Süddeutsche Zeitung

GPS-Konkurrent Galileo:Alles falsch gemacht

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Zu spät, zu teuer und nicht gut genug: Europa musste unbedingt ein eigenes Satellitennavigationssystem aufbauen, um den Amerikanern nicht allein das Feld zu überlassen. Jetzt werden die ersten Satelliten ins All geschossen. Doch von dem gigantischen Projekt profitieren allein die Firmen, die millionenschwere Aufträge erhalten haben.

Jeanne Rubner

Galileo Galilei gehört zu den ganz großen Forschern, er war sogar ein Revolutionär. Europas Satellitennavigationssystem nach ihm zu benennen, zeugt daher von einem gewissen Maß an Kühnheit. Galileo, das größte Industrieprojekt der Europäischen Union seit dem Airbus, datiert aus dem Jahr 2003. Damals war man tatsächlich kühn. So kühn zu glauben, dass Europa auch ein eigenes GPS stemmen könne und nicht auf die Signale der Amerikaner oder der Russen angewiesen sei. Galileo war das Symbol für Europas Stärke.

Heute jedoch wirken Mut und Stärke von damals geradezu tollkühn. Wenn von diesem Freitag an die ersten beiden von zwei Dutzend Satelliten ins All geschossen werden, kann Europa nicht zum Feiern zumute sein. Das Vorzeigeprojekt, das frühestens 2014 in einem rudimentären Zustand in Betrieb gehen wird, kommt Jahre zu spät, ist zu teuer und - verglichen mit den Konkurrenzsystemen - nicht gut genug. Die Profiteure von Galileo, das werden nicht Europas Autofahrer sein, die eine Straße suchen oder Bergsteiger, die Hilfe brauchen, sondern die Firmen, die millionenschwere Aufträge erhalten haben und werden.

Die Pleite war vorhersehbar, der Fehler liegt im System. Galileo begann als halb öffentlich, halb privates Vorhaben, als eines dieser Public-Private-Partnership, die man Anfang des Jahrhunderts modern fand. Doch die beteiligten Konzerne waren auf einem Ohr taub - sie hörten nur public statt private und kassierten Geld aus Brüssel. Das Risiko wollten sie nicht tragen. Viel zu lange ließen sich die EU-Mitgliedstaaten von den Unternehmen an der Nase herumführen, bevor sie die Reißleine zogen und Galileo zu einem öffentlich finanzierten Projekt machten.

Zu diesem Zeitpunkt hätte man Galileo noch stoppen können und auch sollen - aber Großprojekte mit vielen Beteiligten bekommen eine Eigendynamik, die nicht zu bremsen ist. Oder aber man hätte die Satellitensignale auch militärisch nutzen sollen - so wie es die Amerikaner mit GPS machen, die Russen mit Glonass und die Chinesen Compass. Das wäre vernünftig gewesen, weil Navigationssysteme zu teuer für den rein zivilen Betrieb sind. Galileos Zusatzdienste, mit denen das große Geschäft gemacht werden soll, werden sich angesichts der enormen Verzögerung nicht mehr rechnen. Dafür braucht man mehr Satelliten als derzeit im Budget eingeplant sind. Selbst wenn die EU noch Geld locker machen sollte, käme die Aufstockung zu spät - die Rivalen werden Europa in ein paar Jahren längst überholt haben.

So gut wie alles hat die EU bei Galileo falsch gemacht, das Geschäftsmodell ist grundlegend fehlerhaft. Das ist leider ein gängiges Muster, weil Politiker von Technik zu wenig verstehen. Viele nationale und europaweite Vorhaben, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind und von Regierungen finanziert wurden, endeten erfolglos: Den Raumgleiter Hermes, der einst Stationen im All versorgen sollte, verschwand als teure Blaupause in der Schublade; der mit Steuermitteln entwickelte Transrapid fährt zwar inzwischen in Shanghai, sein weiteres Schicksal ist jedoch ungewiss; Airbus steckte trotz Milliardensubventionen jahrelang in der Krise. Innovationen lassen sich nicht erzwingen, sie gedeihen am besten im Wettbewerb. Unternehmen müssen schnell reagieren, die Politik aber ist langsam. Es sei denn, der Staat selbst hat ein Interesse an der Anwendung: Washington steckte Milliarden Dollar in GPS, weil Amerikas Armee ein zuverlässiges Ortungssystem brauchte.

Was bleibt von Galileo? Ein Zuschussgeschäft, wie man selbst in Brüssel inzwischen offen zugibt. Und die versprochenen Milliardenumsätze? Ein Traum. Am Ende bleiben allenfalls ein paar Arbeitsplätze in der Raumfahrtindustrie - und der Trost, dass die Euro-Rettung noch teurer ist als Galileo.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2011
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