In fünf Jahren könnte es so weit sein: Wissenschaftler halten es für möglich, dass dann der erste menschengemachte Meteoritenschauer die Erde erreicht. Er soll ungefährlich sein, versichert die europäische Raumfahrtagentur Esa, aber zentimetergroße Trümmerteile könnten in der Erdatmosphäre verglühen. Sie stammen von dem Asteroiden Dimorphos und rasen gerade mit etwa 5400 Stundenkilometern und mehr auf die Erde zu.
Ausgelöst hat die Meteoritenwolke die 610 Kilogramm schwere Nasasonde Dart (Double Asteroid Redirection Test), die am 26. September 2022 nach gut zehnmonatigem Flug gezielt auf dem damals etwa elf Millionen Kilometer entfernten Asteroiden eingeschlagen ist. Ziel der Mission war es, die Bahn des Asteroiden zu verändern, was auch gelungen ist. Das Projekt ist Teil einer Nasa-Strategie, um die Erde vor einem nahenden Asteroiden schützen zu können. Eine Katastrophe wie vor 66 Millionen Jahren, als ein Asteroideneinschlag mutmaßlich das Ende der Dinosaurier bedeutete, soll sich nicht wiederholen.
Dimorphos hat einen Durchmesser von etwa 160 Metern und kreist als Minimond um den Asteroiden Didymos mit 780 Meter Durchmesser. Mit dem Einschlag auf Dimorphos konnte Dart dessen Bahn derart verändern, dass sich die Umlaufzeit um Didymos um 32 Minuten auf elf Stunden und 23 Minuten verkürzt hat. Damit hat der Mensch erstmals absichtlich die Bewegung eines Himmelskörpers verändert – verursacht durch die Energie, die von Dart bei einer Aufprallgeschwindigkeit von etwa 22 000 Stundenkilometern freigesetzt worden ist. Der verursachte Auswurf, viele Tonnen Asteroidengestein, ist seitdem auch in Richtung Mars und Erde unterwegs.
Die Esa setzt die Dart-Mission nun mit einer eigenen Sonde namens Hera fort, die voraussichtlich am 7. Oktober von Cape Canaveral in Florida mit einer Falcon-9-Rakete von Space-X ins All starten soll. Die Sonde wiegt eine gute Tonne und soll im März 2025 zunächst am Mars sowie an dessen Mond Deimos vorbeifliegen, wo sie auch Daten für künftige Marsmissionen sammeln soll. Im Oktober 2026 soll Hera dann am Didymos-Dimorphos-System ankommen. Ein halbes Jahr soll sie beide Asteroiden aus verschiedenen Höhen vermessen, um die Auswirkungen des Dart-Einschlags zu untersuchen, und hochauflösende Bilder machen.
Die Sonde soll auch die beiden Minisatelliten Juventas und Milani freisetzen, die unter anderem Radar- und Gravitationsmessungen vornehmen, Hyperspektralaufnahmen der Oberfläche machen, die mineralische Zusammensetzung untersuchen und dann auf Dimorphos aufsetzen sollen. Als abschließender Höhepunkt der Mission ist eine Landung von Hera auf Didymos vorgesehen. Daten aus den gemeinsamen Missionen von Nasa und Esa sollen helfen, eine Technik zu entwickeln, um die Erde vor Asteroiden zu schützen.
Aus Sicht der Esa ist der Doppelasteroid optimal für diese Mission und bietet viele Premieren: Dimorphos ist der kleinste jemals von einer Sonde angesteuerte Asteroid, und ein schnell rotierender Asteroid wie Didymos, der sich in nur 2,26 Stunden dreht, hat auch noch keinen Besuch von der Erde bekommen.
Dass Trümmer auch die Erde erreichen können, hat die Wissenschaftler überrascht
Die Hera-Mission kostet nach Esa-Angaben rund 380 Millionen Euro, beteiligt sind 19 Länder. Aus Deutschland stammt die Sonde selbst, die das Bremer Unternehmen OHB federführend gebaut hat. Außerdem sind unter anderem Kameras von Jena-Optronik und Antennen von HPS montiert.
Nach Nasa-Angaben stellen die beiden Asteroiden keine Bedrohung für die Erde dar. Dass nun Millionen Asteroidentrümmer, die Tausendstel Millimeter bis zu zehn Zentimeter groß sind, nach dem Aufschlag der Sonde nicht nur den Mars, sondern auch die Erde erreichen könnten, hat die Forscher aber wohl überrascht. Josep M. Trigo-Rodríguez vom spanischen Institut für Weltraumwissenschaften (CSIC/IEEC) gehört zu den vier Autoren einer Studie zu diesem Thema. „Wir waren erstaunt zu entdecken, dass es möglich ist, dass einige zentimetergroße Partikel das Erde-Mond-System erreichen und einen neuen Meteoritenschauer erzeugen können“, wird er von der Esa zitiert. Welche Meteoriten nun auf die Erde und welche auf den Mars zusteuern, hänge von ihrer Größe, Geschwindigkeit und Position in der von Dart verursachten kegelförmigen Einschlagswolke ab. Innerhalb von sieben bis 13 Jahren sollen die ersten Trümmer eintreffen. Manche brauchen aber Jahrzehnte.
„Die größten dieser Meteoriten wären nur so groß wie ein Softball. Sie würden mit Sicherheit in der Erdatmosphäre verglühen“, beruhigt die Esa. Von der Größe hänge es auch ab, ob von der Erde aus ein Meteoritenschauer zu sehen sein wird. Die Forscher wissen es nicht. „Größere Partikel weisen eine geringfügig höhere Wahrscheinlichkeit auf, den Mars zu erreichen, während kleinere Partikel eher zum Erde-Mond-Bereich gelangen“, heißt es in der Studie.
Auch wenn auf der Erde keine Gefahr drohen soll, ist es denkbar, dass die Partikel Satelliten oder die Raumstation ISS beschädigen. Schon Mikrometeoriten können Löcher verursachen. Studien-Co-Autor und Esa-Wissenschaftler Michael Küppers schloss am Mittwoch jedoch eine solche Gefahr durch Dimorphos-Trümmer aus.
Dass die Partikel trotz der hohen Geschwindigkeit mindestens sieben Jahre bis zur Erde brauchen, hängt nach Esa-Angaben damit zusammen, dass die Flugbahn durch die Schwerkraft der Sonne gekrümmt werde. „Die Flugbahn, der diese Trümmerteile folgen würden, um die Erde zu erreichen, ist keine gerade Linie“, sagt Ignacio Tanco, Leiter des Esa-Raumfahrtbetriebs. Die Trümmer würden die Sonne mehrmals umrunden, bevor sie die Erde erreichen.
„Der Dart-Einschlag bietet eine seltene Gelegenheit, den Transport von Auswurfmaterial zu anderen Himmelskörpern zu untersuchen“, sagt Michael Küppers. Nach Esa-Angaben gibt es derzeit etwa 30 000 Asteroiden, die in Erdnähe gelangen, 1660 stehen unter besonderer Beobachtung.
Andere Wissenschaftler setzen auf Atombomben
Nathan Moore, Physiker an den Sandia National Laboratories in Albuquerque, New Mexico, ist allerdings nicht davon überzeugt, dass die Dart-Technik auch bei größeren Asteroiden hilft. Er gehört zu einer Gruppe Wissenschaftler, die im Labor mit einem Experiment untersucht haben, welche Auswirkungen eine Atomexplosion auf einen Asteroiden haben könnte. Bruce Willis, der im Kassenschlager „Armageddon“ einen Asteroiden per Atombombe zerlegte, lässt grüßen.
Zwei nachgebildete Asteroiden aus Quartz und Silizium in der Größe von Kaffeebohnen im Vakuum dienten den Wissenschaftlern als Versuchsobjekte. Sie beschossen die Modelle mit starken Röntgenstrahlen und stellten fest, dass weniger eine erzeugte Explosionsdruckwelle als die große Menge freigesetzter Röntgenstrahlung die Flugbahn eines Asteroiden verändern kann. Im Versuch verdampfte die Oberfläche der Miniasteroiden, was wiederum einen Schub verursachte, der die Modelle auf eine Geschwindigkeit von etwa 250 Stundenkilometern beschleunigte, wie die Forscher im Fachblatt Nature Physics berichten.
Moore schlägt nun vor, diese Technik bei größeren Asteroiden mit einem Durchmesser von bis zu etwa vier Kilometern zu testen. Andere Ansätze, wie der Aufschlag einer Sonde auf einen Asteroiden wie bei der Dart-Mission, würden wohl „nicht genug Energie erzeugen, um ihn vom Kurs abzubringen“.
In einer früheren Version des Textes war von Missionskosten in Höhe von 350 Millionen Euro die Rede. Die Esa hat ihre eigenen Angaben mittlerweile auf 383 Millionen Euro korrigiert.