Grippewelle:Impfwut

Eine Impfung kann immer noch sinnvoll sein, raten Experten. Diese Saison wollten sich besonders viele Menschen gegen Grippe schützen. Doch Impfstoff gibt es scheinbar keinen mehr - vielerorts schon seit mehreren Monaten.

Von Johanna Kuroczik

Wer sich derzeit gegen Grippe impfen lassen möchte, muss sich in vielen Fällen auf eine Enttäuschung einstellen. Einige Ärzte beklagen, dass seit Monaten kein Impfstoff lieferbar sei. Andere hatten ihre Dosen schon im November "verimpft". In einer Apotheke in der Münchner Innenstadt heißt es, man könne vielleicht Impfstoff aus Spanien bestellen - wann der komme, sei jedoch nicht klar.

Seit etwa vier Wochen ist die Influenzasaison im Gange, allein in dieser Woche gab es schon mehr als 4000 laborbestätigte Grippefälle, mit steigender Tendenz. "Um diese Jahreszeit ist es normal, dass der Impfstoff knapp ist", erklärt eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), der für Impfstoffe zuständigen Bundesbehörde. Rar ist der Stoff jedoch schon länger: Einige Patienten stehen seit Dezember bei ihren Hausärzten auf der Warteliste. Weil das Immunsystem etwa zwei Wochen braucht, um den Schutz aufzubauen, wird die Impfung zwischen September und Dezember empfohlen. In Thüringen fehlte im Dezember der für 20 000 Menschen bestellte Impfstoff. Auch in Berlin, Schleswig-Holstein und anderen Bundesländern gab es Engpässe. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) schätzte am Jahresende, dass ein "Faktor 10" zwischen Bedarf und Bestand liege. Dabei wird seit Jahren mit viel Geld und Aufwand versucht, die Deutschen zum Impfen gegen Influenza zu motivieren - beispielsweise mit der Kampagne "Wir kommen der Grippe zuvor". Doch in dieser Saison scheint einiges schiefgelaufen zu sein.

Selbst Importe aus dem Ausland oder Tauschbörsen für Impfstoff können den Bedarf kaum decken

Schon im Frühjahr melden Hausärzte ihren Bedarf für die nächste Saison an - meist basierend auf der Zahl der Patienten, die sich im vergangenen Winter impfen ließen. Die Produktion des Vakzins dauert mehrere Monate, deshalb können Hersteller in der laufenden Saison keine zusätzlichen Mittel nachliefern. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen empfahl diese Saison verbindlich einen Vierfach-Impfstoff für alle Patienten und machte ihn somit zur Kassenleistung - allerdings erst im April. Zum Zeitpunkt der Vorbestellung herrschte also bei vielen Ärzten Unsicherheit, ob Krankenkassen die Auslagen übernehmen würden, sie orderten nur zögerlich. "Der Impfstoff ist nicht lange haltbar" erklärt eine Sprecherin des Bayerischen Apothekerverbands. "Wird zu viel bestellt, muss der weggeschmissen werden." Im vergangenen Winter blieben drei Millionen Impfdosen übrig. Diese Saison hat das Paul-Ehrlich-Institut 15,7 Millionen Dosen freigegeben, eine Million mehr als im vergangenen Jahr verbraucht wurde. Zwar liegen noch keine offiziellen Zahlen vor, vermutlich ließen sich diese Saison aber deutlich mehr Menschen impfen. Zudem war das Vakzin laut PEI innerhalb Deutschlands ungleich verteilt. Lieferverzögerungen trugen zu den regionalen Engpässen bei.

Das Bundesgesundheitsministerium erleichterte daher im November Importe, beispielsweise aus Frankreich oder der Schweiz. Außerdem wurden Tauschbörsen für Praxen und Apotheken eingerichtet, damit überschüssige Mittel einfach weitergegeben werden können. Allerdings sind in der bayerischen Apotheken-Börse aktuell nur zehn Pharmazien angemeldet, mit kaum genug Mitteln für dreihundert Menschen. Auch das Ausland kann den Impfbedarf der Deutschen nur bedingt decken. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern könnten "immer wieder kleinere Dosen beschafft werden". Doch der Bezirksvorsitzende des Bayerischen Apothekerverbands, Peter Sandmann, meint: "Dass man bestellt heißt nicht, dass man es auch bekommt."

Das PEI betont, wie wichtig akkurate Vorbestellungen seitens der Hausärzte sind. Doch in diesem Winter waren viele vom Impfwillen der Deutschen überrascht. Es sei wichtig, dass solche Engpässe nicht mehr vorkommen, um die Impfmotivation aufrechtzuerhalten, erklärt eine Sprecherin der KVB. "Alle, die sich impfen lassen wollen, sollten das auch können." Derzeit bleibt für Patienten nur die Möglichkeit, Praxen abzutelefonieren, auf der Suche nach den letzten Spritzen Impfstoff.

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