Halsbandsittiche in Deutschland:Invasion der grünen Papageien

In der gesamten Rheinebene leben mittlerweile Tausende wilder Halsbandsittiche - giftgrüne Nachfahren entflohener Käfigtiere, die das Leben in Freiheit genießen. Doch ihr fröhliches Treiben könnte bald ein Ende haben: Viele Biologen wollen die Tiere in Deutschland ausrotten.

Moritz Pompl

Vor zehn Jahren bekamen die Bewohner des Pflegeheims Sankt Hedwig in Heidelberg unverhofft lebhaften Zuwachs. Halsbandsittiche, giftgrüne Papageien, bezogen verlassene Spechtlöcher in der Styroporverkleidung des Gebäudes und bauten bis zu eineinhalb Meter lange Gänge in den Kunststoff. Um weiteren Schaden von der Isolierung abzuwenden, ließ die Heimleitung nach drei Jahren die Löcher schließen. Doch an die neuen Bewohner hatten sich alle gewöhnt - deshalb durften die Vögel in eigens errichteten Nistkästen an der Hauswand weiterbrüten.

Wildlebende Papageien in Düsseldorf

Sie küssen und sie schlagen sich: Zwei wildlebende Halsbandsittiche zanken sich in einem Park in Düsseldorf um Vogelfutter.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

In der gesamten Rheinebene leben mittlerweile Tausende wilder Halsbandsittiche. Es sind die Nachfahren entflohener Käfigtiere, die trotz ihrer exotischen Herkunft mit dem deutschen Klima zurechtkommen und das Leben in Freiheit genießen.

Doch könnte das Treiben bald ein Ende haben. Aus Furcht vor ökologischen und wirtschaftlichen Schäden fordern viele Biologen, die Vögel in Deutschland auszurotten. So prüft das Bundesamt für Naturschutz (BfN) derzeit, ob der Halsbandsittich auf die sogenannte Schwarze Liste gehört. Dort aufgeführte, eingewanderte oder eingeschleppte Arten werden daran gehindert, sich weiter auszubreiten - etwa, indem Naturschützer die Brut zerstören oder die Tiere zum Abschuss freigeben.

Ursprünglich in den Savannengebieten Afrikas und dem indischen Subkontinent beheimatet, konnten sich Halsbandsittiche eindrucksvoll in Europa verbreiten. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die fast elsterngroßen Tiere mit ihrem grünen Gefieder, dem knallroten Schnabel und dem namengebenden dunklen Band, das den Hals der Männchen ziert, weltweit als Volierenvögel in Zoos und privaten Käfigen beliebt. Im Jahr 1855 flüchteten die ersten Tiere aus ihren Volieren im englischen Norfolk.

Doch im Gegensatz zu anderen "Gefangenschaftsflüchtlingen" wie Wellensittichen, die in Europa außerhalb von Käfigen nur kurze Zeit überleben, fühlten sich die Halsbandsittiche in der Freiheit wohl. Schnell siedelten sich in Norfolk die ersten wildlebenden Brutpaare an, später auch in anderen Städten Europas, Nordamerikas, Südafrikas und Japans.

Beeren, Blüten und Obst

In Deutschland wurde das erste freilebende Brutpaar 1967 in Köln entdeckt, es stammte vermutlich aus dem Kölner Zoo. Dann ging es Schlag auf Schlag: Worms, Wiesbaden, Mainz, Bonn, Düsseldorf, Mannheim, Heidelberg - immer mehr Städte in der milden Rheinebene wurden zur neuen Heimat der Halsbandsittiche. Meist war unklar, aus welchen Gehegen die Vögel genau stammten.

Das vergleichsweise warme Mikroklima in den Städten hilft den Vögeln, die Winter zu überstehen. Zudem ähneln Parks, Friedhöfe und Gartenanlagen mit ihrem lockeren Baumbestand der ursprünglichen Heimat und bieten ausreichend Nahrung in Form von Beeren, Blüten oder Obst. In Bäumen und Hausfassaden finden die Tiere Höhlen, in denen sie ihre Nester bauen können. Und "Sittiche, die gerade nicht brüten, sammeln sich zum Schlafen in großen Platanen - bei uns in der Nähe des Hauptbahnhofs", sagt Biologe Michael Braun von der Universität Heidelberg, der seit 2003 die Brutkästen der Tiere betreut und das Leben der Neozoen erforscht.

"Unheimliche Eroberer"

Als Neozoon bezeichnen Biologen jede Tierart, die seit Beginn der Neuzeit - also der Entdeckung Amerikas durch Columbus 1492 - durch den Menschen in ein neues Gebiet eingeführt wurde und sich dort erfolgreich in der Natur behauptet hat. Die meisten der aktuell knapp 1150 registrierten Neozoen in Deutschland wurden aber im Gegensatz zu den Halsbandsittichen unabsichtlich importiert, etwa an Bord von Handelscontainern. Mehr als 550 davon sind Insektenarten.

Braun schätzt, dass derzeit rund 8500 wilde Halsbandsittiche in Deutschland leben. "Im Rhein-Neckar-Gebiet sind es etwa 3000, in Köln und Wiesbaden je 2000", sagt Braun. In anderen europäischen Ländern leben inzwischen ebenfalls Tausende der wilden Papageien: 20 000 Tiere sollen es in Belgien und Holland sein.

Auch aus Frankreich, Italien, Spanien, Österreich und zuletzt aus Portugal und Griechenland meldeten Vogelkundler Halsbandsittiche. Insgesamt hat die Population der Tiere in europäischen Städten in den letzten 30 Jahren stärker zugenommen als die aller anderer Vogelarten. Allein in London soll es inzwischen rund 30.000 Halsbandsittiche geben. Dort dürfen die Vögel mittlerweile geschossen werden, weil einige Umweltschützer so wie in Deutschland vermuten, dass die Sittiche heimische Tierarten gefährden.

Dieser Ansicht ist auch der Ökologe Wolfgang Nentwig von der Universität Bern. In seinem Buch "Unheimliche Eroberer - Invasive Pflanzen und Tiere in Europa" (Haupt, 2011) schreibt er, große Wirbeltiere wie der Halsbandsittich beeinflussten das Ökosystem besonders stark, weil sie mit den einheimischen Arten um Nahrung und Lebensraum konkurrierten. So könnten Halsbandsittiche Fledermäusen, Kleibern oder Spechten die Bruthöhlen streitig machen. Außerdem verursachen die Tiere laut Nentwig immense Schäden - nicht nur an Hausfassaden, sondern auch auf Feldern und in Obstanlagen. Die Ernteschäden könnten sich auf Weinberge ausweiten, wenn sich die Vögel weiter ausbreiten.

"In Asien werden Halsbandsittiche in weiten Bereichen als Agrarschädlinge betrachtet", sagt Nentwig. Außerdem könnten die Tiere Krankheiten wie Vogelgrippe oder die sogenannte Papageienkrankheit - eine bakterielle Lungeninfektion - auf den Menschen übertragen. "Deshalb wäre ich für die Eliminierung der Halsbandsittiche in Europa, indem man die Tiere schießt oder vergiftet", sagt der Ökologe. Stefan Nehring vom BfN entgegnet: "Auf Grund der schwachen Datenlage stufen wir derzeit den Halsbandsittich als potentiell invasive Art ein. Die Art ist daher gezielt zu beobachten, um das Wissen über Auswirkungen zu verbessern. Weitere Maßnahmen sind momentan nicht notwendig."

Doch bedrohen die Einwanderer wirklich unsere Gesundheit und das ökologische Gleichgewicht in Europa? Michael Braun hält diese Sorgen für übertrieben. "Bisher gibt es überhaupt keine Beweise, dass die Halsbandsittiche Krankheiten übertragen oder irgendeine heimische Art gefährden", sagt der Biologe.

Für viele andere Neozoen lässt sich das nicht behaupten: Die aus Nordamerika stammende Bisamratte zum Beispiel richtet große Schäden an Uferbefestigungen an und vertreibt seltene, heimische Vogelarten wie die Rohrdommel aus ihren Brutgebieten. Europäische Flusskrebse werden immer seltener, weil sie an der sogenannten Krebspest sterben - eine Pilzerkrankung, die ein eingeschleppter amerikanischer Artgenosse in europäischen Gewässern verbreitet.

Auf dem Speiseplan des Wanderfalken

Den volkswirtschaftlichen Schaden durch die 20 Tier- und Pflanzenarten, die auf der Schwarzen Liste ganz oben stehen, beziffert das BfM derzeit auf 167 Millionen Euro jährlich. Im Vergleich dazu sind die Schäden durch Halsbandsittiche derzeit noch gering, zumal auch die Landwirte der Rheinebene keine Einbußen beklagen, die auf die Papageien zurückzuführen sind. "Und die Sittiche konkurrieren nur minimal um die Brutplätze", sagt Braun, "weil sie sich auf die wintermilden Stadtgebiete beschränken."

Unklar ist jedoch, ob sich die Papageien im Rahmen des Klimawandels nicht auch in derzeit unwirtlichen Gebieten ausbreiten werden. Schon heute halten sich die Tiere nicht mehr nur in den klimatisch milderen Großstädten entlang des Rheins auf, sondern werden auch immer häufiger in den angrenzenden, ländlichen Regionen beobachtet, etwa in Monsheim westlich von Worms. Darüber hinaus berichten Biologen, dass sich bereits Vögel fernab der milden Rheinebene im pfälzischen Zweibrücken angesiedelt hätten. Sollten die Tiere ihr Revier künftig auch auf Waldgebiete ausdehnen, könnten sie zum Problem für eine größere Zahl heimischer Tiere und damit wirklich zu einer Gefahr für das Ökosystem werden.

"Allerdings scheinen die Tiere geschlossene Waldgebiete nicht zu mögen", sagt auch Nentwig. Zudem nimmt die Gesamtzahl der Sittiche in Deutschland offenbar nicht weiter zu. In Köln hat sich der Bestand auf etwa 2000 Tiere eingependelt, in Heidelberg und Wiesbaden stellten die Biologen zuletzt sogar einen Rückgang der Zahlen fest.

Ein Grund dafür könnte sein, dass die Sittiche bereits natürliche Feinde bekommen: Habichte und Wanderfalken haben die grünen Exoten in ihren Speiseplan aufgenommen. Möglicherweise wird sich so von allein ein neues ökologisches Gleichgewicht einstellen, ohne dass Biologen erbitterte Integrationsdebatten führen müssen.

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