Halle (dpa/sa) - Zum 30. Jubiläum des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff die Arbeit der Wirtschaftsforscher auch kritisiert. Bei der Festveranstaltung am Montag in der Leopoldina sagte der CDU-Politiker nach Angaben seines Sprechers, man habe sich auch Hinweise für den Transformationsprozess im Land gewünscht. Als das IWH 2011 auf der Kippe gestanden habe, habe sich die Landesregierung für den Erhalt eingesetzt. In den darauffolgenden Jahren habe man die Relevanz für das Bundesland aber kaum wahrgenommen und kaum konkrete Vorschläge erkennen können. „Das ist ein bisschen enttäuschend“, sagte ein Sprecher der Staatskanzlei.
IWH-Chef Reint Gropp erwiderte, das sei eine uralte Debatte. Haseloff hätte lieber ein Institut, das ihn unterstütze in seiner Politik. „Das ist aber nicht unsere Aufgabe“, sagte Gropp. Das Institut solle in erster Linie forschungsbasierte Ergebnisse präsentieren. Manchmal lege es Dinge vor, die Haseloff nicht gut finde. Dennoch wisse auch der Ministerpräsident, dass das IWH eine nützliche Rolle spiele: „Aber die ist etwas indirekter als die Politik das gerne hätte.“
Das Institut habe auch politisch unpopuläre Empfehlungen abgegeben, sagte Gropp. In den vergangenen Jahren wurde in Sachsen-Anhalt aus seiner Sicht versucht, „zu viele Industrieansiedlungen gegen den Strom“ zu erhalten. Der ländliche Raum hinke in Teilen Ostdeutschlands im Vergleich zum Westen dermaßen hinterher, dass es mitunter sinnvoller sei, sich in Städten auf den Ausbau der Infrastruktur in zukunftsnahen Branchen zu konzentrieren. Niemand wolle aber die ländlichen Räume veröden lassen, sagte Gropp zugleich.
Das IWH gehört zu dem Kreis der Experten, die Gutachten und Prognosen zum Wirtschaftswachstum in Deutschland abgeben. So waren IWH-Ökonomen zuletzt auch an der gemeinsamen Frühjahrs-Konjunkturprognose führender Wirtschaftsforschungsinstitute beteiligt.
Haseloff fand bei seiner Rede auch lobende Worte. Das Institut habe den Wandel der neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung fast von Anfang an „begleitet, erklärt, analysiert und eingeordnet“, sagte er laut Redemanuskript. Die IWH-Beiträge zeichneten sich durch Kompetenz, Fundiertheit und Meinungsstärke aus.
Der Zusammenbruch der Industrie in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung habe der Bevölkerung viel abgefordert, sagte Haseloff. „Man kann davon ausgehen, dass die wahre Unterbeschäftigung vor allem zwischen 1992 und 1995 etwas mehr als ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung ausmachte.“ Es habe kaum eine Familie ohne eine Akte beim Arbeitsamt gegeben. Damals war nicht abzusehen, dass später sogar die Vollbeschäftigung in Sichtweite kommen würde.
Sachsen-Anhalts Wirtschaft habe in den letzten Jahrzehnten Krisenfestigkeit bewiesen, sagte Haseloff. Die neuen Herausforderungen könne man nur gemeinsam lösen: Im Land und mit Bund und EU. Wichtig sei, die Gesellschaft zusammenzuhalten und der Wirtschaft das nötige Rüstzeug zur Verfügung zu stellen. „Notfalls auch mit Energieträgern, von denen wir uns eigentlich so schnell wie möglich verabschieden wollten“, sagte Haseloff.
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