Haiti:Im vergessenen Land

Kranke und Verletzte hatten schon vor dem Beben in Haiti wenig Hilfe. Die Helfer stehen vor fast unlösbaren Aufgaben: "Was bisher getan wurde, ist nicht annähernd genug", warnt Ärzte ohne Grenzen.

Berit Uhlmann

Tot, verwundet, obdachlos, verwaist: Rund 3,5 Millionen Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen von dem Erdbeben in Haiti betroffen. Fast die gesamte Infrastruktur ist zerstört. Kommunikationswege sind mangelhaft. So etwas wie ein staatliches Krisenmanagement existiert nicht. "Es ist extrem schwer, den Überblick zu behalten", sagt Frank Dörner, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland zu sueddeutsche.de. Dabei war seine Organisation schon lange vor dem verheerenden Erdbeben in Haiti aktiv. Wie unübersichtlich muss die Lage dann erst für neu ankommende Helfer sein?

Verletzte nach Erdbeben in Haiti

Noch weiß niemand, wie viele Verletzte es in Haiti gibt.

(Foto: Foto: dpa)

Sicher ist, weitere Helfer werden dringend gebraucht. "Alles, was bislang getan wurde, entspricht nicht annähernd dem, was nötig ist", sagt Dörner. Noch ist vorrangige Aufgabe der Mediziner, akute Verletzungen zu versorgen, Flüssigkeits- und Blutverluste auszugleichen und die oft ohnehin unterernährten Menschen vor weiterer Auszehrung zu bewahren. Wichtig ist für Dörner auch psychologische Unterstützung für die Menschen, die auf einen Schlag alles verloren haben.

Zudem gilt es, Seuchen zu vermeiden. Die größte Gefahr geht nach Angaben Dörners von verschmutztem Trinkwasser aus. Durchfallerkrankungen bis hin zu Cholera seien zu befürchten.

Haiti liegt im Malariagebiet, gibt Christian Meyer vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg zu Bedenken. Die durch Mücken übertragene Tropenkrankheit finde dort momentan optimale Bedingungen vor. Doch die Haitianer hätten wohl im Moment andere Sorgen, "als sich auf Mückenbekämpfung zu konzentrieren", sagt Meyer.

Dörner von Ärzte ohne Grenzen schränkt ein, dass die Seuchengefahr erfahrungsgemäß nicht so groß wird, wie ursprünglich befürchtet. Aber im Fall von Haiti sind Voraussagen besonders schwer. Es ist, ein "vergessenes Land gewesen", wie der Tropenmediziner Meyer sagte: "Man hat sehr wenig darüber gehört."

Das Wenige, was man über die Gesundheit im Land weiß, lässt Schlimmes erahnen. Die Statistiken der WHO weisen die Lebenserwartung eines Haitianers mit 54 Jahren aus. Zehn Prozent aller Kinder überleben die ersten fünf Jahre nicht. Zwölf Prozent der Kinder, die jung sterben, erliegen Durchfallerkrankungen. Über die Hälfte aller Einwohner sind Analphabeten. Dies verkompliziert Aufklärung und Präventionsvorhaben.

Das Gesundheitssystem war schon vor der Katastrophe "sehr schlecht", sagt Dörner. Laut Ärzte ohne Grenzen gab es in der Millionen-Metropole Port-au-Prince 21 Gesundheitseinrichtungen, darunter ein großes Krankenhaus. Nun liegen viele von ihnen in Schutt und Asche. Rar sind auch Benzin, Diesel und Desinfektionsmittel, so dass medizinisches Gerät und Instrumente nur beschränkt einsatzfähig sind.

Auch drei Einrichtungen, die Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) in der Hauptstadt betreibt, sind zerstört worden. Die Patienten wurden auf ein benachbartes Gelände gebracht, die Helfer stellten Zelte auf und wurden in diesen behelfsmäßigen Einrichtungen von Hilfesuchenden förmlich überrannt. In den ersten 24 Stunden nach dem Beben haben die Ärzte dort mehr als 1000 Verwundete mit offenen Brüchen und anderen Verletzungen behandelt. Für einen Tag eine enorme Leistung. Für eine komplett zerstörte Millionenstadt nur ein kleiner Anfang.

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