Hirnforschung:Lügen haben lange Leitungen

Mit Kernspin-Tomographen rühren Wissenschaftler erstmals zielgenau an den Schutzmechanismus der Gedankenfreiheit und spüren Lügen da auf, wo sie entstehen: im Gehirn.

Von Philip Wolff

Spätestens als Vierjähriger ist der Mensch so frei. Er genießt das Privileg geheimer Gedanken. In diesem Alter lernen Kinder, zwischen ihrem eigenen Wissen und dem anderer Menschen zu unterscheiden, wie Psychologen an der Universität Osnabrück jüngst in Versuchen nachgewiesen haben.

MRT-Aufnahmen

Bilder aus einem Magnetresonanz-Tomographen zeigen Aktivitäten bestimmter Hirnregionen an.

(Foto: Foto: AP)

Fortan kann das Kind Informationen gezielt für sich behalten oder etwas anderes sagen, als es denkt, um heikle Situationen zu meistern: 200-mal am Tag lügt der Mensch, schätzen Sozialforscher - und mancher erlangt darin wahre Meisterschaft: ohne verräterische Augenbewegung und Mimik, ohne Hitzewallungen, ohne Veränderungen der Stimme, erhöhte Herzrate oder Atemfrequenz, ohne veränderten galvanischen Hautwiderstand.

Lügen haben lange Leitungen

Anhand solcher Begleiterscheinungen entlarven mittlerweile verschiedene Detektor-Geräte eine Lüge und treiben den freien Gedanken in die Enge - sofern der Lügner nicht perfekt trainiert ist.

Denn die bisherigen Techniken funktionieren nicht einwandfrei. Die erfassten körperlichen Reaktionen kann jeder Mensch unterdrücken. Wirklich treffsicher, selbst beim besten Pokerspieler, sei daher allein der Blick an den Ort, an dem die Lüge entsteht, sagt jetzt der amerikanische Radiologe Scott Faro: der Blick ins Gehirn.

Mit Hilfe von Kernspintomographen rührt Faro erstmals zielgenau an den Schutzmechanismus der Gedankenfreiheit.

Auf der Jahrestagung der amerikanischen Radiological Society in Chicago berichtete Faro in der vergangenen Woche von seinen Versuchen mit den Kernspin-Röhren.

Sie machen das Gehirn und die Aktivität seiner Areale sichtbar, indem sie durch magnetische Felder den Sauerstoffgehalt des Blutes im Gewebe erfassen.

Elf Personen, von denen Faro zuvor sechs mit Spielzeugwaffen hatte um sich schießen lassen, sollten anschließend im Kernspintomographen behaupten, nicht geschossen zu haben.

Während die Gehirn-Bilder der fünf "Unschuldigen" keine ungewöhnlichen Aktivitäten zeigten, beobachtete Faro, was die Gehirne der "Täter" anstellten, um Lügen zu produzieren: Stirnhirn, Schläfenlappen und das limbische System seien bei diesem Vorgang gleichzeitig und auffällig stark aktiv gewesen, erklärt er. So stark, dass die Lügen erkennbar waren.

Ältere Techniken messen lediglich Angst oder die Anspannung des Lügners: Im vergangenen Februar präsentierte die israelische Firma Nemesyco eine Sprach-Software, die Frequenz-Änderungen in der Stimme entdeckt.

An der Manchester-Metropolitan-Universität stellten Forscher im vergangenen Jahr ein Kamera-Computer-System vor, das winzige Veränderung der Mimik registriert. Und im Januar 2002 hatte der Biometrie-Forscher Ioannis Pavlidis aus Minnesota einen Scanner entwickelt, der anhand von Temperaturunterschieden im Gesicht den Lügner erkennt.

Mit 80-prozentiger Treffsicherheit, so die Forscher, seien alle diese Geräte genauso gut wie der weit verbreitete Polygraph, der Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz und galvanischen Hautwiderstand misst.

Diese 80 Prozent können vor amerikanischen Gerichten über schuldig oder nicht schuldig entscheiden. Entsprechend "unzuverlässig" nannte die amerikanische National Academy of Sciences den Polygraphen im vergangenen Jahr.

Dennoch sind Geräte mit dieser Trefferquote weltweit im Einsatz - bei Versicherungen etwa, die ihre Kunden aushorchen, und bei Firmen, die ihre Mitarbeiter überprüfen. Im Sicherheitsbereich von Flughäfen erwarten die Entwickler den nächsten Absatzmarkt.

Lügen haben lange Leitungen

Hirnforschern dagegen ist das Fehlerrisiko seit Jahren ein Ansporn. Mit ihrer Hilfe hatte zuletzt der Amerikaner Lawrence Farwell einen Elektroenzephalographen (EEG) zum Lügendetektor umfunktioniert: Über Elektroden am Kopf misst dieses Gerät die elektrische Spannung von Hirnströmen.

Zeigt sich ein bestimmter Ausschlag der Frequenzen, sobald ein Täter mit Tatwissen konfrontiert wird, dann kann er äußerlich noch so ruhig bleiben: Die so genannte P-300-Reaktion, in der 300 Millisekunden nach einer Vorhaltung im Verhör seine Großhirnrinde an den motorischen Cortex funkt, verrät ihn.

Doch selbst die EEG-Technik erwies sich als nicht täuschungssicher. Auch P-300-Reaktionen kann man üben.

Nicht verheimlichen dagegen lassen sich jene Denkvorgänge, die der Mensch als Vierjähriger erlernt. Wenn das Gehirn wie beim Lügen zugleich die Wahrheit und die Unwahrheit denkt und eigenes gegen fremdes Wissen abwägt, ist daran ein Netzwerk von viel mehr Hirnarealen beteiligt als an einfachen Gedanken.

Das konnte Scott Faro mit seinem Kernspintomographen zeigen. Der Möglichkeit, Täter zu überführen oder Kollegen auszuhorchen, ist der Mensch mit Faros Methode einen entscheidenden Schritt näher gekommen.

Die Technik sei sogar routinemäßig einsetzbar, prophezeien Experten wie der amerikanische Polygraphen-Forscher Charles Honts von der Boise State University. Sie müsse nur noch billiger werden.

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