H5N1 auf Reisen:Vogelzug gleich Virenflug?

Warum gerade Rügen? Und warum gerade jetzt? Experten des Friedrich-Loeffler-Instituts vermuten, dass H5N1 von Zugvögeln eingeschleppt wurde. Vogelkundler dagegen halten das für sehr unwahrscheinlich. Ist das Virus vielleicht schon seit Monaten in Deutschland?

Silke Lode

Als Hauptverdächtige für die Verbreitung der Vogelgrippe gelten derzeit die Zugvögel. Doch Ornithologen, die sich mit dem Vogelzug am besten auskennen, sind skeptisch.

H5N1-Ausbrüche und Vogelzug-Routen

H5N1-Ausbrüche und Vogelzug-Routen

(Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Schließlich waren die ersten infizierten Vögel, die auf Rügen gefunden wurden, Höckerschwäne - und die überwintern in Deutschland.

Inzwischen sind auf der Insel auch Singschwäne betroffen, die im Herbst aus Skandinavien und Russland nach Norddeutschland gezogen sind.

"Aber das erklärt keinen Ausbruch der Vogelgrippe im Februar", gibt der Leiter der Vogelwarte Radolfzell, Wolfgang Fiedler, zu bedenken.

Überhaupt sind in letzter Zeit keine Vögel nach Deutschland über Routen eingeflogen, die sie durch Gebiete mit Vogelgrippefällen geführt hätten. Fakt ist: Die Flugrouten der Zugvögel und die Ausbreitung des H5N1-Virus passen häufig nicht zusammen. Und das gilt auch in Rügen, sagen Vogelkundler.

"Solche Beispiele gibt es auch in anderen Fällen", erläutert Vogelforscher Fiedler. "In der Türkei hat sich H5N1 beispielsweise von Osten nach Westen ausgebreitet, aber so fliegt kein Vogel."

Auch zeitlich lässt sich die Wanderung der Vögel nicht mit der Ausbreitung des Virus in Übereinstimmung bringen. Für Fiedler ist das ein Rätsel: "Die Vögel sind nach Süden gezogen, und jetzt breitet sich im Norden die Krankheit aus."

Skepsis bei den UN

Auch bei den UN ist man skeptisch: Die vorwiegende Nord-Süd-Orientierung von Flugrouten und der Weg von Südost nach Nordwest, über den das Virus von Asien nach Südeuropa gelangt sei, passen nicht zusammen, meint UN-Fachmann Robert Hepworth.

Für die Vogelgrippe-Fälle in Mecklenburg-Vorpommern gebe es "nur eine einzige schlüssige Erklärung", sagt Wolfgang Fiedler: "Die Krankheit ist schon länger in der Region."

Das sehen die Tiergesundheitsexperten vom Friedrich-Loeffler-Institut allerdings völlig anders. So sei eines der ersten Tiere, bei denen das Virus nachgewiesen wurde, ein Singschwan gewesen, der eine Ring aus Riga in Lettland trug. "Und Singschwäne sind Zugvögel", erklärt Institutssprecherin Elke Reinking.

Zwar ist das Virus dort noch nicht nachgewiesen worden, aber: "In Russland gibt es zwei Populationen von Singschwänen, eine östliche und eine westliche. Deren Brutgebiete überlappen sich. Und die östliche Population erstreckt sich bis nach Sibirien und China."

Im Reich der Mitte aber liegt der Qinghai-See, ein Vogelparadies. Seit dem Frühjahr 2005 aber sterben dort die Vögel an der Vogelgrippe - ausgelöst vom H5N1-Virus.

Natürlich ist kein Vogel vom Qinghai-See bis nach Rügen geflogen. Doch die Forscher des Friedrich-Loeffler-Instituts glauben, dass sich das Virus etappenweise über die Singschwäne von China über Russland bis nach Rügen weiterverbreitet hat.

Denn die westliche Population überwintert traditionell an der Nord- und Ostsee sowie in England.

Für diese These spricht auch ein Befund der Virologen des Instituts auf der Insel Riems: Eine genetische Analyse der in zwei toten Schwänen gefundenen Grippeviren ergab eine Verwandtschaft zu den H5N1-Viren, die am Qinghai-See gefunden wurden.

"Der Vogelzug war im Herbst!"

Franz Bairlein, Leiter der Vogelwarten in Helgoland und Wilhelmshaven, ist von dieser Erklärung nicht überzeugt: "Warum wird das Virus auf Rügen erst jetzt entdeckt, wenn es durch Singschwäne übertragen sein soll? Der Vogelzug war im Herbst!"

Das wissen auch die Experten vom Friedrich-Loeffler-Institut. Doch der verdächtige Singschwan aus Riga sei am 25. Januar 2006 erstmals an der Wittower-Fähre beobachtet worden, heißt es am Institut. Möglicherweise sei er vor der Kälte in Osteuropa geflohen und nicht, wie sonst üblich, bereits im Herbst an die Ostsee gekommen.

Die Ornithologen bleiben skeptisch. "Nur weil der Schwan erst jetzt beobachtet wurde, kann man nicht schließen, dass er nicht schon länger da war", wendet Franz Bairlein ein. "Und wenn es zur Kälteflucht von Vögeln kommt, dann ziehen sie eher in wärmere Gebiete nach Südeuropa weiter. Ein Flug nach Rügen um diese Jahreszeit ist nach dem bisher bekannten Vogelzuggeschehen nicht erklärbar."

Bairlein und sein Kollege Fiedler aus Radolfzell haben andere Szenarien entwickelt, wie das Virus nach Rügen gekommen sein könnte.

Entweder wird der Ausbruch der Krankheit nicht immer sofort festgestellt. Wenn das stimmt, dann könnte die Vogelgrippe schon vor Monaten in Deutschland angekommen sein. Oder es gibt das H5N1-Virus schon in Gebieten, die sehr viel näher an Deutschland liegen, von denen aber noch kein Ausbruch bekannt ist.

"Dann könnten auch Vögel das Virus eingeschleppt haben, die bei schlechter Witterung 300 bis 500 Kilometer fliegen, aber eigentlich keine Zugvögel sind", meint Bairlein. Wie zum Beispiel Höckerschwäne.

Große Sorgen vor der bevorstehenden Ankunft der Zugvögel findet auch UN-Experte Hepworth nicht gerechtfertigt: "Es ist verfehlt, Zugvögel für die Vogelgrippe verantwortlich zu machen."

Dauerhafte Lösungen fördere das nicht. Und auf keinen Fall dürfe eine ausschließliche Konzentration auf den Vogelzug stattfinden. So würden andere Mechanismen und Wege der Ansteckung unterschätzt und wirksame Schutzmaßnahmen ausgeklammert.

Zudem sind nicht alle Varianten von H5N1 gleich gefährlich. Inzwischen sei erwiesen, sagt Hepworth, dass einige Wildvogelarten eine Infektion überleben können.

Erster Ausbruch 1959 in Schottland

Eine solche weniger gefährliche Variante existiert möglicherweise in Europa schon seit mehr als 40 Jahren. Das H5N1-Virus wurde zum ersten Mal überhaupt 1959 in Europa, in Schottland, auf zwei Hühnerfarmen identifiziert.

Anfang der 90er Jahre wurde es erneut in englischem Geflügel nachgewiesen, und nach Angaben des Friedrich-Loeffler-Instituts tauchte die harmlose Variante 2004 in Frankreich und 2005 in Italien auf, wo die Forscher es in Wildenten entdeckten.

1997 kam es dagegen in Hongkong zum ersten wirklich großen Ausbruch der Vogelgrippe und auch einer tödlichen H5N1-Infektion bei Menschen. Es gibt demnach verschiedene Subtypen von H5N1, die niedrig- oder hochpathogen sind.

Und bei den Viren, die auf Rügen nachgewiesen wurden, handelt es sich um eine gefährlichere Form des H5N1.

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