6. Heidelberg Laureate Forum:Vorsichtig in neue Welten

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Preisgekrönte Mathematiker und Informatiker diskutieren mit Nachwuchswissenschaftlern über Millennium-Probleme, künstliche Intelligenz und Blockchain.

Von Johanna Pfund

erden Maschinen intelligenter als Menschen? Werden wir bald nur noch mit Kryptowährung bezahlen? Und ist eines der Millennium-Probleme in der Mathematik tatsächlich gelöst? Das sind viele große Fragen für eine kurze Woche. Eines ist klar: Die Mathematiker und Informatiker, die derzeit am 6. Heidelberg Laureate Forum (HLF) diskutieren, werden keine einfachen Antworten liefern. Aber eines vermitteln sie durchaus: Informatik und Mathematik stehen mit Quantencomputern und lernenden Maschinen an der Schwelle zu neuen Möglichkeiten. Und Vorsicht ist durchaus geboten.

In den wenigen Jahren seines Bestehens hat sich das HLF zur festen Größe im Kosmos der Mathematiker und Informatiker entwickelt. Organisiert wird es von der gleichnamigen Stiftung, die ihrerseits von der Klaus-Tschira-Stiftung (KTS) getragen wird. Nach dem Vorbild der Lindauer Nobelpreisträgertagungen soll die Konferenz den Austausch zwischen preisgekrönten und jungen Wissenschaftlern fördern. Das Konzept funktioniert offenbar: Wie Beate Spiegel, Geschäftsführerin der KTS, bei der Eröffnung am Sonntag betonte, ist ein Drittel der aktuellen Träger einer Fields-Medaille, eines Nevanlinna-, Abel- oder Turing-Preises - die höchsten Auszeichnungen in Mathematik und Informatik - gekommen. Eine stattliche Anzahl.

Und die Laureaten haben eine Agenda im Gepäck. Da ist der britische Mathematiker Sir Michael Atiyah. Schon seit Tagen wird auf sozialen Kanälen heftig spekuliert: Hat er wie angekündigt den Beweis für die Riemannsche Vermutung, eines der sogenannten Millennium-Probleme, gefunden? Der Saal ist gefüllt am Montagvormittag zum Vortrag des 89-Jährigen. Eine halbe Stunde lang erzählt Atiyah von Leonhard Euler, von Bernhard Riemann, der 1859 diese Vermutung aufstellte, die sich, vereinfacht gesagt, mit der Verteilung der Primzahlen befasst. Und dann eine einzige Folie, auf der Atiyah seinen Beweis erklärt. Stille. Noch denkt die Fachwelt nach.

Die Informatik bietet keinen Beweis, stattdessen heiß diskutierte Themen. Whitfield Diffie sieht ein großes Problem, wie er im Gespräch erläutert. Der 74-Jährige, der gemeinsam mit Martin Hellmann den Turing-Preis 2015 für die von den beiden entwickelte Verschlüsselungsverfahren erhalten hat, ist zum zweiten Mal in Heidelberg. Diffie trägt immer noch das lange Haar der 70er-Jahre. Sein Blick auf die Branche ist ungeschönt: Sicherheit im Netz? Diffie lacht. Natürlich nicht. "Aber wir haben ein viel größeres Problem, wir können immer noch nicht programmieren, auch wenn wir viel hinbekommen." Die meisten Programme seien nicht auf einfache Weise mathematisch verifizierbar, das funktioniere nur für kleine Programme. Facebook sieht er mit gemischten Gefühlen: "Email ist Standard, jeder kann das schreiben, aber man kann keinen Facebook Client schreiben."

Vor allzu großem Vertrauen in die künstliche Intelligenz warnt Vinton Cerf, oft Vater des Internets genannt, "Chief Evangelist" bei Google, der unter anderem an der interplanetaren Kommunikation arbeitet. "Wir sollten vorsichtig mit lernenden Maschinen sein", sagt er am Kaffeetisch - und später beim Pressegespräch. "Diese Maschinen sind mächtig, aber sie legen auch unerwartetes Verhalten an den Tag". Andererseits könnten die Maschinen etwa bei medizinischer Diagnostik extrem hilfreich sein, teilweise könnten sie besser diagnostizieren als Ärzte. Wie auch immer: "Wir verstehen das alles noch nicht völlig, wir müssen vorsichtig sein."

Die zweite vielversprechende Technologie ist nach Ansichts Cerfs der Quantencomputer mit seiner enormen Rechenleistung. Dieser könnte etwa das Produkt großer Primzahlen wesentlich leichter in seine Faktoren zerlegen als herkömmliche Computer und damit die momentan übliche Kryptografie, die damit arbeitet, herausfordern. Cerfs Nummer drei unter den heißen Themen: Software Defined Networks, die für das oft zitierte Internet der Dinge mehr Sicherheit versprechen.

"Was könnte man an so einem Job nicht lieben?"

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(Foto: privat)

Vasilios Mavroudis ist einer der 200 jungen Wissenschaftler, die diese Woche in Heidelberg zu Gast sind. Mavroudis, der die griechische und australische Staatsbürgerschaft besitzt, arbeitet derzeit am University College London an seiner Promotion. Warum haben Sie Informatik gewählt? Aus Interesse, großer Neugier, Lust an Herausforderung und aus Glück. Ich glaube, die mystische Atmosphäre der Sicherheitsthematik hat mich als Schüler angezogen. Damals war Sicherheit noch nicht die milliardenschwere Industrie, die sie heute ist. Im Studium lernte ich all das richtig, worüber ich als Schüler kreuz und quer gelesen hatte. Ich arbeitete dann an Sicherheitsprojekten sowohl in der Industrie als auch im akademischen Bereich. Mir gefällt das Allumfassende des Themas. Als Sicherheitsanalyst muss man die unbekannteren Teile eines Systems kennenlernen. Als Sicherheitsingenieur muss man ein System nicht nur bauen, sondern sich auch vorstellen können, wie es missbraucht werden könnte. Sobald ein System draußen ist, werden Leute nach Schwächen suchen. Unser Job ist es, Schwächen auszuschließen. Was könnte man an so einem Job nicht lieben? Welchen Einfluss könnte Ihre Forschung auf die Gesellschaft haben? Sicherheit dient dazu, die Sorgen der Menschen zu reduzieren, und bisher sind wir damit ziemlich erfolgreich. Ein Beispiel: Machen Sie sich Sorgen, ob jemand Ihre Telefonnummer kapern könnte? Eine kryptografische Vorrichtung sorgt dafür, dass dies nicht möglich ist. Wie ist es möglich, dass niemand die Pin der Kreditkarte auslesen kann? Sichere Hardware sorgt dafür, dass man unglaublich gute Ausrüstung bräuchte, um die Pin auszulesen, was dies unrentabel macht. Solange es keine Nachrichten über Datenlecks gibt, machen wir unsere Arbeit gut. Daher müssen wir uns ständig verbessern. In meiner Forschung versuche ich herauszufinden, ob es irgendwelche Sicherheitslücken gibt, und entwerfe neue, verbesserte Sicherheitssysteme. Was inspiriert Sie bei Ihrer Arbeit? Ich muss gestehen, dass es verlockend ist, all meine Zeit in aktuelle Projekte zu stecken. Am liebsten mag ich den Moment, in dem man es endlich kapiert, in dem man das Problem versteht, an dem man die vergangenen Monate gearbeitet hat.

Besser online

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(Foto: N/A)

Amy Zhang studiert am Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory des Massachusetts Institute of Technology (MIT CSAIL) und nimmt diese Woche am HLF teil. Warum haben Sie sich für Informatik entschieden? Ich mag Informatik schon seit meiner Schulzeit, als ich entdeckt habe, wie viel Spaß sie machen konnte und wie kreativ es war, Webseiten auf Geocities oder anderen Plattformen zu bauen. Danach wählte ich Informatik an der Uni, wusste aber bis zu meinem Abschlussprojekt noch nicht, dass ich Forschung und vor allem mein aktuelles Forschungsgebiet so lieben würde, nämlich das Erforschen und Gestalten von sozialem Austausch im Internet. Weshalb ist Ihre Forschung wichtig? Das Internet hat unseren Austausch mit anderen grundlegend verändert, mit enormen Auswirkungen auf die Zukunft der Arbeit, auf Beziehungen und auf die Gesellschaft als Ganzes. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir soziale Plattformen gestalten, sodass sie das Leben der Menschen verbessern und uns ermöglichen, gemeinsam für eine bessere Zukunft zu arbeite, anstelle all der negativen Kommunikation, die heutzutage so üblich ist. Ich forsche daran, wie wir die Systeme für den Online-Austausch so bauen können, dass die Anwender wieder Kontrolle über ihre Erfahrungen und Daten bekommen. Was inspiriert Sie bei Ihrer Arbeit? Die meisten Ideen kommen mir, wenn ich mit hervorragenden und leidenschaftlichen Forschern rede, die nicht direkt in meiner Umgebung arbeiten. Ich mag es, wenn ich mein Gehirn wieder aufladen kann, indem ich einen guten Roman lese oder wandern gehe.

Freude am Rätseln

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(Foto: AP)

Es gibt wohl nicht viele 27-Jährige, die schon im Ruhestand sind. Bei John Urschel ist das der Fall. Der gebürtige Kanadier hat von 2014 bis 2016 für die Baltimore Ravens gespielt, in der Königsklasse des amerikanischen Football, der NFL. Den Sport hat er an den Nagel gehängt. Jetzt macht er am renommierten Massachussetts Institute of Technology (MIT) seinen Doktor in Mathematik. Er zählt zu den 200 Nachwuchswissenschaftlern, die diese Woche an der Tagung in Heidelberg teilnehmen. Weshalb haben Sie sich für Mathematik entschieden? Ich habe Graphentheorie gewählt, weil ich gerne Rätsel löse. Als ich angefangen habe, Mathe zu studieren, habe ich mich mehr mit Analysis und mathematischer Physik beschäftigt, aber ich habe gemerkt, dass mir diskrete Mathematik besser gefällt. Es erinnert mich an die Rätsel, die ich als Kind immer gerne gelöst habe. Inwiefern ist Ihre Forschung für die Gesellschaft wichtig? Ich denke, die Schönheit der Graphentheorie besteht in ihrem Abstraktionsgrad, der sie elegant macht, doch sie ist auch in der realen Welt sehr gut anwendbar. In vielerlei Hinsicht ist menschliches Handeln und Entscheiden diskret (im Gegensatz zu den Gleichungen, welche die physikalische Welt bestimmen), und die Graphentheorie ist äußerst nützlich, um diese Prozesse zu verstehen. Was inspiriert Sie bei Ihrer Arbeit? Es hat mir immer große Freude gemacht, an einem kniffligen Rätsel zu arbeiten. Ich mag es, über interessante Rätsel nachzudenken und versuchen zu verstehen, was dabei auf der grundlegenden Ebene abläuft.

Mathe mit Bio

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(Foto: N/A)

Pantea Pooladvand hat ihren Bachelor via Fernstudium absolviert. Derzeit macht die Australierin, die diese Woche in Heidelberg zu Gast ist, an der Universität Sydney ihren Doktor. Warum machen Sie Biomathematik? Mich hat die angewandte Mathematik immer schon interessiert. Mit mathematischer Onkologie kann ich Modelle entwickeln, die wichtige biologische Fragen beantworten können. Zudem steckt ein persönliches Element in meiner Arbeit, da mein Vater an einem Gehirntumor gestorben ist. Was ist wichtig an Ihrer Arbeit? Mathematische Modelle zur Entwicklung von Tumoren tragen dazu bei, das komplexe Wesen von Krebs zu verstehen. In meiner Forschung konzentriere ich mich auf Eierstockkrebs und die Wege zu den Metastasen. Ich schaue, wie sich die Tumorzellen entwickeln und wie sie vordringen. Es ist extrem wichtig, diesen Prozess zu verstehen, da die Überlebensrate bei dieser Krankheit dramatisch sinkt, sobald die Zellen streuen. Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu beträgt, Biomarker für diese schreckliche Krankheit zu finden. Was inspiriert Sie? Ich mag diese Frage! Ich bin definitiv niemand, der am Schreibtisch auf Inspiration wartet. Ich stehe gerne früh auf und gehe an den Strand, um bei Sonnenaufgang zu surfen oder zu schwimmen. Ich finde Inspiration, wenn ich auf meinem Brett sitze und mich nichts ablenken kann. Es inspiriert mich auch, wenn ich meinen Nachhilfeschülern meine Arbeit beschreibe - und auch, wenn ich mit Kollegen und Freunden an der Uni rede.

Wie Cerf mahnt auch Informatiker John Hopcroft zu Besonnenheit im Umgang mit künstlicher Intelligenz. Das sogenannte "deep learning" könnte Vorurteile beinhalten - darauf sollte man in der Entwicklung achten, betont Hopcroft bei seinem Vortrag. Davon abgesehen sieht er die Informatik wie auch die Mathematik an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter. Angewandte Mathematik werde unersetzlich, zum ersten Mal in ihrer Geschichte würden Computer richtig brauchbar.

Die jungen Wissenschaftler, die eingeladen sind, teilen so manche Bedenken. Vasilios Mavroudis, der in London an seinem Doktor arbeitet, denkt, dass die künstliche Intelligenz das wichtigste Thema der Branche wird, dass man aber darauf achten müsse, sie zu kontrollieren. Sein Thema ist Sicherheit, er habe da ein nettes kleines Programm geschrieben, erzählt er, das die eingebauten Barrieren etwa in Bankkarten überwinde. Solche Barrieren tragen nach Ansicht von Mavroudis wenig zur Sicherheit bei. Der einzige Schlüssel zu Sicherheit sei das Passwort, sagt er, alle Programme aber sollten offen zugänglich sein.

Von solchen Arbeiten erfährt die Gesellschaft zu wenig, findet Laureat Hopcroft. Er appelliert an seine Zuhörer: "Es ist wichtig, dass ihr eure Forschung der Bevölkerung vermittelt." Das ist im Sinne von Olaf Kramer, Professor für Wissenskommunikation an der Uni Tübingen, der diese Woche den jungen Akademikern bei der Präsentation ihrer Arbeit assistiert. "Wissenschaftler haben oft das Gefühl, dass ihre Erkenntnisse nicht umfassend dargestellt werden, dass es eine Art Verlusterfahrung werden könnte." Und viel zu selten würde der Forschungsprozess beschrieben. An Geschichten jedenfalls mangelt es nicht.

© SZ vom 27.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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