Süddeutsche Zeitung

Graffiti:Sprühen gegen Sprayer

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Von Andrea Hoferichter

Eine besonders elegante Art, unerwünschte Graffiti zu entschärfen, zeigen der Berliner Künstler Ibo Omari und seine Mitstreiter von der Initiative "Paint Back". Sie verwandeln Hakenkreuze mit ein paar schlauen Sprühstrichen in Kleeblätter, Propellerflugzeuge oder Hasenzähne.

Natürlich holen sie sich vorher immer eine Erlaubnis ein. Der Alltag im Kampf gegen illegale Graffiti ist weit weniger inspirierend. Statt junger Künstler mit Caps, Hoodies und Farbdosen rücken in der Regel Reinigungstrupps in Schutzanzügen an und entfernen Buchstaben, Zeichen oder Bilder mit aggressiven Lösemittelcocktails. Die Reste wandern in den Sondermüll.

"Die Farben lassen sich in der Regel nicht einfach wegwischen. Sie können Lackoberflächen angreifen und tief in die Poren von Beton und Steinen eindringen", sagt André Laschewsky vom Fraunhofer-Institut für Polymerforschung in Potsdam. Trotz Reinigung bleiben häufig dunkle Schatten, die sich nur durch Sandstrahlen abtragen lassen - mitsamt Bausubstanz. Helfen sollen nun sogenannte Anti-Graffiti-Schutzschichten, die meist aufgerollt oder aufgesprüht werden und eine Barriere zwischen Untergrund und Farbe bilden und so die Reinigung erleichtern.

"Die für die Szene spezialisierten Industriefarben werden immer aggressiver."

Der Bedarf an solchen technischen Lösungen ist groß. Alleine im Jahr 2016 zählte das Bundeskriminalamt mehr als 100 000 Graffiti-Straftaten. Der Deutsche Städtetag errechnete 2002 jährliche Schäden von mehr als 200 Millionen Euro. In Großbritannien verschlingt allein die Reinigung besprühter Wände umgerechnet rund eine Milliarde Euro, und in den USA fallen für Überwachung, Reinigung und Instandsetzung mehr als zwölf Milliarden Euro an. Die Rechnung zahlen in der Regel Steuerzahler - und Bahnfahrer, denn Verkehrsbetriebe sind besonders stark betroffen und reichen ihren finanziellen Aufwand über die Ticketpreise weiter.

Das Angebot an Anti-Graffiti-Schutzsystemen, die diese Kosten drücken sollen, ist vielfältig. Das Chemieunternehmen Wacker etwa präsentierte im Frühjahr auf einer Messe leicht glänzende Schichten auf Silikonbasis, von denen die meisten Graffiti-Farben mit kaltem Wasser abgewischt werden könnten. Die farbabweisende Wirkung des Materials kennt jeder, der schon einmal versucht hat, Silikonfugen im Bad zu überstreichen. Auch Backpapier ist mit einer dünnen Silikonschicht überzogen, weil praktisch nichts dran kleben bleibt.

"Unsere Schichten halten mindestens 20 Reinigungszyklen und lassen Wasserdampf aus dem Baumaterial nach außen diffundieren", sagt der Bautenschutzexperte Rudolf Hager des Chemieunternehmens. Das sei wichtig, damit zum Beispiel Pilze oder Frost keinen Schaden anrichten könnten. Der Silikonkautschuk sei vor allem für Beton geeignet und enthalte keine in der Kritik stehenden Substanzen wie Oxime, Zinn- oder Fluorverbindungen, so die Firmenvertreter.

Auch der Chemiekonzern Evonik bietet ein Anti-Graffiti-Produkt aus Siliziumverbindungen an. Es sei eher eine Imprägnierung als eine Beschichtung, heißt es aus dem Unternehmen. Bis zu zehn Behandlungen seien möglich, dann müsse die Imprägnierung erneuert werden. Als Reinigungsmittel kommt ein eigens dafür entwickeltes Gel zum Einsatz. Zur bunten Palette der Anti-Graffiti-Systeme zählen außerdem lackähnliche Polyurethan- oder Acrylmischungen, etwa von BASF oder Du Pont. Sie sind sehr haltbar, dafür in der Regel wenig dampfdurchlässig. Als beständig und dampfdurchlässig zugleich werden Schichten aus Nanoteilchen beworben, etwa aus der Quarzsandverbindung Siliziumdioxid.

Andere Schutzschichten haben eine Wachs- oder Zuckerbasis. Sie funktionieren als sogenannte Opferschichten und werden stets zusammen mit der Graffitifarbe entfernt, mit heißem Wasser aus Hochdruckreinigern. Sie müssen deshalb nach jeder Reinigung erneuert und auch sonst ab und an aufgefrischt werden, da sie nur bedingt wetterfest sind.

"Eine Patentlösung gibt es nicht", sagt der Fraunhofer-Chemiker Laschewsky. Welcher Schutzanstrich empfehlenswert sei, hänge nicht nur von der Art und Feuchte des Untergrunds ab, sondern auch davon, wie sehr eine Fläche der Witterung ausgesetzt und durch Graffiti-Sprayer gefährdet ist. Die Königsdisziplin sei der Denkmalschutz. "Hier sollten die Schutzschichten möglichst unsichtbar sein und mindestens 100 Jahre halten, zugleich aber den Untergrund nicht verändern und bei Bedarf komplett zu entfernen sein", sagt Laschewsky.

Sein Team habe deshalb mit Forschern der Polnischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen eines EU-Projekts ein Schichtsystem aus mehreren Komponenten entwickelt, die sich vor allem durch elektrostatische Wechselwirkungen miteinander verbinden. Eine Laugenbehandlung vernichtet den Zusammenhalt, und die Schicht lässt sich leicht entfernen. Die patentierte Rezeptur wurde etwa auf italienischem Travertin, Bamberger Sandstein sowie auf Mörtel und Putz erfolgreich getestet. Ein Unternehmen, das die Produktion im industriellen Maßstab wagt, wird allerdings noch gesucht.

Zurzeit kümmert sich das IAP-Team vor allem um konventionelle Anstriche, etwa für Tunnel oder Lärmschutzwände. "Die Aufgabe wird immer anspruchsvoller, da die Industrie immer besser haftende, robustere Farben entwickelt", berichtet Laschewsky. Das sei im Fall von Straßenschildern oder Karosserien durchaus nützlich, werde aber zum Problem, wenn es um Graffiti-Entfernung gehe. Auch Holger Bajohra von der Deutschen Bahn klagt: "Die für die Szene spezialisierten Industriefarben werden immer aggressiver." Immer häufiger enthielten sie sogar teerähnliche Stoffe. Mehr als achteinhalb Millionen Euro musste das Unternehmen im vergangenen Jahr für die Reinigung von Zügen, Bahnhofs- und Tunnelwänden aufbringen, trotz diverser Schutzanstriche.

Detektoren können Inhaltsstoffe von Farben erkennen, wenn diese von Sprayern verwendet werden

"Die Schichten helfen nicht immer, und gerade für die denkmalgeschützten alten Bahnhofsgebäude aus Sandstein gibt es zurzeit keine zufriedenstellende Lösung", sagt Bajohra. Zudem würden manche Hersteller zu viel versprechen. Die häufig angepriesene Wasserdampfdurchlässigkeit etwa sei schnell dahin, wenn Graffitilack einmal die Poren zugesetzt habe. Und die Wirkung von Schutzlacken für Züge lasse schon nach drei, vier Reinigungsvorgängen sichtlich nach. Das Unternehmen setzt deshalb verstärkt auf Folien, die sich leicht austauschen ließen. "Gerade farbige, gemusterte Folien sind für Sprayer höchst unattraktiv", betont der Bahnsprecher. "Außerdem lassen wir gelegentlich Wände von Künstlern gezielt gestalten. Das sieht gut aus und wird in der Regel monatelang nicht übersprüht."

Nicht zuletzt geht es darum, Sprayer auf frischer Tat zu ertappen. Die DB-Sicherheitskräfte werden regelmäßig von der Bundespolizei geschult und konnten im letzten Jahr etwa 250 Sprayer stellen. Bei der Überwachung helfen Kameras, Infrarotsensoren, die auf Körperwärme reagieren, und akustische Sensoren, die Schritte auf Kies, Dosenklappern und Sprühgeräusche detektieren können, selbst wenn nebenan ein Güterzug vorbeidonnert. Die australische Eisenbahnbehörde Sydney Trains arbeitet zudem mit Sensoren, die in den Zugwänden installiert werden und Inhaltsstoffe von Graffitifarben und Permanentmarkern "riechen" können. Ein ähnliches Sensorkonzept, nicht nur für Züge, entwickelt auch das Kommunikationsunternehmen Vodafone.

Die eingeschworenen Sprayer der Graffiti-Szene aber wird vermutlich auch das nicht aufhalten. Es gebe immer Schwachstellen, trotz zunehmender Überwachung, erzählen Berliner Sprayer im Dokumentarfilm "Unlike U". Der Nervenkitzel, erwischt zu werden, gehöre einfach dazu, sei sogar ein wichtiger Teil der Motivation. Ob das Aufrüsten an der Graffiti-Front Früchte tragen wird, bleibt also abzuwarten.

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Quelle:
SZ vom 03.01.2018
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