Süddeutsche Zeitung

Grundlagenforschung:Proteine bei der Arbeit

Der XFEL soll aufzeigen, wie Moleküle die Biologie steuern. Der Laser der Anlage kann dazu jede chemische Verbindung explodieren lassen.

Von Alexander Mäder

Könnte man das gesamte Sonnenlicht, das auf die Erde fällt, auf einen Quadratzentimeter bündeln, hätte man nur ein Tausendstel der Intensität des Röntgenlasers XFEL erreicht. Diese Leistung bringt der Laser zwar nur für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde auf - einige Dutzend billiardstel Sekunden lang, aber es hat Wucht. Der Laser kann ein Loch in eine Metallfolie brennen und lässt jedes Molekül explodieren, auf das er trifft. Anfangs seien viele Fachkollegen skeptisch gewesen, dass man ein Molekül mit einem Röntgenlaser ablichten kann, bevor es auseinanderbricht, erzählt der Physiker Henry Chapman vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg, dem Standort des XFEL. Doch anhand kleinerer Laser hat er mit seinen Kollegen gezeigt, dass es geht. Die Atome eines Moleküls brauchen einen Moment, um sich in Bewegung zu setzen - da ist das Bild schon im Kasten. "Es ist wie in der Fotografie", sagt Chapman. "Wenn man ein bewegtes Objekt festhalten will, braucht man eine kurze Verschlusszeit."

Wenn es im September losgeht mit dem XFEL will Chapman sein Kunststück wiederholen: Er wird einen feinen Strahl Eiweißmoleküle von oben in die Experimentierkammer schießen, der seitlich von den Laserblitzen getroffen wird. Ein einzelnes Molekül ergibt nur ein schwaches Röntgenbild, so dass man einige Zehntausend oder sogar Millionen Bilder zusammennehmen muss, bevor man daraus die Struktur des Moleküls ablesen kann. Da der XFEL 27 000 Mal pro Sekunde blitzt, kommt eine Messung schnell zustande - selbst wenn nicht jeder Laserschuss ein Molekül trifft.

Wie Pflanzen Sauerstoff aus Wasser machen? Gesehen hat das noch niemand. Bis jetzt.

Die mit Blei ausgekleidete Laborkammer, in der die Laserstrahlen für Chapmans Experimente ankommen, wird von Adrian Mancuso geleitet - wie Chapman ein Australier. Während der Versuche darf sich hier niemand aufhalten. An der Wand im Kontrollraum nebenan hängen Bilder aus den vergangenen Wochen, die an das erste Laserlicht im Labor und das erste Röntgenbild auf dem Detektor erinnern. Die Sektkorken dieser Feiern hat jemand auf den obersten Bildrahmen gestellt. Was wollen die Physiker erreichen? Mancuso kommt gleich auf das Beispiel der Pharmakologie: Die meisten Wirkstoffe greifen Ziele im Körper an, die sich nicht kristallisieren lassen, erklärt er. Das bedeutet, dass man ihre molekulare Struktur nicht genau kennt. Bisher ließen sich nur Kristalle mit Röntgenstrahlen durchleuchten. Beim XFEL soll es auch mit Molekülen funktionieren, die sich nicht zu einem Kristallgitter verbinden lassen. Mit dem Wissen um deren Aufbau kann man womöglich die Wirkung der Medikamente verbessern.

Wenn Chapman das Experiment mit Mancusos Unterstützung meistert, kann er die nächste Stufe erklimmen: Moleküle während ihren chemischen Reaktionen zu beobachten - also beispielsweise zu verfolgen, wie ein medizinischer Wirkstoff sein Ziel angreift. Dazu muss er eine Lösung in die Versuchskammer spritzen, die sowohl den Wirkstoff als aus das Angriffsziel enthält. Auf den Röntgenbildern werden verschiedene Phasen der biochemischen Reaktion zu erkennen sein, je nachdem, in welchem Moment der Röntgenblitz den Molekülverbund trifft. Anschließend müssen die Physiker die Bilder in die richtige Reihenfolge bringen.

Eine offene Frage ist auch, wie Pflanzen mit Fotosynthese Sauerstoff machen. Es ist eine chemische Reaktion in vier Schritten, das ist bekannt. Doch gesehen hat sie noch niemand. "Was nach der Aufnahme des Sonnenlichts geschieht, ist ein heißes Forschungsthema", sagt Chapman. "Wenn wir diesen Mechanismus verstehen, können wir ihn vielleicht nachbilden und Energie gewinnen."

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Quelle:
SZ vom 16.08.2017
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