Hacker-Angriff:Ein Fest für Klimaskeptiker

Hacker haben persönliche Mails von Klimaforschern veröffentlicht. Manch einer will in den Dokumenten Datenmanipulationen der Wissenschaftler erkennen.

Christopher Schrader

In amerikanischen Gerichtsthrillern greifen windige Verteidiger gelegentlich zu einem miesen Trick: Um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu erschüttern, enthüllen sie wie nebenbei intime Informationen über ihn - aus dubioser Quelle, die vor Gericht nicht verwendet werden dürfen. Prompt springt der Staatsanwalt auf, ruft "Einspruch", und der Richter wendet sich an die Geschworenen: "Die Jury wird die letzte Bemerkung des Verteidigers nicht berücksichtigen." Der Winkeladvokat aber grinst in sich hinein: In den Köpfen der Geschworenen entsteht natürlich der Eindruck, ihnen solle etwas vorenthalten werden, was dem ominösen Wissen besonderen Wert verleiht. Und richtiggestellt kann es auch nicht mehr werden.

Erderwärmung, Symbolbild

Über das Ausmaß der Erderwärmung wird gestritten - aber auch über Angriffe auf die Privatsphäre der beteiligten Klimaforscher.

(Foto: Foto: dpa)

Mit einer ähnlichen Logik werden seit einigen Tagen persönliche E-Mails im Internet verbreitet, die wohl von bekannten Klimaforschern stammen, darunter offenbar auch einige Deutsche. Die Experten diskutieren darin in vertraulichem Ton, wie mit Kritikern umgegangen werden soll. Auch darum, welche Studien auf welche Weise in Berichten des Weltklimarats IPCC aufgenommen werden oder wie sich Probleme beim Umgang mit Daten lösen lassen.

Den sogenannten Klimaskeptikern sind diese Einblicke ein Fest. Sie versuchen schließlich seit langem, Zweifel an dem in Fachkreisen anerkannten Wissen über den globalen Klimawandel zu schüren. Die persönliche Integrität der Forscher anzugreifen, haben sie schon öfter versucht. Diesmal machen sie sich den Reiz der persönlichen E-Mails zunutze, um die öffentliche Meinung über die Klimaforschung zu diskreditieren - ausgerechnet zwei Wochen vor dem Klimagipfel in Kopenhagen. Anhand einzelner Zitate sollen die Autoren der gestohlenen E-Mails beschämt werden und Indizien für Datenmanipulationen aufgedeckt werden.

Wie die offenbar gut 1000 E-Mails aus den Jahren 1996 bis 2009 in die Öffentlichkeit gelangt sind, ist letztlich nicht klar. Zunächst hatten unbekannte Hacker einen E-Mail-Server an der University of East Anglia im englischen Norwich geknackt, wie die Hochschule bestätigte. Dort arbeitet die sogenannte Climatic Research Unit (CRU) unter ihrem Leiter Phil Jones.

Dann haben die Hacker versucht, die Informationen als Kommentar in den Blog "Real Climate" einzuschmuggeln. Dieser wird von etablierten Klimaforschern betrieben, unter ihnen Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, um Vorwürfen zu widersprechen und Falschmeldungen geradezurücken. Als der Angriff auf diese Webseite nicht gelang, wählten die Hacker den Skeptiker-Blog "The Air Vent" und platzierten dort einen Link zu den gestohlenen Dateien auf einem russischen Server. Inzwischen hat ein englischer Webseiten-Betreiber sogar einen durchsuchbaren Index der E-Mails veröffentlicht.

Die größte Aufmerksamkeit haben Zitate aus den gestohlenen E-Mails erregt, die Klimaskeptiker als Hinweise auf Datenmanipulationen auslegen. Dabei geht es wieder einmal um die sogenannte Hockeyschläger-Kurve. Sie zeigt den Verlauf der globalen Temperatur seit dem Jahr 1000 mit einem markanten Anstieg in den jüngsten Jahrzehnten. Seit Jahren ist sie Gegenstand eines erbitterten Streits, obwohl sie inzwischen mehrmals von verschiedenen Forschergrppen reproduziert worden ist.

"Das ist eine Atompilzwolke"

Die E-Mail, an der sich Klimaskeptiker reiben, stammt aus dem Jahr 1999 und ist von Phil Jones selbst. Er schreibt darin, er habe den "Trick" von Michael Mann (dem Hauptautor der Hockeyschlägerkurve) angewandt, um rekonstruierte und gemessenen Temperaturwerte in einer Kurve zu vereinigen und "den Rückgang zu verstecken".

Darin sieht zum Beispiel der emeritierte Klimaforscher Patrick Michaels, der die Folgen des Klimawandels gerne verharmlost, einen Beweis für Manipulationen. "Es ist nicht nur eine rauchende Pistole, sondern eine Atompilzwolke", zitiert ihn die New York Times. Der angegriffene Jones hat die Passage inzwischen als authentisch, aber harmlos dargestellt. "Das Wort 'Trick' ist umgangssprachlich benutzt worden im Sinne von 'eine clevere Sache'. Es ist aberwitzig anzudeuten, dass es sich auf etwas Ungehöriges beziehe." Und beim "Rückgang" geht es um eine breit diskutierte unklare Veränderung bei Baumring-Daten, die aber aus einer Zeit stammen, als längst Thermometer zuverlässige Messwerte lieferten.

Gelegentlich ein böses Wort

Auch Stefan Rahmstorf verteidigt den englischen Kollegen. "Was da mit den Daten passiert, wird in dem späteren Papier genau erklärt. Nur benutzt man eben in einer E-Mail einen lockereren Ton als in einer wissenschaftlichen Publikation." Auch seine eigenen E-Mails seien offenbar authentisch, sagt der Potsdamer Forscher. So kurz vor Kopenhagen schreckten die Klimaskeptiker "auch vor kriminellen Methoden nicht zurück". Er hält es prinzipiell für "illegitim, persönliche E-Mails zu lesen, nur weil sie im Netz stehen", aber er müsse sich auch nicht schämen. "Die Korrespondenz zeigt zum Beispiel die lebendige, kontroverse, aber sachliche Diskussion darüber, wie man die publizierte Fachliteratur am besten für den IPCC-Bericht zusammenfasst."

In diesen Diskussionen setzen sich die am Mailverkehr beteiligten Forscher auch immer wieder mit Veröffentlichungen und Anfragen ihrer Kritiker auseinander, die gerne mit öffentlichen Beschuldigungen, politischer Einflussnahme und zusammengeschusterten Aufsätzen agieren. In diesem Zusammenhang fällt auch gelegentlich ein böses Wort. "Wissenschaft funktioniert doch auch nicht, weil die Menschen immer höflich sind. Die Gravitation ist nicht darum eine nützliche Theorie, weil Newton ein netter Mensch war", schrieben die Autoren von Real Climate.

Groß entschuldigen müssen sich die Forscher allerdings nicht. Zeugen der bitteren Auseinandersetzungen, in die sie verwickelt waren, verwundert eher, wie beherrscht die Wissenschaftler sogar in E-Mails an Freunde mit Skeptikern umgehen. Viel Dampfablassen passiert da nicht.

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