Hirnforschung:Der Rosa-Brille-Effekt

Psychologen wundern sich schon lange, wieso viele Menschen zu übertriebenem Optimismus neigen, der sich eigentlich nicht für das Überleben in dieser Welt eignet. Neurowissenschaftler bieten nun eine mögliche Lösung für das Rätsel.

Christian Weber

Die Finanzkrise? Wird schon werden. Krebs? Kriegen die anderen. Rote Ampel? Da komme ich noch rüber. Psychologen wundern sich schon lange, wieso viele Menschen zu einem erfahrungsresistenten Optimismus neigen, der sich nicht wirklich für das Überleben in dieser Welt eignet.

Eine mögliche Antwort auf dieses Rätsel haben jetzt britische und deutsche Neurowissenschaftler vom University College London und der Berlin School of Mind and Brain gefunden: Sie konnten zeigen, dass optimistische Menschen besonders begabt darin sind, negative Informationen zu ignorieren (Nature Neuroscience, online).

In ihrem Experiment präsentierten die Forscher in einer ersten Runde 19 Versuchsteilnehmern insgesamt 80 unangenehme bis tödliche Lebensereignisse vom Internet-Betrug bis zum Raubüberfall, während diese in einem funktionellen Magnetresonanz-Tomographen (fMRI) lagen.

Dabei sollten die Probanden jeweils die Wahrscheinlichkeit des Eintretens schätzen. Danach nannte ihnen der Versuchsleiter die tatsächlichen statistischen Zahlen. Als nun in einer zweiten Runde die 80 Wahrscheinlichkeiten erneut abgefragt wurden, zeigte sich ein erstaunlicher Rosa-Brille-Effekt:

Die Teilnehmer verbesserten ihre Schätzung nur bei den Ereignissen, bei denen die reale Statistik eine bessere Prognose versprach als ursprünglich von ihnen erwartet.

Ein Beispiel: Wenn die Probanden ihre Wahrscheinlichkeit zu erkranken mit 40 Prozent bezifferten, dann aber darüber informiert wurden, dass ihr tatsächliches Risiko nur 30 Prozent betrug, schätzten sie es in der zweiten Runde besser ein, beispielsweise auf 32 Prozent.

Erfuhren sie hingegen, dass die Wahrscheinlichkeit mit 70 Prozent weitaus höher lag, blieben sie auch weiterhin bei einer deutlich niedrigeren Schätzung - sie verdrängten die schlechten Nachrichten.

Zugleich konnten die Forscher nachweisen, dass ein für die Informationsverarbeitung wichtiges Areal im Vorderlappen des Gehirns beim Erhalt positiver Information aktiver war.

Besonders stark war diese Aktivität, wenn sich die Testpersonen in einem Persönlichkeitsfragebogen als sehr optimistisch outeten. "Je optimistischer wir sind, umso unwahrscheinlicher ist es, dass wir uns von negativer Information über die Zukunft beeinflussen lassen", sagt Studienautorin Tali Sharot.

So hilfreich Optimismus für das psychische Wohlbefinden sei, müsse man doch überlegen, ob dieser Charakterzug etwa an den Finanzmärkten von Vorteil sei.

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