Heidelberg-Lecture:Lieber Freund als Feind

Heidelberg-Lecture: Martin E. Hellman.

Martin E. Hellman.

(Foto: Linda A. Cicero, Rod Searcey/AP)

Auf die Entwicklung der Technologie muss eine ethische Evolution folgen. Dies fordert Turing-Preisträger Martin Hellman in Lindau und mahnt die Zuhörer, ihre eigenen Annahmen und Standards laufend zu überprüfen.

Von Johanna Pfund

Über Technologie und Ethik wird bei wissenschaftlichen Tagungen selten ausführlich gesprochen. Doch genau das macht Turing-Preisträger Martin E. Hellman am Mittwochabend bei seiner Heidelberg Lecture in Lindau. Der Bau der Atombombe habe die Grundbedingungen geändert. "Ethische Entscheidungen sind wesentlich für das Überleben der Zivilisation", betont Hellman. "Aufgrund der Technologie ist es unerlässlich, die Evolution unseres ethischen Verhaltens zu beschleunigen."

Der 73-Jährige spricht als Gast des Heidelberg Laureate Forums, bei dem sich nach dem Vorbild Lindaus alljährlich Mathematiker und Informatiker treffen. Der emeritierte Stanford-Professor hat 2015 den Turing-Preis für die Entwicklung der Public-Private-Key-Verschlüsslung gemeinsam mit Whitfield Diffie erhalten. Der Diffie-Hellman-Schlüsselaustausch sichert heute alle Banktransaktionen im Internet. Doch in den 70ern sahen die Geheimdienste in der Datenverschlüsselung eine Bedrohung der nationalen Sicherheit. Hellman und die NSA gerieten aneinander, die sogenannten "Crypto-Wars" folgten. Heute sind Hellman und der damalige Chef der NSA, Bobby Inman, befreundet.

Aus seinen Erfahrungen leitet Hellman eine ganze Reihe von Lektionen ab. Moralisches Handeln etwa. Handelte er moralisch, als er gegenüber der NSA darauf bestand, dass die Verschlüsselung elektronischer Kommunikation notwendig sei? Damals nein, räumt Hellman ein. Er habe zwar gedacht, er handle ethisch, aber im Grunde sei er stolz gewesen. Die zweite Lektion folgt daraus: Wenn man nicht weiß, welche Entscheidung die richtige ist, dann können Unbeteiligte helfen. Gefolgt von Lektion Nummer drei: Freunde sind besser als Feinde. Inman und Hellman, die Kontrahenten aus den 70ern, setzen sich heute gemeinsam gegen atomare Waffen ein.

Dabei warnt Hellman die Zuhörer davor, ethische Standards in Stein zu meißeln. "Dinge verändern sich", betont er. Der amerikanische Präsident Jefferson besaß einst noch Sklaven. Alan Turing, nach dem der Preis benannt ist, wurde noch in den 1950ern aufgrund seiner Homosexualität vor Gericht gestellt. "Überprüft eure Standards", rät Hellman.

Doch eine Sache hält er nicht für vertretbar: atomare Aufrüstung. Man solle sich nur vorstellen, es trüge ein Mann eine Weste mit TNT, gesichert mit zwei Knöpfen - einer in der Hand von Präsident Putin, der andere in der von Präsident Trump. "Wir müssen einen schnellen Ausstieg finden", betont der Professor. Und wer glaube, er könne nichts bewirken, liegt laut Hellmans Lektion Nummer acht falsch: "Wenn alle von uns ein bisschen was bewegen, dann können wir neue Möglichkeiten schaffen."

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