Süddeutsche Zeitung

Gorleben:Der Salzstock aus dem Nichts

Greenpeace-Experten legen nach monatelanger Archivrecherche neue Gorleben-Akten vor. Die Dokumente nähren den Verdacht von politischer Willkür bei der Standortwahl.

Michael Bauchmüller

Das Papier ist vertraulich, der Beamte hat nur noch handschriftlich ein paar Ergänzungen gemacht: "Mariaglück" und "Gorleben" tauchen jetzt auf, Betreff: "Standorte für nukleare Entsorgungszentren".

Anfang 1977 wurde so eine Tabelle des TÜV ergänzt, die acht mögliche Standorte miteinander vergleichen sollte. Gorleben kam nicht darin vor, bis der Ministeriale aus Niedersachsen die Dinge zurechtrückte.

Denn Gorleben, so legen zumindest die neuesten Aktenfunde nahe, wurde Standort, weil es eine Landesregierung so wollte. Was wiederum dem bald beginnenden Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Gorleben neues Futter geben wird.

Ausgegraben haben die Akten Greenpeace-Experten in monatelanger Archivrecherche, sie rekonstruieren das frühe Stadium der Suche nach einem Endlager. Die Dokumente stammen aus der Mitte der siebziger Jahre, als gerade die ersten Atomkraftwerke ans Netz gingen.

Der Bund wollte seinerzeit nicht nur ein unterirdisches Endlager, er wollte ein "Entsorgungszentrum", samt Wiederaufarbeitungsanlage. Er suchte ein Areal für einen ganzen Atomkomplex.

Die Akten legen folgenden Ablauf nahe: Damals fahndet die Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungs-Gesellschaft, kurz KEWA, nach einem Standort. An drei Orten in Niedersachsen wird sie fündig: Wahn, Ahlden, Weesen-Lutterloh; Gorleben spielt noch keine Rolle.

Doch das Vorhaben trifft bei Lokal- und Landespolitikern aus den betroffenen Regionen auf erbitterten Widerstand. Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU), der zu dieser Zeit ohnehin um seine Mehrheit bangen muss, fügt sich.

Es schlägt die Stunde Gorlebens. Ende 1976 tauchte der Ort im Wendland den Unterlagen zufolge erstmals in den Akten auf. Den Beamten erscheint er günstig. Zum einen liegt er im schwachbesiedelten Zonenrandgebiet, zum anderen genau auf einem Salzstock. Zwar sträubt sich die Bundesregierung zunächst gegen ein Nuklear-Zentrum an der Grenze zur DDR.

Schon im Februar 1977 aber hält ein Vermerk des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums fest: "Eine Standortauswahl könnte beim gegenwärtigen Kenntnisstand zwischen den Standorten Gorleben und Lichtenhorst getroffen werden."

"Es gab kein wissenschaftliches Auswahlverfahren"

Drei Wochen später beschließt das niedersächsische Kabinett, "Gorleben als vorläufigen Standort eines möglichen Entsorgungszentrums für ausgebrannte Kernbrennstoffe zu benennen". Zwar verabschiedet sich das Bundesland später von der Wiederaufarbeitungsanlage. Die Pläne für ein Endlager aber bleiben - sie existieren bis heute.

Die Dokumente, die Greenpeace seit diesem Dienstag auch im Internet zugänglich macht, nähren aus Sicht der Umweltorganisation abermals Zweifel an dem Endlager-Standort. "Es gab kein wissenschaftliches Auswahlverfahren", sagt Matthias Edler, Atomexperte bei Greenpeace. "Es gab überhaupt kein Auswahlverfahren."

Die Dokumente sollen nun auch die Arbeit des Untersuchungsausschusses erleichtern, der nächste Woche seine Arbeit aufnimmt. Außer den Umständen der Standortwahl soll er auch klären, inwieweit Gutachten über Gorleben aus dem Jahr 1983 zugunsten des Salzstocks abgeändert wurden. Damals fällte das Bundeskabinett die Entscheidung für den Standort - nachdem Regierungsbeamte darauf gedrängt hatten, kritische Passagen eines Gutachtens umzuformulieren.

Der Ausbau des Endlagers wird damit immer schwerer. Zwar will die Koalition schon bald die Erkundungsarbeiten aufnehmen. Am Ende aber dürften Gerichte entscheiden, ob der Salzstock tatsächlich zum Endlager werden kann - und das auch im Lichte seiner Vorgeschichte.

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SZ vom 14.04.2010/mcs
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