Wenn es Nacht wird vor der Nordostküste Australiens, macht sich der Dornenkronen-Seestern ans Werk. Er stülpt seinen Magen nach außen, löst seine Beute mithilfe von Verdauungssäften auf und schlürft sie in sich hinein. Eine bizarre Art der Nahrungsaufnahme - und auch eine folgenreiche. Die Vielzahl an gefräßigen Dornenkronen-Seesternen ist einer der Hauptgründe, warum es schlecht steht um das Great-Barrier-Riff. Wie schlecht, das haben australische Meereswissenschaftler vor zwei Jahren beziffert.
Aus den Daten, die ihre Kollegen 27 Jahre lang über das Riff gesammelt hatten, schlossen sie, dass dort nur noch etwa halb so viele Korallen leben wie noch Mitte der 1980-Jahre. Und vermutlich würden die Korallen künftig mit noch größerer Geschwindigkeit verschwinden. Werde nichts zu ihrem Schutz getan, könnten sie in einem Jahrzehnt womöglich nur noch fünf bis zehn Prozent des Riffes abdecken, warnen die australischen Forscher. Derzeit sind es knapp 14 Prozent.
Nun darf man nicht allein dem Dornenkronen-Seestern den Rückgang der Korallen anlasten. Betrachtet man nur die unmittelbaren Ursachen, seien die gefräßigen Tiere zwar zu etwa 40 Prozent verantwortlich, schreiben die Experten. Warum aber bevölkern die Seesterne zu Hunderttausenden, zeitweise auch in Millionen-Stärke das Riff? Weil sie sich besonders gut dort vermehren, wo Nährstoffe und Dünger-Reste mit dem Abwasser über Flüsse ins Riff gespült werden. Zudem lassen sich die Seesterne kaum stören von steigender Wassertemperatur, Verschmutzung mit Schlamm und Chemikalien und der Versauerung des Meeres. Korallen hingegen leiden unmittelbar unter diesen vom Menschen angestoßenen Veränderungen.
Eine Symbiose zerbricht
Seit fünf Jahren muss das Great-Barrier-Riff zudem mit den Spätfolgen zweier Zyklone zurechtkommen, die in den Jahren 2009 und 2011 vor der australischen Küste tobten. Die Auswirkungen derartiger Wetterereignisse stufen die Forscher sogar als noch verheerender für die Korallen ein als die hungrigen Seesterne. Als weiterer wichtiger Grund für den Rückgang gilt die sogenannte Korallenbleiche. Dabei zerbricht die lebensnotwendige Gemeinschaft zwischen Algen und Korallen - woraufhin letztere sterben. Zuletzt geschah dies im Great-Barrier-Riff in besonderem Ausmaß in den Jahren 1998 und 2002. Etwa zehn Prozent des Korallen-Schwundes der vergangenen drei Jahrzehnte lassen sich auf das Phänomen zurückführen, schätzen die Forscher.
Dabei belasten Korallenbleiche und viele andere Faktoren auch Riffe anderswo auf der Welt. Trotzdem ist das Great-Barrier-Riff ein Sonderfall. Es stellt die größte von Lebewesen geschaffene Struktur der Welt dar. Auf einer Fläche von 348 000 Quadratkilometern (ganz Deutschland bringt es mit seinen gut 357 000 Quadratkilometern auf nicht viel mehr) verteilen sich fast 3000 einzelne Riffe. Dort leben außer 400 Korallenarten mehr als 1500 Fisch- und 240 Vogelspezies, mehr als 4000 Weichtiere wie Schnecken und Muscheln, außerdem ungezählte Arten von Würmern, Schwämmen und Krebstieren. Sechs von insgesamt sieben Meeresschildkröten kommen in dem Riff vor, ebenso zahlreiche Wal- und Delfin-Spezies. Mehr noch: Viele der Arten leben nirgendwo anders auf der Erde - und gelten bereits als bedroht.