Wissenschaftler haben nun untersucht, ob es in Bezug auf die N170-Reaktion des Gehirns einen Unterschied gibt, wenn man bekleidete oder nackte menschliche Körper betrachtet, Gesichter, Autos oder Tiere.

Dafür maßen sie zuerst die Hirnströme von 15 Männern, denen eine Reihe von entsprechenden Bildern gezeigt wurden. In einem zweiten Experiment betrachteten jeweils 16 Männer und Frauen nur noch nackte, mit Badekleidung oder vollständig bekleidete Menschen.

"Wir haben festgestellt, dass die N170-Amplitude linear zunahm mit der Menge an Kleidung, die entfernt wurde", berichten die Forscher. Auffällig sei, dass die N170-Antwort auf nackte Körper sogar größer war als jene auf Gesichter, und dass die N170-Amplitude bei Körpern unabhängig davon war, ob die Gesichter verpixelt waren oder nicht. Dabei reagierten die Männer besonders stark auf nackte Frauenkörper, während Frauen keine unterschiedlichen Reaktionen auf das Geschlecht der abgebildeten Personen zeigten.

Die Wissenschaftler schließen aus ihren Daten, dass die Verarbeitung des Anblicks nackter menschlicher Körper im Gehirn "verstärkt" sei. Sie vermuten einen nützlichen Effekt bei der Identifizierung möglicher Fortpflanzungspartner oder Konkurrenten sowie zur Auslösung sexuellen Verhaltens.

Manche Medien berichten nun, die Forscher hätten herausbekommen, WARUM wir auf nackte Körper stärker reagieren als auf bekleidete. Allerdings sind die Vorgänge im Gehirn, von denen die Wissenschaftler berichten, natürlich keine Erklärung für den besonderen Umgang mit bestimmten Umweltreizen, sondern nur eine Voraussetzung dafür.

Die Beobachtung der finnischen Hirnforscher bestätigt nur, dass es für uns offenbar hohe Priorität hat, festzustellen, ob ein Gegenüber möglicherweise ein Sexualpartner ist, und ob dieser nackt oder bekleidet ist. Das sind wichtige Informationen, genauso wie das schnelle Erkennen und Interpretieren von Gesichtern. Und beides ist wichtiger als etwa ein Auto oder ein Tier zu identifizieren. Diese Tatsachen haben offenbar dazu geführt, dass sich in unserem Gehirn die Schaltkreise gebildet haben, denen die Forscher hier auf der Spur sind.

Spannend wäre nun, eine Erklärung dafür zu suchen, wieso Frauen auf nackte Körper beiderlei Geschlechts ähnlich stark reagierten, Männer aber vor allem auf Frauen. Interessant wäre auch die Frage, ob Menschen aus einer Gesellschaft, in der spärlich bekleidete Körper häufig zu sehen sind, weniger stark auf entsprechende Darstellungen reagieren als Personen, für die solche Bilder extrem ungewöhnlich sind. Auf diese Weise ließe sich etwa feststellen, wie stark die Reaktion auf sexuelle Reize beim Menschen gewissermaßen biologisch voreingestellt ist, und wie stark sie vom kulturellen Umfeld geprägt wird.

Auch könnte es sein, dass die Wissenschaftler hier lediglich die Reaktion auf Reize beobachtet haben, denen die Betrachter allgemein eine ganz besonders große Bedeutung beimessen. Vielleicht wäre der Ausschlag bei einigen Männern stärker ausgefallen, wenn man ihnen keine gewöhnlichen Autos gezeigt hätte, sondern einen heiß begehrten roten Ferrari.

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